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Thomas Piketty, Star-Ökonom aus Frankreich, schlägt vor, das Steuersystem radikal zu ändern.

© AFP

"Kapital und Ideologie" erscheint auf Deutsch: Warum Thomas Piketty jedem Deutschen jetzt 120.000 Euro schenken würde

Auch in seinem zweiten Buch fordert der französische Ökonom eine radikale Umverteilung. Jeff Bezos müsste im ersten Jahr 100 Milliarden Dollar Steuern zahlen.

Von Laurin Meyer

Nach der Veröffentlichung seines ersten großen Buchs musste sich Thomas Piketty einiges anhören. Er habe bei den Statistiken geschlampt, würde sich Zahlen für die gute Geschichte beliebig zurechtlegen, behaupteten manche Forscherkollegen. Geschadet hat es dem französischen Ökonom nicht. Im Gegenteil: Sein Werk „Kapital im 21. Jahrhundert“ aus dem Jahr 2013 wurde zu einem Bestseller, verkaufte sich weltweit millionenfach.

Wohl auch deshalb, weil Pikettys Grundannahmen einer einfachen Formel folgen: Weil der Reichtum einzelner Menschen stärker wächst als die Weltwirtschaft, wächst auch Ungleichheit. Ein Problem, weshalb es ein ganz neues Steuersystem brauche - mit radikalen Sätzen für Superreiche.

Die einen sehen in Piketty einen linken Umverteiler, für die anderen ist er ein Rockstar der Ökonomieszene. Jetzt legt der Pariser Wirtschaftsprofessor nach. Am Mittwoch erscheint sein Werk "Kapital und Ideologie" in deutscher Fassung. Seine neue Idee: eine Erbschaft für alle. Jeder junge Erwachsene soll eine Einmalzahlung vom Staat erhalten, um etwa Immobilien zu kaufen, eine Firma zu gründen oder eine Ausbildung zu bezahlen.

In reichen Ländern wie Deutschland oder Frankreich könnte diese Erbschaft bei 120.000 Euro pro Person liegen, schlägt der Ökonom vor. Das entspricht etwa 60 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Vermögens in den beiden Ländern.

Der unternehmerische Narrativ auf der Anklagebank

Piketty präsentiert damit eine Lösung für die weltweit wachsende Ungleichheit. In der sieht der Wirtschaftsprofessor nämlich eine große Gefahr, vor allem für westliche Demokratien. "Wenn das heutige Wirtschaftssystem nicht zutiefst verwandelt wird, dann könnte es sein, dass der fremdenfeindliche Populismus sehr bald die hyperkapitalistische und digitale Globalisierung in einen Zerfallsprozess eintreten lässt", schreibt Piketty. Das Motto: Lieber selbst reformieren, bevor es der erstarkende Nationalismus tut.

In "Kapital und Ideologie" unternimmt Piketty einen Streifzug durch die historischen Wirtschaftsentwicklungen dieser Welt – von Feudalgesellschaften über Kolonialsysteme bis hin zu hyperkapitalistischen Ordnungen. Seine Erkenntnis: Eine über Jahrzehnte gewachsene Ideologie habe maßgeblich für Ungleichheit gesorgt. So kritisiert Piketty, dass in den heutigen Gesellschaften eine "den Unternehmergeist beschwörende" Erzählung dominieren würde.

Immer höher, immer weiter: An den amerikanischen Unternehmertraum glaubt Piketty nicht.

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Vereinfacht gesagt: Ungleichheit werde als gerecht angesehen, weil jeder selbst Reichtum aufbauen könnte, wenn er nur wollte. Und wer reich ist, der ist folglich unternehmerischer, gar nützlicher als alle anderen. Doch zwischen dieser Erzählung und der Realität klaffe eine große Lücke, schreibt Piketty. Schon deshalb, weil nicht alle die gleichen Bildungschancen hätten. 

0,1 Prozent Eigentumssteuer für Arme

Der Großteil der Welt kehre stattdessen zurück zu einem „patrimonialen Kapitalismus.“ Damit meint der Ökonom, dass die Wirtschaft zunehmend von vererbtem Reichtum dominiert werde. Die oberste Klasse gibt ihr Vermögen einfach an die jeweils nächste Generation weiter. Und tatsächlich driften Arm und Reich seit den 1980er-Jahren nahezu überall auseinander, wie Piketty anhand von Statistiken belegt.

In den allermeisten Industrieländern sind die Einkommen der reichsten zehn Prozent in den vergangenen Jahrzehnten deutlich stärker gewachsen als die der ärmsten zehn Prozent. In manchen Fällen hätte das dramatische Ausmaße angenommen. In den USA etwa hält das reichste Prozent der Bevölkerung mittlerweile rund 40 Prozent des gesamten Vermögens.

Die Lösung sieht Piketty aber keinesfalls im Kommunismus, sondern in einer besseren Verteilung von Eigentum. Sein Konzept nennt der Hochschulprofessor "partizipativen Sozialismus". Alle sollen etwas besitzen, aber niemand mehr ein großes Vermögen anhäufen können. Dafür schlägt Piketty eine radikal gestaffelte Steuer auf Eigentum und Erbschaften vor: Wer nur die Hälfte dessen hat, was der Durchschnittsbürger eines Landes besitzt, der zahlt nach Pikettys Vorstellungen eine jährliche Eigentumssteuer von 0,1 Prozent. Hinzu kommt eine Erbschaftssteuer von fünf Prozent.

Hält ein Bürger hingegen das tausendfache des Durchschnitts, müsste er 60 Prozent jährlich und 80 Prozent bei Vererbung an den Staat abgeben. Die Einnahmen daraus sollen dann die Einmalzahlung an jeden jungen Erwachsenen finanzieren. Daneben fordert der Ökonom auch eine neue Besteuerung des Einkommens. Wer nur die Hälfte des Durchschnittseinkommens verdient, der soll darauf jährlich auch nur zehn Prozent Steuern zahlen, einschließlich Sozialabgaben. Beim Zehntausendfachen fallen hingegen 90 Prozent an, wie auch bei der Eigentumssteuer.

Es wäre schwer, reicher zu werden

Das würde vor allem die Luxuswelt der Superreichen treffen. Amazon-Chef Jeff Bezos müsste nach diesem Konzept allein im ersten Jahr rund 100 Milliarden Dollar seines Privatvermögens abdrücken. Der Gründer des US-Onlinehändlers besitzt schließlich mehr als das Zweihundertfünfzigtausendfache des US-amerikanischen Durchschnittsvermögens, schätzungsweise 114 Milliarden Dollar. Doch selbst Millionäre hätten es nach Pikettys Vorschlägen schwer, zumindest noch reicher zu werden. 

Ein solches System dürfte jedoch eine Utopie bleiben. Schließlich müssten zahlreiche Staaten an einem Strang ziehen, um Kapitalflucht in andere Länder zu verhindern. Wer fast sein gesamtes Vermögen abgeben soll, wird andernfalls wohl schnell das Weite suchen. Gut möglich, dass sich Piketty also auch dieses Mal wieder Kritik an seinem Konzept gefallen lassen muss. Zumindest bei den Statistiken hat er vorgesorgt: Alle seine Quellen hat der Ökonom auf einer eigenen Internetseite veröffentlicht.

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