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Jura: Mehr als Recht

Nur Jura-Absolventen mit Prädikatsexamen werden Staranwalt oder Richter. Wer sich aber Wirtschafts-Know-how und Fremdsprachen aneignet, muss nicht als Wald- und Wiesenanwalt enden.

Wenn Zeitungen über Firmenübernahmen berichten, sind die Meldungen für Jacqueline Stein-Kaempfe oft nicht mehr neu. Denn so manches Mal hat die 31-Jährige zuvor schon mehrere Wochen lang geholfen, den Kauf vorzubereiten.

Stein-Kaempfe arbeitet im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltskanzlei Freshfields. Zu deren Kunden zählen ausländische Finanzinvestoren, die sich in den deutschen Mittelstand einkaufen. Die junge Anwältin entwirft mit ihren Kollegen Verträge und sucht nach juristischen Fallstricken. „Es ist sehr spannend, früh an der Vorbereitung von Entscheidungen beteiligt zu sein, die die Wirtschaft bewegen“, sagt die Juristin. Stein-Kaempfe arbeitet seit zwei Jahren bei Freshfields.

Dass sie bei einer Großkanzlei einsteigen würde, war während ihrer Ausbildung alles andere als beschlossen. An ihre Karriere hat die Studentin kaum einen Gedanken verschwendet. Nachdem sie ihr Jura-Studium in Freiburg begonnen hatte, wollte sie die Welt sehen. Sie wechselte an die Uni in Genf, ging dann nach Argentinien und studierte dort Völker- und Wirtschaftsrecht. Nach einem Zwischenstopp in Berlin ging sie nach New York. Sie machte dort einen Master of Laws (LL.M.) und erwarb eine amerikanische Anwaltszulassung. Aber erst als sie in New York mit Anwerbern von Freshfields ins Gespräch kam, begann sie über den Anwaltsberuf nachzudenken.

Zurück in Deutschland absolvierte sie eine Referendariats-Station bei der Kanzlei. Seither schwärmt sie für die Arbeit dort: „Hier kann ich meine analytischen Fähigkeiten schärfen und sehr viel lernen.“ Ganz nebenbei verdient sie viel Geld: Im ersten Jahr kassieren Associates, wie Wirtschaftskanzleien junge Mitarbeiter nennen, rund 100 000 Euro brutto.

So glatt wie bei Stein-Kaempfe verläuft der Karrierebeginn bei den wenigsten jungen Juristen. Denn das Studium der Rechtswissenschaften ist per se kein Garant mehr für einen sicheren Job und ein hohes Einkommen. Zu den Privilegierten gehört nur noch, wer sein Staatsexamen mit Prädikat abschließt. Wer nur durchschnittlich abschneidet, kann weder Richter noch Staatsanwalt werden. Und auch Großkanzleien wie Freshfields suchen nur Kandidaten mit Auszeichnung.

Die Gruppe der Prädikats-Absolventen ist klein: Mit „Voll befriedigend“ oder besser schnitten im Jahr 2006 im zweiten Staatsexamen gerade einmal 16,4 Prozent der Teilnehmer ab. Die Folge: Juristen sind in zwei Gruppen gespalten. Die Vertreter der einen haben hochbezahlte Jobs in Kanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen oder zumindest ein sicheres Auskommen mit hohem Prestige als Richter oder Staatsanwalt. Die Vertreter der anderen Gruppe plagen dagegen oft Existenzsorgen: Sie müssen sich notgedrungen als Anwalt selbstständig machen. Diese Berufseinsteiger verdienen oft auf Hartz-IV-Niveau. Das belegen Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). So macht der durchschnittliche Gründer einer Einzelkanzlei im Monat einen Umsatz von 1 531 Euro.

„Obwohl sich viele Juristen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden, haben die meisten Jura-Studenten noch immer eine Muster-Karriere im Kopf. Unter ihren beliebtesten Arbeitgebern finden sich angesehene Großkanzleien. Die meisten Studenten würden zwar gern für das Auswärtige Amt arbeiten. Direkt danach folgen aber mit Freshfields, Hengeler Mueller und Clifford Chance internationale Sozietäten. Neben den renommierten Anwaltsfirmen rangieren auch einige prominente Unternehmen unter den Wunscharbeitgebern: Die Unternehmensberatung McKinsey genauso wie die Deutsche Lufthansa und der Stuttgarter Automobilbauer Porsche.

Grundsätzlich bieten sich frischgebackenen Juristen drei Karrierewege, wenn sie als Angestellte arbeiten wollen. Erstens können sie in einer Kanzlei anheuern. Neben den großen internationalen Firmen suchen viele mittelständische Kanzleien junge Mitarbeiter. Die Kehrseite der hohen Gehälter, die Juristen hier kassieren: Die Arbeitsbelastung ist hoch.

Karriereweg Nummer zwei: Wer sein Staatsexamen mit Prädikat abgeschlossen hat, kann sich für den Staatsdienst bewerben. Sowohl als Staatsanwalt als auch als Richter arbeiten schon junge Juristen eigenverantwortlich und selbstständig. Sie müssen aber mit dem Erfolgsdruck zurecht kommen, der in Behörden Einzug gehalten hat. Außerdem verdienen sie nicht einmal die Hälfte der Top-Gehälter.

Karriereweg Nummer drei: In den Rechtsabteilungen von Unternehmen kümmern sich Juristen darum, dass Verträge wasserdicht sind, Mitarbeiter ihre Pflichten kennen und das Unternehmen insgesamt Risiken vermeidet. Außerdem fechten die Hausjuristen Rechtsstreitigkeiten mit Kunden und Geschäftspartnern aus. Juristen können sich hier auf wenige Hauptthemen konzentrieren und sich so spezialisieren, berichtet Ingrid Harke, die seit einem halben Jahr in der Rechtsabteilung der Lufthansa arbeitet. Steigen Juristen bei einem Unternehmen ein, verdienen sie häufig mehr Geld als Betriebswirte. So liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt in der Automobilindustrie bei 59 860 Euro, in der Chemie-Industrie bei 53 500 Euro. Noch mehr bezahlen nur noch die großen Kanzleien mit mehr als 100 Angestellten. Hier verdienen Jung-Juristen im Schnitt 65 000 Euro.

Doch all diese Karrierewege sind Absolventen verschlossen, wenn sie nicht mit einem Prädikat abschließen. Experten raten Jura-Studenten deshalb, nicht alles auf eine Karte zu setzen: Statt sich nur auf das Studium zu konzentrieren, sollten sie möglichst viele Zusatzqualifikationen erwerben. „Dann haben sie auf dem Arbeitsmarkt selbst dann noch gute Chancen, wenn das Staatsexamen schlechter ausfällt als erhofft“, sagt zum Beispiel Astrid Tostmann, Partnerin der Personalberatung Heidrick & Struggles.

Um sich für spätere Arbeitgeber interessanter zu machen, sollten Jurastudenten tun, was für BWL-Studenten längst selbstverständlich ist. Statt in den Semesterferien in Urlaub zu fahren, sollten sie Praktika machen – bei Anwaltskanzleien oder Unternehmen, rät Tostmann. So sammeln sie Erfahrungen und eignen sich Engagement und Neugier an – und können ganz nebenbei Kontakte knüpfen. Das gleiche gilt, wenn Jura-Studenten regelmäßig in einer Kanzlei als Hilfskraft arbeiten.

Zweitens: Fremdsprachen sind ein großer Pluspunkt. Flüssiges Englisch verlangen große Kanzleien und Unternehmen von ihren Bewerbern ohnehin. Wer zusätzlich weitere Sprachen beherrscht – im Idealfall exotische wie Chinesisch oder Japanisch – gehört er zu einer kleinen hochqualifizierten Mitarbeitergruppe. Ein weiteres Plus sind weitere akademische Titel. „Besonders gern gesehen ist ein Master of Laws von einer angesehenen angelsächsischen Hochschule“, sagt Tostmann. Drittens: Wenn sich angehende Juristen nebenbei mit Wirtschaft beschäftigen, können sie später nicht nur in klassischen Rechtsberufen arbeiten, sondern sich auch auf viele andere Positionen bewerben. Viele Firmen stellen Juristen zum Beispiel in der Personalabteilung ein.

Um sich mit diesen Strategien von der großen Absolventenmasse abzuheben, müssten Jura-Studenten viel Eigeninitiative an den Tag legen, sagt auch Mathieu Klos vom Juristen-Fachverlag Juve. Denn regelmäßige Praktika, Sprachen und Betriebswirtschafts-Kurse zählen im Jura-Studium nicht zum Pflichtprogramm. Jeder Student muss sich selbst um Zusatzqualifikationen kümmern.

Trotz aller Probleme ihres Berufsstands brauchen aber selbst solche Juristen nicht den Kopf in den Sand zu stecken, die sich als Anwälte selbstständig machen. „Wenn sie eine klare Strategie verfolgen und sich spezialisieren, haben sie durchaus eine Chance, sich am Markt zu etablieren“, ermutigt der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (Brak), Axel Filges, potenzielle Gründer. Eine Möglichkeit besteht darin, einen Fachanwalts-Titel zu erwerben (Kasten). Der Aufwand lohnt sich: 80 Prozent der Mandanten orientieren sich bei ihrer Anwalts-Suche nach Fachanwalts-Titeln, hat die Brak herausgefunden. Und auch finanziell zahlt sich ein Titel im Briefkopf oder auf dem Türschild aus: Fachanwälte können deutlich höhere Honorare verlangen als andere Advokaten.

Beitrag aus dem Magazin „Junge Karriere“

Christoph Hus

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