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Jobs & Karriere: Strahlende Zukunft

Union und FDP planen längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Das Personal für den Betrieb fehlt zum Teil schon heute

Mit dem Regierungswechsel kommt der Ausstieg aus der Kernenergie erneut auf die politische Tagesordnung. Union und FDP haben diese Woche angekündigt, dass sie die Laufzeitbefristung für Kernkraftwerke auf 32 Jahre aufheben wollen. Aber egal, wann die Kraftwerke vom Netz genommen werden – für den Betrieb, aber auch für die Stilllegung und den Abbau von Anlagen werden erfahrene Fachleute benötigt. Die fehlen schon jetzt – und in einigen Jahren könnte sich die Situation noch weiter verschärfen.

„Viele Mitarbeiter in Behörden und in der Industrie sind heute zwischen 50 und 60 Jahre alt“, sagt der Nuklearexperte Michael Sailer vom Ökoinstitut in Darmstadt. „In den kommenden zehn Jahren werden sie in den Ruhestand gehen, sodass kaum Zeit ist, die nachfolgende Generation einzuarbeiten.“ Der Fachkräftemangel lasse sich nicht genau beziffern. Schätzungen reichen von einigen 100 bis einigen 1000 Mitarbeitern.

Maschinenbauer, Physiker, Elektro- und Verfahrenstechniker oder Chemiker können sich mit einer Weiterbildung für die Branche qualifizieren. Wer Verantwortung für einen möglichst sicheren Betrieb bis zum Ausstieg übernehmen wolle und technisch versiert sei, für den biete die Nukleartechnologie ein spannendes Tätigkeitsfeld, sagt Seiler. „Ein Verfechter von Atomkraftwerken muss man nicht sein.“

Auch Sven Dokter von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) kennt das Problem, geeignetes Personal zu finden. Seine Einrichtung hat als Reaktion auf den Fachkräftemangel in diesem Jahr ein Trainee-Programm, die „GRS Akademie", gestartet. Elf Absolventen naturwissenschaftlicher Studiengänge – in der Regel Physiker und Chemiker, aber auch Ingenieure – bekommen eine einjährige Ausbildung zu Nuklearsicherheit, die sie befähigen soll, unter anderem als Gutachter für Fragen der nuklearen Sicherheit zu arbeiten.

Das Programm zielt dabei nicht nur auf die Fortbildung eigener Mitarbeiter ab, sondern steht auch Mitarbeitern der Aufsichtsbehörden offen. Etwa zwei Drittel der Ausbildung ist schulisch, den Rest der Zeit lernen die Trainees in verschiedenen Abteilungen „on the Job“. Teil des Lehrgangs sind auch Kurse in der Kraftwerksschule in Essen, wo alle Leitwarten der in Deutschland aktiven AKW-Typen im Maßstab 1:1 nachgebaut sind. „Da die Ausbildung recht kostspielig ist, wissen wir noch nicht, ob wir künftig in jedem Jahr ein Programm mit gleichem Umfang durchführen werden“, sagt Sven Dokter. Bisher wurden neue Mitarbeiter über mehrere Jahre im Team mit erfahrenen Gutachtern eingearbeitet, begleitet von mehrtägigen Ausbildungsmodulen, die nach wie vor durchgeführt werden.

Auch der TÜV Nord reagierte vor sechs Jahren auf den Generationenwechsel in den eigenen Reihen und gründete das Weiterbildungsprogramm Kerntechnik. Inzwischen schicken auch andere Gutachterorganisationen und Behörden ihre neuen Mitarbeiter zu den Kursen. Dabei geht es nicht nur um technische Abläufe: „Auch das Thema Mensch-Technik-Organisation (MTO), das in der Auswertung des Störfalls Krümmel eine Rolle spielte, wird immer wichtiger und bietet ein Betätigungsfeld für Psychologen“, sagt Ulrich Tietze vom TÜV Nord.

Die Unis melden ebenfalls einen Nachwuchsmangel. Am Bachelor- und Master-Studiengang Nukleartechnik der TU München sind derzeit gerade mal fünf Studenten immatrikuliert. „Die Vorlesungen sind mit bis zu 60 Hörern trotzdem gut besucht, denn sie interessieren auch viele Studenten benachbarter Disziplinen“, sagt TUM-Sprecher Andreas Battenberg. „Von der Industrie werden Maschinenbauer, Verfahrenstechniker, Physiker oder technische Chemiker gesucht mit einem gesunden Grundwissen in ihrem Bereich und einer Spezialisierung auf Kernenergie im Hauptstudium“, bestätigt Joachim Knebel, Leiter des Programms „Nukleare Sicherheitsforschung“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Die Vorlesungen sind an vielen Universitäten in englischer Sprache und international ausgerichtet. Denn weltweit ist das Interesse an in Deutschland ausgebildeten Kernkraft-Experten groß. Der Reaktorhersteller Areva stellt in Deutschland jährlich 1000 Ingenieure ein, weltweit etwa 10 000. Um Personal auszubilden, finanziert er die „Areva Nuclear Professional School“ am Karlsruher Institut für Technologie mit dem Ziel der Weiterbildung junger Ingenieure und Naturwissenschaftler zu Experten in allen Bereichen der Kerntechnik. An der TU München finanziert der Kernkraftbetreiber Eon die Professuren mit – und rekrutiert seinen Nachwuchs oft direkt von der Uni.

Michael Sailer vom Ökoinstitut findet an der Zusammenarbeit der Universität mit der Industrie prinzipiell nichts Anstößiges. „Ich finde es in Ordnung, wenn sich die Industrie als Verursacher des Problems an der Ausbildung von Fachkräften beteiligt“, sagt er. Es müsse allerdings sichergestellt sein, dass kein einseitiger Einfluss auf die Lehrinhalte genommen werde.

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