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Wirtschaft: „Jeder sollte fünf Euro für die Flutopfer geben“

Ein grüner und ein konservativer Landwirtschaftsexperte streiten über die bessere Agrarpolitik

Nach der Hochwasserkatastrophe rechnet der deutsche Bauernverband mit Schäden in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Wie wird sich das auswirken?

NOOKE: Die Schäden sind sehr viel größer als das, was wir bisher in Deutschland erlebt haben. Für die Politik in Berlin heißt das, dass man ganz bestimmt nicht wieder Business as usual machen kann.

BARINGDORF: Der ökologische Landbau ist besonders betroffen. Denn die einzelnen Bauernhöfe sind mit ihren n unverwechselbar in den Märkten drin. Und wenn ihre Produktion ein Jahr ausfällt, bedeutet das das Aus. Denn man kann diese Qualität nicht einfach zukaufen. Wenn ich für den großen Markt produziere, ist es egal, ob der Weizen aus Sachsen-Anhalt kommt oder aus Amerika. Aber für jemanden mir Spezialprodukten auf Wochenmärkten ist das schwieriger.

Es gibt Hilfsprogramme: 20 Millionen Euro Soforthilfe und ein 100-Millionen-Euro-Kreditprogramm. Auch in Brüssel hat Renate Künast bereits um Geld gebeten. Reicht das aus?

BARINGDORF: Gemessen an den Schäden ist es wenig. Die öffentlichen Gelder werden auch nicht ausreichen. Da muss eben jeder mal seine fünf Euro abdrücken.

NOOKE: Eine einmalige Abgabe der Bürger, die Glück gehabt haben und nicht betroffen sind, ist unumgänglich.

BARINGDORF: Wir fordern, dass auch Wirtschaftsorganisationen wie der Raiffeisenverband ihren Beitrag leisten. Vor allem darf die Katastrophe nicht ausgenutzt werden, um den Verbrauchern mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Oder die Preise von den Produkten, die noch übrig sind, bewusst nach unten zu drücken und Preisdumping zu machen. Über einen Fonds, der öffentlich gemanagt wird, könnte man das umgehen.

Gerade der Preis interessiert die Verbraucher ja ganz besonders. Denn er gehört zu den wichtigsten Kaufentscheidungen. Viele ostdeutsche Betriebe produzieren preisgünstig, weil sie sehr groß sind und deswegen viele Subventionen aus Brüssel kassieren. Ist das das Modell der Zukunft?

NOOKE: Diese Frage kann man nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Erstens muss man sehen, dass die landwirtschaftlichen Betriebe im Osten fast die einzigen Unternehmen sind, die schwarze Zahlen schreiben. Zweitens hat die EU nun einmal bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen. Und auf die verlassen sich die Betriebe. Und drittens wirtschaften sie auf jeden Fall effizient – zu guter Qualität. Die großen Betriebe im Osten produzieren preiswerte, gute Produkte. Und das soll auch so bleiben.

BARINGDORF: Nein, das ist ganz bestimmt nicht das Modell der Zukunft. Denn die Verbraucher kaufen nicht nur nach dem Preis – sie wollen auch gute Qualität. Wir Bio-Bauern wissen, dass bei einer bestimmten Qualität der Preis für den Verbraucher unwichtiger wird. Wenn jemand nicht will, dass ein Huhn im Käfig ist, können sie ihm das Ei schenken, und es wird ihm nicht schmecken. Außerdem geht es auch darum, dass die Großbetriebe mit ihren riesigen Ackerflächen die Struktur unserer Kulturlandschaften zerstören können.

NOOKE: Gerade in den neuen Bundesländern und hier in Berlin und Brandenburg können es sich viele einfach nicht leisten, dreimal so viel für ein Bioei zu zahlen.

EU-Agrarkommissar Franz Fischler glaubt jedenfalls nicht, dass die Großbetriebe im Osten das Modell der Zukunft sind – denn er will die Subventionen, die bisher nach Größe fließen, jetzt auf maximal 300000 Euro begrenzen – und damit bewirken, dass sich die Strukturen im Osten ändern.

BARINGDORF: Und damit hat er völlig Recht. Denn dann würde sich endlich eine in der Logik verbraucherfeindliche Politik ändern. Bisher gilt: je mehr Fläche, je mehr Kopf Rindvieh, desto mehr Prämie aus Brüssel. Unabhängig von der Zahl der Arbeitskräfte. Zum Beispiel: Ein Betrieb von 2000 Hektar erhält 750000 Euro im Jahr. Bei fünf Arbeitskräften sind das 150000 je Arbeitskraft aus den Prämien. Für bessere Qualität bekommt ein Bauer bisher aus Brüssel nichts.

NOOKE: Das darf man den Betrieben natürlich nicht vorwerfen. Wenn die EU-Agrarpolitik solche Rahmenbedingungen setzt, darf man sich nicht wundern, dass die Betriebe rationalisieren – das heißt ja nicht, dass man per se unökologisch produziert.

BARINGDORF: Das habe ich ja auch nicht gesagt. Es gibt auch ökologisch ausgerichtete Großbetriebe. Insgesamt hat die Landwirtschaft sich aber von den Verbrauchern und Verbraucherinnen, von ihrer Klientel, abgewandt. Sie stellen keine Lebensmittel her, die die Verbraucher gerne essen, sondern produzieren agrarische Rohstoffe, weil es für die besonders viele Subventionen gibt. In derselben Logik wurden radikal Mitarbeiter entlassen. Die Steuerzahler müssen sich ja nach den Lebensmittelskandalen denken: Wir geben den Landwirten 45 Milliarden Euro, und die verkaufen uns vergiftete Lebensmittel und schaffen keine Arbeitsplätze.

Herr Nooke, ist das so?

NOOKE: Ich kenne keine umgewandelte LPG, die 2000 Hektar mit fünf Mitarbeitern bewirtschaftet. Außerdem muss man die besondere Situation im Osten beachten: Wenn in einer Gegend kein einziger anderer Betrieb ist, der Arbeitsplätze schafft und die Handwerker mit Aufträgen versorgt – dann ist man froh, dass es immer noch eine Agrargenossenschaft gibt, die schwarze Zahlen schreibt und für ein bisschen Halt und Struktur im ländlichen Raum sorgt.

BARINGDORF: Aber das tun diese Großbetriebe ja gerade nicht. Nicht so wie die ökologischen Bauernhöfe. Der ökologische Großbetrieb Brodowin in Brandenburg hat auch eine Fläche von 2000 Hektar – und beschäftigt über 50 Mitarbeiter. Aber nach Brodowin fließen nicht mehr Gelder, der Betrieb muss also mit einem Zehntel je Arbeitskraft auskommen. Nach Fischlers Reform bekommt dieser Betrieb wegen seiner vielen Arbeitskräfte weiterhin die vollen Prämien, während bei den anderen Schluss ist. Und das ist auch gut so.

Franz Fischler will das gesparte Geld ja auch in die Entwicklung des ländlichen Raums, also Umweltschutz, Tourismus und neue Strukturen, die neue Arbeitsplätze schaffen, stecken – das kommt dem Osten doch auch zugute.

NOOKE: Dass Veränderungen nötig sind, ist doch klar. Die Frage ist doch nur: Man hat den Landwirten mit den in der Agenda 2000 festgelegten Bedingungen bis 2006 eine Planungssicherheit gegeben. Wenn jetzt Fischler sagt, wir ändern das schon 2004, dann ist das schwierig für die, die sich mit Investitionen darauf eingestellt haben. Und außerdem werden die Gewinne, die die Agrargenossenschaften machen, auch in der Region investiert. Aus ehemaligen Lagerhallen werden zum Beispiel Kunsthallen. Wenn Fischlers Reform kommt, bricht das zusammen mit den Großbetrieben weg.

Aber wenn diese Betriebe so effizient produzieren, wieso sollten die dann bei den Kürzungen direkt pleite gehen?

BARINGDORF: Würden sie auch nicht. Die Bauern machen dann einfach weniger privaten Gewinn – Pacht und Arbeitskräfte können sie dann immer noch locker aus den EU-Prämien bezahlen. Das Geld, mit dem sich diese Landwirte bereichern, wäre besser verwendet, wenn es in neue Strukturen fließen würde. Das ist nicht tödlich für die ländlichen Gegenden im Osten, sondern dringend erforderlich. Noch mehr nach der Flutkatastrophe.

NOOKE: Wenn wettbewerbsfähige Strukturen durch diese Politik zerschlagen werden, und den letzten Teil der funktionierenden Wirtschaft im ländlichen Raum kaputt machen, dann geht das eben nicht.

Wie begründen Sie das?

NOOKE: In Thüringen würden die von Fischler geplanten Reformen 245 Euro Subventionen pro Hektar weniger bedeuten, das verkraften die Betriebe nicht. Dort bewirtschaften 60 Prozent der Landwirte mehr als 1000 Hektar.

BARINGDORF: In Westdeutschland wären von der Reform 1,5 Prozent der Betriebe, in Ostdeutschland 15 Prozent betroffen. Sie sind Ostpolitiker, Herr Nooke, klar, dass Sie vor allem im Wahlkampf bestimmte Interessen vertreten. Aber es ist unanständig, diese 15 Prozent als Interessenslage der gesamten Ostlandwirtschaft hinzustellen. Schließlich haben diese Betriebe den ländlichen Strukturen nichts gebracht. Sehen Sie sich doch die entvölkerten Gebiete an.

Gibt es in Deutschland einen Ost-Westkonflikt in der Landwirtschaft?

NOOKE: Die Wahrnehmung in den ostdeutschen Ländern ist: Man will etwas zerstören, was eigentlich funktioniert. Die ostdeutsche Landwirtschaft wird ständig als zu groß und zu unökologisch dargestellt. Beispiel Nitrofen. Da war der Schuldige schon wieder im Osten: eine Lagerhalle in Malchin. Dabei waren das ganz bestimmt nicht die einzigen Schuldigen.

BARINGDORF: Dieses Gefühl bei den Menschen im Osten muss überwunden werden, wenn Sie ihre Gebiete entwickeln und zukunftsfähig machen wollen. Und es ist sträflich von der Politik, und damit meine ich alle Parteien, dieses Lied mitzusingen und zu sagen: oh die armen Ostler. Sonst ändert sich nie etwas.

NOOKE: Dann müssen Sie ihrer Ministerin aber auch sagen, dass sie eine ideologische Landwirtschaftspolitik betreibt – die man im Naturkostladen in Berlin vielleicht vertreten kann, aber nicht auf dem Dorf in der Lausitz.

Das Gespräch führten Dagmar Dehmer und Flora Wisdorff.

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