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Wirtschaft: Jürgen Weber im Gespräch: "Wir sind nicht die Caritas"

Jürgen Weber (60) steht seit fast zehn Jahren an der Spitze der Deutschen Lufthansa. Der gelernte Luftfahrttechniker war im Mai 1991 zum Nachfolger des langjährigen Vorstandschefs Heinz Ruhnau berufen worden.

Jürgen Weber (60) steht seit fast zehn Jahren an der Spitze der Deutschen Lufthansa. Der gelernte Luftfahrttechniker war im Mai 1991 zum Nachfolger des langjährigen Vorstandschefs Heinz Ruhnau berufen worden. Unter schwierigen Startbedingungen gelang es Weber, die Lufthansa - als nunmehr privatisiertes Unternehmen - zu einer der erfolgreichsten Airlines zu machen.

Herr Weber, welcher Flughafen gefällt Ihnen am besten?

Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich in Hamburg lande. Da bin ich zu Hause.

Und international?

Singapur.

Was ist mit Paris?

Da ziehe ich Frankfurt vor. Dort wurde enorm investiert. Auch in unser Pünktlichkeitsprogramm. Im letzten Jahr war Frankfurt die pünktlichste Drehscheibe im Flugverkehr. 82 Prozent unserer Flüge waren pünktlich. Wir waren pünktlicher als London, Paris und Zürich.

Wie gefällt Ihnen Malpensa bei Mailand?

Hören Sie auf. Am Weihnachtsabend saßen Passagiere bis drei Uhr nachts im Flugzeug und mussten schlussendlich in einem Hotel übernachten.

Seit zehn Jahren stehen Sie an der Spitze von Lufthansa. Haben Sie die Unternehmenskultur verändert?

Die Änderung der Unternehmenskultur war der wichtigste und entscheidendste Schritt zum Erfolg. Lufthansa war ein Staatsunternehmen. Die Mentalität war vielfach beamtenhaft. Heute im Wettbewerb wäre das tödlich. Seit drei Jahren sind wir vollständig privatisiert. Der Kunde steht an erster Stelle.

Glauben Sie, Ihre Kunden empfinden Lufthansa als besonders kundenfreundlich?

Viele bestätigen den Wandel.

Würden Sie das Klima in der Belegschaft als offen bezeichnen?

Es ist manchmal sogar zu offen.

Manche beklagen den Service. Von einer Billig-Airline wird gesprochen, und dabei geht es nicht um die Preise. Ärgert Siedas?

Oft gehen die Beschwerden auf Vorkommnisse zurück, die schon Jahre zurückliegen. Ich denke, wir zählen im internationalen Vergleich zu den Qualitätscarriern. Natürlich wissen wir auch, dass wir noch vieles besser machen können. Was mich aber ärgert, sind unberechtigte Klagen, nach dem Motto 500 Mark bezahlen, First Class reisen und mehr Kaviar bitte...

Und warum sind die Lufthansa-Maschinen gelegentlich überbucht?

Es gehört bedauerlicherweise zu unserem Alltag, dass viele unserer Kunden Flüge bestellen, aber nicht zum Abflug erscheinen und nicht absagen. Vier Millionen Kunden allein im letzten Jahr. Um den Schaden in Grenzen zu halten, müssen wir Überbuchungen vornehmen. Wenn wir das im vergangenen Jahr nicht getan hätten, müssten wir einen Ergebnisausfall von 300 Millionen Mark beklagen. Allerdings sind nur 1,8 Promille unserer Kunden betroffen. Die entschädigen wir dafür finanziell. Ohne Buchungssteuerung könnten viele Tausende nicht den Flug ihrer Wahl bekommen.

Der US-Flugmarkt ist in Bewegung. Die Großen werden noch größer. Was geht Ihnen durch den Kopf in einer Zeit, da Fusionen an anderer Stelle eher Kritik hervorrufen?

In der Luftfahrt sind Fusionen nicht unbedingt in Mode. In unserer Dienstleistungsindustrie ist das Zusammenspiel von Firmenkulturen noch entscheidender als in anderen Branchen. Die Firmenkultur ist das A und O für Zusammenschlüsse. Naturgemäß sind Fusionen in den USA, also innerhalb einer Kultur, noch entsprechend einfach. In Europa hingegen sind die bisherigen Versuche, unterschiedliche Kulturen zusammenzuführen, kläglich gescheitert.

Die Schwierigkeiten bei Daimler-Chrysler überraschen Sie demnach nicht?

Überhaupt nicht. Die kulturellen Unterschiede sind dort enorm.

Sie setzten also eher auf Allianzen?

Ja, denn Allianzen steigern den Ertrag auch ohne großen Kapitaleinsatz. Wir haben unser Ergebnis um fast 500 Millionen Mark durch unsere Star-Allianz verbessert; durch bessere Auslastung, Marktdurchdringung, besseren Vertrieb oder Kundenbindungsprogramme wie Miles & More. Vor allem aber schaffen Allianzen eine Vertrauensbasis. Man gönnt nicht nur sich, sondern seinem Partner einen ordentlichen, adäquaten Gewinn. Der Ansatz ist also völlig anders als etwa in der Autoindustrie, wo durch Zusammenschlüsse Kosten gesenkt werden sollen.

Die Lufthansa will keine Kosten senken?

Doch, aber das steht bei unseren Allianzen und Beteiligungen im Hintergrund. Die Allianzen verstärken den Wettbewerb. Es gibt mehr Flugverbindungen. Und die Preise auf Strecken, die von Allianzen bedient werden, sind in den letzten Jahren auf dem Nordatlantik etwa um rund 30 Prozent gesunken.

Was wird dieses Jahr teurer, was billiger?

Wir hoffen, dass die Treibstoffkosten sinken. Zwar waren wir bisher in einer komfortablen Situation. Denn wir hatten im letzten Jahr 100 Prozent des Verbauchs im Voraus gesichert. Das ersparte uns eine Milliarde Mark zusätzlicher Kosten. Allerdings hat uns der starke Dollar die Rechnung teilweise verdorben. Der Anteil der Treibstoffkosten ist dadurch von zehn auf über zwölf Prozent der Gesamtkosten gestiegen.

Und in diesem Jahr?

Wir haben den Treibstoffpreis für 2001 zu 70 Prozent gesichert.

Was bedeutet das für die Tickets?

Die Ticketpreise sind in den letzten 30 Jahren im Durchschnitt gefallen. Ich sehe keine Veränderungen im Trend.

Haben Sie Ihre Pläne für eine eigene Billig-Airline endgültig begraben?

Die Pläne liegen in der Schublade, können aber innerhalb von Minuten wieder herausgeholt werden.

Und zwar wann?

Wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet. Bisher bedauere ich allerdings nicht, dass wir keine Billigairline haben. Sehen Sie sich doch die Deutsche BA an. Bislang wurden nur Verluste eingeflogen. Und Go wird von British Airways verkauft, weil zuviel Geld verloren wurde. Virgin Express steht zum Verkauf. Für 48 Mark nach Rom? Da wird Geld verbrannt.

Was bedeutet der Wegfall des Rabattgesetzes für Ihre Tarifgestaltung?

Die Abschaffung dieses Gesetzes aus den 30er Jahren war überfällig. Wir werden Miles & More weiter ausbauen. Unsere Phantasie ist grenzenlos. Und auch unser zweites Kartensystem, Payback, mit dem man Bonuspunkte sammeln kann, kommt gut an.

Kommen die Partner aus der Wirschaft eigentlich auf Sie zu?

Das ist unterschiedlich. Manche finden das gut, andere sprechen von Unsinn. Die Rabattmarkenmentalität der Deutschen ist allerdings sehr ausgeprägt.

Erst der Münchner Medienunternehmer Hubert Burda soll Ihnen beigebracht haben, wie man mit dem Internet einen Goldschatz hebt?

Wir sind auf diesem Sektor schon länger aktiv. Ich erinnere an unsere Reservierungssysteme. Neu ist, dass wir seit einigen Jahren mit den Möglichkeiten des Netzes große Chancen im Vertrieb sehen. Derzeit verkaufen wir zwar nur ein Prozent der Tickets über das Internet. Aber es geht steil aufwärts. Unser Ziel sind 25 Prozent bis zum Jahr 2005. 75 Prozent werden den Reisebüros bleiben. Es wird immer Menschen geben, die das Reisebüro bevorzugen. Natürlich muss sich auch das Reisebüro auf die neue Technik umstellen.

Sind Sie selber fit im Internet?

Nun ja, fit wäre übertrieben. Aber natürlich verfüge ich über E-mail und bin so ständig erreichbar. Minütlich kann ich per Netz alles abrufen, etwa die Auslastung unserer Maschinen oder unseren Aktienkurs.

Das ist unser Stichwort, um die Lieblingsfrage an Herrn Schrempp auch Ihnen zu stellen: Ärgert es Sie, dass die Börse Ihren Erfolg nicht richtig honoriert?

Ich war nie der Promotor von reinem Shareholder-Value. Meine Aufgabe ist es, den Kunden, den Aktionär und den Mitarbeiter gleichermaßen zufrieden zu stellen. Ich bevorzuge weder Mitarbeiter noch Aktionär. Und Investor-Stories erfinde ich auch nicht, nur um den Kurs zu beeinflussen.

Schätzen Sie den Berufsstand der Analysten?

Sehr.

Wie bitte?

Natürlich, insbesondere die kompetenten Analysten.

Manche verstehen den Zuschnitt des Lufthansa-Konzerns aber offenbar nicht.

Einige Analysten haben uns zwei Jahre lang für unseren Aufbau, für den Aviation-Konzern samt Fracht- und Reiseaktivitäten mit einem Abschlag abgestraft. Immer war von einem Konglomerat die Rede. Wir sind kein Konglomerat. Heute, seit zwei Jahren, sagen die gleichen Leute das Gegenteil, finden unsere Strategie gut.

Zur Politik. Ist nie versucht worden, Sie parteipolitisch zu vereinnahmen?

Nie. Das hätte ich mir auch nicht gefallen lassen. Selbst als der Bund noch mit im Boot war, wurde nie versucht, mich unter Druck zu setzen, ein europäisches Produkt zu kaufen oder eine bestimmte Strecke zu bedienen.

Viele beklagen, dass die neue Hauptstadt nicht so gut angebunden ist wie Bonn.

Beides ist nicht vergleichbar. Berlin ist eine aufstrebende Metropole. Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich in Berlin leben. Für das Flugaufkommen in der Stadt wäre mehr Industrie hilfreich.

Hier gibt es dreieinhalb Millionen Einwohner, immer mehr Entscheidungsträger kommen in die Stadt...

die aber leider nicht so viel fliegen, was sich jedoch ändert. Im Übrigen hat die Region Köln/Bonn nicht nur eine dichte Bevölkerung. Dort gibt es auch viele Manager aus Traditionskonzernen wie Bayer. Wichtig ist jedenfalls die Anbindung an unsere Drehscheiben in Frankfurt und München.

Lange haben Sie keine Direktverbindung in die USA einrichten wollen. Jetzt erhält Berlin einen Direktflug nach Washington. Wieso?

Jetzt sehen wir Chancen durch das Drehkreuz Washington. Fluggäste aus Berlin können über Washington 60 US-amerikanische Städte erreichen.

Wie hoch muss die Auslastung sein, damit die Strecke Gewinn abwirft?

Auf Langstrecken benötigen wir über 70 Prozent. Wenn der Markt das auf Dauer nicht hergibt, stellen wir die Verbindung wieder ein. Wir sind ja nicht die Caritas.

Was sagen Sie zur unendlichen Geschichte Schönefeld?

Wir sind nach wie vor bereit dieses Projekt zu unterstützen, auch durch den Bau eigener Terminals, wie in München. Warum nicht? Aber die Bedingungen müssen stimmen. Der neue Flughafen muss wettbewerbsfähig sein. Noch höhere Gebühren, wie geplant, schaden nur.

Kommt Berlin mit einem Großflughafen, der 2007 startklar sein soll, zu spät?

Berlin hat die einmalige Chance verpasst, sich zum Flug-Drehkreuz zu entwickeln. Der Flughafen hätte längst in Betrieb genommen werden können, und müssen. Die Kapazitäten sind in Berlin 2005 erschöpft. Nein, es ist nicht damit getan, nach Direktflügen in die USA zu rufen. Die Voraussetzungen müssen stimmen. Und die stimmen nicht einmal in Tegel, wo selbst die Ertüchtigung der bestehenden Flughafenanlagen nicht ausreicht. Völlig klar, dass auch Tempelhof nicht geschlossen werden darf, bis endlich ein neuer Großflughafen existiert.

Wann ordert Lufthansa den neuen Airbus A 380?

Wir brauchen zehn größere Flugzeuge mit mehr als 500 Sitzplätzen in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts; dazu gehört dann noch eine bestimmte Anzahl von Optionen, weil es Engpässe gibt, international Start- und Landerechte nur begrenzt zur Verfügung stehen. Noch in diesem Jahr wird eine Entscheidung fallen.

Herr Weber[welcher Flughafen gefällt Ihnen a]

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