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Karl-Thomas Neumann, Continental: "Keine Karriere ist planbar"

Karl-Thomas Neumann über seinen Aufstieg zum neuen Vorstandschef von Continental, seine Mentoren und die Zukunft der Automobilbranche

Was hätten Sie jemandem vor einem Jahr geantwortet, der vorausgesagt hätte, dass Continental von Schaeffler geschluckt wird, und Sie neuer Vorstandschef werden?



„Geschluckt“ ist nicht ganz das richtige Wort: Wir haben einen neuen Großaktionär, mit dem wir eine Investorenvereinbarung als gemeinsame Arbeitsgrundlage abgeschlossen haben. Aber zu Ihrer Frage: Klar hätte ich den für verrückt erklärt, weil ich das nicht für möglich gehalten hätte.

Und doch ist es so gekommen ...

Ja, es hat sich so ergeben. Im Frühjahr hat mir der damalige Vorstandschef von Gerüchten berichtet, dass jemand an Continental dran sei. Die Gerüchte stimmten, die Sache nahm ihren Lauf.

Der Familienbetrieb schickte sich an, den Dax-Konzern Continental zu schlucken ...

Ja, aber von einem Vorstandswechsel war da noch nicht die Rede. Die Frage kam erst auf, als Manfred Wennemer zurücktrat.

Haben Sie mit einer Entscheidung zu Ihren Gunsten gerechnet?

Nein, mein Karriereplan beinhaltete definitiv nicht, im Jahr 2008 Vorstandschef von Continental zu werden. Das hat sich, wie gesagt, so ergeben. So etwas ist nicht planbar, keine Karriere ist „planbar“.

Als Sie noch selbst Student waren – wie haben Sie sich Ihren späteren Arbeitsalltag vorgestellt und wie war die Realität?


Das Studium in Dortmund und die Promotion in Duisburg – das war alles wunderbar, die Umstellung dann schwierig: von der großen Freiheit an der Universität und einer Forschungseinrichtung zu sehr geregelten Arbeitszeiten bei Motorola – das hat mich am Anfang schon belastet. Aber dieser Wechsel war letztlich schnell verkraftet.

Sie haben als Chipdesigner bei Motorola angefangen. Ihnen wurde dann rasch Führungsverantwortung übertragen. Haben Sie sich leichten Herzens vom Tüfteln verabschiedet?

Das war ein fließender Übergang. Ich hatte einen Chip entwickelt, der die Kommunikationstechnologie im Auto verbessern sollte. Allerdings kam dieser Chip nie auf den Markt. Klar, dass ich damit nicht zufrieden sein konnte. Aber dann bekam ich den Auftrag, ein kleines, sehr internationales Team zusammenzustellen, das helfen sollte, zukünftige Trends vorauszusagen. Also zum Beispiel: Was machen die Automobilhersteller in zehn Jahren und wie können wir als Motorola entsprechende Produkte entwickeln? Diese Aufgabe war natürlich ein Traum, aber gleichzeitig auch eine sehr schwierige Managementaufgabe. Das Team mit zehn Leuten war zwar klein, aber über die ganze Welt verstreut.

Wie ging es bei Volkswagen weiter?

Bei Volkswagen traf ich auf eine ganz andere Unternehmenskultur. Motorola war ein amerikanischer Konzern, der Umgangston entsprechend locker. Volkswagen erschien auf den ersten Blick starr und hierarchisch. Bei Volkswagen habe ich als Chef der Elektronikforschung mit über 200 Testwagen gleich eine interessante Chance bekommen. Das war prima, da kannte ich mich aus. Nach zwei, drei Jahren bekam ich die Verantwortung für die Serienentwicklung der Elektronik für Pkws. Das war eine große Herausforderung. Damals stand der Phaeton kurz vor dem Start, in der Elektronik gab es aber noch ungelöste Aufgaben. Gleiches galt für den Golf 5. Ich übernahm eine sehr große Verantwortung. Wenn am Prestigeobjekt Phaeton oder am Bestseller Golf etwas nicht funktioniert hätte, wären gleich große Schäden entstanden, monetär wie auch in Sachen Image.

Inwiefern war es noch ein schwieriger Job?

Die Mannschaft akzeptierte mich am Anfang nicht: „Der Neumann kommt aus der Forschung, was will der jetzt in der Entwicklung?“ Als Leiter der konzernweiten Elektronikstrategie habe ich das Managen erst so richtig gelernt.

Was haben Sie aus kritischen Momenten wie damals bei Volkswagen gelernt und was bringt Ihnen das heute noch etwa in der Auseinandersetzung mit Schaeffler?

Als ich bei Volkswagen in dieser kritischen Situation die Leitung der konzernweiten Elektronikstrategie übernahm, war die Abwehrhaltung zunächst sehr groß. „Wir brauchen keinen von außen! Wir wissen schon, wie das geht!“ Ich habe das damals zur Kenntnis genommen und gesagt: „Wenn Sie mir nicht glauben, dann lassen Sie uns die Kollegen aus anderen Abteilungen fragen, die mit Ihren Entwicklungen jeden Tag arbeiten.“ Gesagt, getan. Das Ergebnis: Die Kollegen aus dem Vertrieb und der Qualitätssicherung waren mit der Arbeit der Entwicklungsabteilung nicht wirklich zufrieden, um es diplomatisch auszudrücken. Das Fremdbild war also ganz anders als das Selbstbild. Als meine Abteilung das erkannt und akzeptiert hatte, haben wir sehr konstruktiv und vor allem erfolgreich zusammengearbeitet.

Auf die heute übertragen heißt das?

In der derzeitigen Situation muss ich leider akzeptieren, dass sich der Automobilmarkt nicht so entwickelt wie angenommen. Der Umsatz liegt je nach Geschäftsfeld bis zu 40Prozent unter den Erwartungen. Das hat natürlich zur Folge, dass wir unsere Kosten reduzieren und Investitionen kürzen müssen. Von dieser Notwendigkeit muss ich mein Team, im Prinzip aber alle Mitarbeiter überzeugen und sie motivieren, beim Sparen mitzumachen. Wir können nicht so tun, als gäbe es die negativen äußeren Einflüsse nicht.

Viele Studierende sind angesichts der Wirtschaftskrise verunsichert und bangen um einen guten Einstiegsjob. Ist die Automobilindustrie noch ein attraktiver Arbeitgeber?

Es ist derzeit sicherlich nicht der allerbeste Zeitpunkt für einen Einstieg, aber es besteht auch kein Grund, um die Branche eine Kurve zu machen. Der Automobilindustrie — und zwar insbesondere der deutschen – gehört die Zukunft. Um den direkten Einstieg zu schaffen, sind in einer angespannten Lage wie derzeit persönliche Kontakte wichtiger denn je. Wenn Sie über ein Praktikum oder Ihre Abschlussarbeit einen sehr guten Eindruck hinterlassen haben, dann wird man Sie nicht wieder ziehen lassen.

Was halten Sie von Mentoring?

Sehr viel. Ich hatte selbst von Anfang an einen Mentor. Bei Continental sind da Manfred Wennemer und Hubertus von Grünberg als Aufsichtsratschef zu nennen. Die Qualität des Mentoring hat sich im Laufe der Jahre natürlich weiterentwickelt vom Coaching – „Den Vortrag hättest du aber anders aufbauen müssen!“ – bis hin zu echtem und sehr tief gehendem Meinungsaustausch und wertvollen Hinweisen auf allerhöchstem Niveau.

Hat es sich für Sie gelohnt, einen Doktortitel zu machen? Und was empfehlen Sie den Absolventen von heute?


Titel sind heute nicht mehr so entscheidend. Man kann auch ohne einen Doktortitel oder einen MBA hervorragend Karriere machen. Dennoch bleibt es natürlich eine sehr gute Sache, und zwar vor allem bei Ingenieurwissenschaften, wenn man sich richtig tief in einen Stoff hineingekniet hat und das mit einer Doktorarbeit oder veröffentlichten Ergebnissen belegen kann. Auch ein MBA kann interessant und hilfreich sein, wenn er den Blickwinkel erweitert.

Was sind neben den aktuellen Turbulenzen – der Wirtschaftskrise sowie der Übernahmeschlacht mit Schaeffler – die langfristigen Ziele von Continental?

Es gibt in der Automobilindustrie vier Megatrends. Das ist erstens das Thema Umwelt: Unser Ziel heißt ganz klar: null Emissionen. Dafür arbeiten wir an der Optimierung des Verbrennungsmotors und der Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe. Die Zukunft gehört dem elektrifizierten Antrieb und der Elektromobilität aus der Steckdose. Der zweite Megatrend ist Sicherheit: Dank moderner Techniken wie ABS, Airbag und ESC ist die Zahl der Verkehrstoten stark gesunken – und das bei steigendem Verkehrsaufkommen. Und die Entwicklungen gehen weiter. Die Zukunft liegt in der vernetzten Sicherheit. Konkret: Autos kommunizieren untereinander und mit Verkehrsleit- und Notrufsystemen. Der dritte Megatrend schwingt beim Thema Sicherheit schon mit: Information. Dabei geht es um das Informationsmanagement von Fahrer und Beifahrer, aber auch mit anderen Verkehrsteilnehmern und Serviceeinheiten. Der vierte Megatrend ist erschwingliche Mobilität. Es geht dabei um ein Auto, das sich auch ärmere Bevölkerungsgruppen in Asien und Osteuropa leisten können. Dieses Wachstumsfeld wollen auch wir als westlicher Konzern erschließen.

Vor einem Jahr hätten Sie noch jeden für verrückt erklärt, der Ihnen gesagt hätte, dass Sie der neue Vorstandschef sein werden. In einem Jahr – wo wird Continental stehen und wo Sie?

Zunächst sehe ich die Krise nicht nur negativ, sie ist auch eine Chance. Wettbewerber, die nicht so solide finanziert sind wie wir, werden aufgeben. Wenn wir wie geplant die angestrebten Kostenstrukturen erreichen, werden wir im nächsten Aufschwung überproportional profitieren. Und was mich persönlich angeht, habe ich auf jeden Fall vor, dann noch Vorstandsvorsitzender zu sein!

Die Fragen stellte Tanja Kewes. Das vollständige Interview finden Sie unter www.karriere.de

Zur Person

DER CHEF

Karl-Thomas Neumann ist seit September der neue Vorstandschef des Automobilzulieferers Continental.

Geboren in Twistringen in Niedersachsen studierte der 47-Jährige an der TU Dortmund Elektrotechnik. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen und Systeme in Duisburg, wo er auch promovierte. Ins Berufsleben startete er mit 32 Jahren als Entwicklungsingenieur beim Handyhersteller Motorola. Es folgten fünf Jahre bei Volkswagen.

DIE FIRMA

Seit 2004 ist Neumann beim Reifenhersteller Continental in Hannover. Der Dax-Konzern ist mit einem Jahresumsatz von zuletzt rund 16 Milliarden Euro und über 150 000 Mitarbeitern einer der weltweit führenden Zulieferer der Automobilindustrie. Die Übernahme durch den fränkischen Familienkonzern Schaeffler segnete die Europäische Kommission im vergangenen Dezember wie erwartet ab. JK

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