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Wirtschaft: Johann Lassnig

Geb. 1934

In Österreich werden Seeleute geboren. Sie müssen es nur merken. Wäre seine Mutter nicht mitten im Krieg mit ihrem Chef und Zukünftigen, der bald darauf seine Kanzlei versoff, aus Wien nach Berlin gegangen, hätte Johann Lassnig, der seine Kindheit in Kärnten bei der Oma verbracht hatte, nicht im Wedding seiner zukünftigen Frau, die auf dem Leopoldplatz Weitsprung übte, ein Bein stellen können, so dass sie mit dem Gesicht in den Sand flog und ihn, sich empört umblickend, das erste Mal bemerkte. Beim zweiten Mal war sie es, die ihm ins Auge trat, weil er ihr auf dem Klettergerüst unter den Rock gucken wollte. Die nächsten 50 Jahre verliefen harmonischer: Der eine als Kind vom Stiefvater geschlagen, die andere vom Vater verlassen, das schweißt zusammen.

Als er dann einmal, weil sein Chef ihm Überstunden nicht bezahlen konnte, fürs Wochenende dessen Jolle geborgt bekam, stellte sich heraus, dass auch in Österreich Seeleute geboren werden, sie müssen es nur merken.

Im Nachkriegsberlin hatte man keinen Platz für die Liebe, deshalb verbrachten die beiden viel Zeit auf ihrem kleinen Boot, Anker warfen sie vor dem Restaurant „Alte Liebe“. Die erste gemeinsame Fahrt führte sie zur Elbe, acht Stunden lagen sie auf einer Sandbank fest, weil sie keine Wasserkarte hatten. Das muss ihnen trotzdem so gefallen haben, dass sie ihre Arbeit kündigten: „Wir machen Urlaub!“ Für ein halbes Jahr fuhren sie mit dem Schiff nach Schweden. Viel Geld hatten sie nicht, aber es gab ja noch keine Hafengebühren, und eine große Wohnung brauchten sie nicht. Alle wetteten, dass sie sich die Köpfe einschlagen würden, aber nichts dergleichen. „Und denn war dit jebongt, dass wa heiraten können.“ Nur ein ganz kleines bisschen musste sie ihn noch zwingen.

Immer wieder segelten sie gemeinsam hinaus, zu den Shetlands, oder nach Island, bis zur Eisgrenze, einmal auch in die Karibik. Aber er war auch Einhandsegler – so nennen die Segler jene Kollegen, die allein mit dem Boot unterwegs sind. Weil sie sich auf See festhalten müssen, segeln sie mit einer Hand.

Der Einhandsegler Johann Lassnig hatte auch an Land etwas Eremitenhaftes, ein Konto besaß er zum Beispiel nie. Geld war nicht seine Sache, wer zu Geld kommen will, muss über Leichen gehen. Auch Autos interessierten ihn nicht, aber sein Schiff, die „Argonaut“ baute er selbst – mit Windsteueranlage und Strom vom Windrad konnte er sich auf die Suche nach dem goldenen Vlies begeben. Wenn er spontan verkündete: „Ich fahr’ weg“, dann machte sie kein Theater. Sie zwang ihn ja auch nicht, ins Ballett mitzukommen. So gab es in 50 Jahren keinen langweiligen Tag bei ihnen.

Er hat immer gestrahlt, aber der Magen war seine Schwachstelle. Gerade operiert, segelte er noch einmal nach Madeira. „Der kommt nicht wieder“, sagten manche und fürchteten, dass er sich wie ein Wikinger mit seinem Schiff auf See verbrennen würde. Aber das hätte er nicht gemacht: Der ungeklärte Tod auf See wird erst nach sechs Jahren anerkannt und bis dahin gibt es keine Witwenrente. Entkräftet kam er zurück, in 21 Tagen von Madeira nach Helgoland, ohne Hafen.

Danach ging es nicht mehr lange. Seiner Frau hinterließ er ein 12-Tonnen- Schiff, und gesagt hat er ihr: „Mach was, was die anderen noch nicht gemacht haben.“ Jetzt denkt sie an eine Fahrt nach Kanada, aber mit einer Freundin, denn einen Kapitän will sie nicht mehr.

Jochen Schmidt

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