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Kartelle: Petzen lohnt sich

Die Zahl der Kartellverfahren steigt – auch dank einer neuen Kronzeugenregelung.

Berlin - Wenn die Anrufe im Minutentakt kommen, ist das Kartell nervös geworden. „Manchmal ruft das erste Unternehmen um 11.36 Uhr an, das zweite um 11.38 Uhr“, sagt Silke Kaul, Sprecherin des Bundeskartellamtes. „Die Firmen wissen, dass sie sich schnell entscheiden müssen.“ Denn wer zu spät zum Hörer greift, zahlt wesentlich höhere Strafen, wenn das Kartell auffliegt. Und das passiert immer öfter in Deutschland. Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres leiteten die Bonner Wettbewerbshüter Kartellverfahren gegen Schokoladenhersteller, Mühlenkonzerne, Apotheken, Hersteller von Dekorpapier und Drogerieartikeln ein.

„Das Ding wirkt“, sagte Kartellamtssprecherin Kaul. Das Ding ist die neue Kronzeugenregelung („Bonusregelung“), die das Kartellamt 2005 eingeführt hat. Seitdem kann die Behörde Unternehmen, die an einem illegalen Kartell (siehe Kasten) beteiligt sind und als erstes Mitglied dieses Geheimzirkels mit dem Amt kooperieren, das Bußgeld komplett erlassen. Dem zweiten und dritten Kartellmitglied, das sich outet, kann die Strafe noch zur Hälfte erlassen werden. Der Einsatz kann sich auszahlen, denn wer als Mitglied eines Kartells erwischt wird, muss zur Strafe bis zu zehn Prozent des Jahreskonzernumsatzes abdrücken. Auch das ist neu. „Die abschreckende Wirkung ist deutlich größer geworden“, bestätigt Kartellrechtsexperte Christian Steinle von der Kanzlei Gleiss Lutz, der Unternehmen vertritt.

Wie weh eine Kartellstrafe tun kann, hat unter anderem der Fernsehkonzern Pro Sieben Sat 1 erfahren müssen. Im dritten Quartal 2007 musste er erstmals seit vier Jahren einen Verlust ausweisen, weil das Bundeskartellamt ihn wegen unzulässiger Rabatte zu 129 Millionen Euro Bußgeld verdonnert hatte.

Seit Einführung der neuen Bonusregelung ist die Zahl der Bußgeldverfahren kräftig gestiegen. 2006 gab es gerade sieben Bonusanträge und sechs Kartellfälle, ein Jahr später waren es bereits 41 Anträge in zwölf Fällen. Kartellamtssprecherin Kaul rechnet damit, dass die Zahl der Fälle weiter zunimmt. „Es gibt zwar nicht mehr Kartelle, aber dank der Bonusregelung werden immer mehr Fälle aufgedeckt.“ „Die EU-Kommission erstickt fast in Bonusanträgen.“ Firmen, die von der Bonusregelung Gebrauch machen, müssen nämlich bei der EU-Kommission einen Antrag auf Bußgelderlass stellen.

Auch Kartellrechtler Steinle geht von einer steigenden Zahl von Verfahren aus. Bei den Wettbewerbshütern sei seit einiger Zeit auch ein „größerer Verfahrenseifer“ zu beobachten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mehr Personal eingestellt wurde. „Seit etwa einem Jahr geht es in Bonn richtig zur Sache“, sagt er. Seitdem würden mehr Fälle als früher bearbeitet und zügiger zum Abschluss gebracht. Während die Bearbeitung früher im Schnitt mehrere Jahre gedauert habe, würden Verfahren jetzt teilweise nach einem Dreivierteljahr beendet.

Und während früher vor allem Baustoffhersteller und Chemieunternehmen wegen Preisabsprachen aufflogen, geraten immer öfter auch Mittelständler ins Visier der Fahnder, bei denen Kartellabsprachen früher oft als Kavaliersdelikt galten. „Die Unternehmen haben ihre Lektion gelernt“, sagt Steinle.

Maren Peters

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