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Falsch gelernt. In der Schule wird uns beigebracht, Wort für Wort sorgfältig zu lesen. Das muss man abschütteln, Füllwörter links liegen lassen zum Beispiel. So nimmt das Tempo zu, aber das Verständnis leidet nicht. Foto: dpa

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Besser lesen: 500 Wörter die Minute

Wir lesen zu langsam und verstehen zu wenig. Dabei könnte es viel schneller gehen. Das kann man lernen.

Lange E-Mails, Fachbücher, Zeitschriften, die Tageszeitung – wir werden täglich mit einer ganzen Flut an Informationen überhäuft. 70 Prozent unseres Wissens erwerben wir durch Lesen - egal ob als Schüler, Student oder später als Arbeitnehmer. Mit herkömmlichen Techniken ist das kaum noch zu bewältigen oder es kostet unglaublich viel Zeit. Auf der anderen Seite haben die meisten kaum entscheidend neue Techniken dazu gelernt. Dabei wird das schnelle Lesen immer gefragter. Im Schnitt liest und verarbeitet jeder 200 bis 300 Wörter pro Minute. Es ist aber möglich – um nur ein Beispiel zu nennen – einen 300 Seiten starken Roman in weniger als einer Stunde zu lesen. Weit über 500 Wörter pro Minute sind schaffbar. Das schnelle Lesen kann trainiert werden. Im Internet wimmelt es von entsprechenden Kursangeboten.

Dass das schnelle Lesen nicht auf Kosten des Textverständnisses geht, dafür sorgt das so genannte „Improved Reading“, eine Methode, die Wolfgang Schmitz 2001 nach Deutschland gebracht hat. Ursprünglich stammt die Idee aus Australien. Bundesweit bietet Schmitz jährlich 300 Kurse an – in Berlin in enger Zusammenarbeit mit dem Franchisenehmer Friedrich Hasse.

„Das Prinzip ist einfach“, erklärt Hasse. „Wir haben in der Schulzeit gelernt, Wort für Wort zu lesen, oft auch laut. Davon müssen wir uns lösen. Das ist nicht nur langsam, wir lassen uns bei dieser Methode auch viel zu leicht ablenken. Hinzu kommt, dass unsere Augen einen viel größeren Bereich fixieren können. Der umfasst ganz Sinngruppen aus drei bis vier Wörtern. Das müssen wir nutzen. Wir konzentrieren uns dabei auf das wichtigste wie Namen und Substantive und beachten keine Füllwörter.“

Dadurch nimmt das Lesetempo zu, ohne dass das Textverständnis am Ende darunter leidet. „Das ist doch logisch. Der Sinn ergibt sich nicht aus dem einzelnen Wort, sondern viel mehr aus den Wort- oder Sinngruppen. Jeder, der nach dieser Methode liest, ist nicht nur zügiger sondern erfasst den Inhalt auch besser“, ist sich Friedrich Hasse sicher. Seiner Auffassung nach entstehen damit eine neue Qualität des Lesens und ein noch besseres Textverständnis. Gerade die Erhöhung der Lesegeschwindigkeit könnte für Unternehmer ein entscheidender Aspekt sein. Die Effizienz wird gesteigert, wesentliche Informationen werden schneller erkannt und der Arbeitsprozess könnte besser strukturiert werden.Immerhin wird in deutschen Büros in der Regel knapp zwei Stunden gelesen.

Die entsprechende Technik wird in der Regel in zweitägigen Seminaren vermittelt. Zur Hauptzielgruppe gehören derzeit große Firmen, Ärzte, Anwälte und Steuerberater. Die Kurse sind damit öffentlich und für jeden buchbar. „Ich bin aber fest davon überzeugt, dass dieses Thema unbedingt auch an die Schulen und Hochschulen gehört. Nicht selten höre ich in meinen Kursen das Bedauern, dass man diese Technik bereits schon viel früher hätte kennen können“, sagt Wolfgang Schmitz. Es gibt bereits Kooperationen, zum Beispiel mit der Bundes-Dekan-Konferenz oder mit der Freien Universität Berlin.

Die Berlinerin Marion Kaspari ist eine Absolventin des Kurses. Erst vor gut einer Woche hat sie das Seminar besucht. „Das waren anstrengende, aber auch schöne zwei Tage. Jeder von uns hat sein aktuelles Leselevel ermittelt. Erst dann wurde an der entsprechenden Technik gearbeitet.“ Sie konnte ihr Lesetempo fast verdoppeln. Die Beweggründe, diesen Kurs zu besuchen, lagen für sie auf der Hand. Marion Kaspari arbeitet im Bereich Verbraucherschutz fast täglich mit Fachliteratur. Sie muss beruflich viel lesen. Aber hat es eine deutliche Verbesserung gebracht? „Ich spüre es in den ersten Tagen schon ein wenig. Aber schon unser Dozent hat gesagt, man könne keine alten Gewohnheiten aus dem Fenster werfen; man müsse sie langsam die Treppe runter tragen. Genauso ist es auch mit der neuen Lesetechnik. Sie muss sich erst Stück für Stück festigen und trainiert werden“, so Marion Kaspari.

Das Schnelllesen kann ohne großen Aufwand im Alltag trainiert werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören eine entspannte Sitzhaltung, ausreichend Licht und ein guter Überblick über den Text. Ein Abstand von 50 Zentimetern wird hier von Experten empfohlen. Wolfgang Schmitz rät außerdem dazu, dem Text mit einem Lineal von oben nach unten zu folgen. So können ungewollte Zeilensprünge verhindert werden. „Sie können mit Fachtexten und Belletristik üben. Nur Gedichte, bei denen es wirklich auf die Sprache und das einzelne Wort ankommt, kann ich nicht empfehlen“, so Schmitz.

Die Vielfalt der Kurse ist breit gefächert. Es muss nicht „Improved Reading“ sein. Die Anbieter im Internet operieren mit Begriffen wie „Alphalesen“, „Speed-Reading“ oder „Flächenlesen“. Den richtigen Kurs zu finden, ist nicht immer einfach. Die Stiftung Warentest gibt den Verbrauchern grundlegende Tipps mit auf den Weg. Zuerst sollte jeder sich klar machen, ob eher Wert auf eine höhere Geschwindigkeit oder ein besseres Textverständnis gelegt wird. Außerdem ist es sinnvoll, sich den Kursinhalt vorher genau anzusehen, Preis und Leistung mit anderen Anbietern zu vergleichen und gezielt nach Referenzen zu fragen. Das wird die Entscheidung für den richtigen Anbieter erleichtern.

Mit Kritik an Schnell-Lese-Kursen gehen Anbieter wie Friedrich Hasse und Wolfgang Schmitz gelassen um. „Wir haben eine Datenbank von über 8000 Kursteilnehmern, die empirisch den Nutzen belegen. Hinzu kommen Evaluationsberichte – zum Beispiel auch von der FU Berlin. Wir sind außerdem offen für alle Untersuchungen, die in diesem Bereich weiter für Klärung sorgen“, sagt Wolfgang Schmitz. Auch spöttische Bemerkungen wie „Lesen lernen? Muss ich nicht – kann ich schon“ sehen beide gelassen. „Wir können natürlich niemanden zwingen. Jeder muss für sich selbst wissen, ob er Textverständnis und Geschwindigkeit deutlich verbessern will.“

Schnelles Lesen kann im Beruf und im Privaten nützlich sein, egal welche Branche und Bildung. Diesen Artikel könnte jeder innerhalb von knapp drei Minuten gelesen haben. Damit bleibt noch während der Frühstückspause genug Zeit für die nächste Doppelseite.

Sandra Fritsch

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