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Wirtschaft: Keine Späße mit deutschem Bier

Humor hat in der deutschen Werbung Seltenheitswert – nur wenige Agenturen wie Jung von Matt brechen mit dem Tabu

Von Erin White

In der internationalen Werbebranche heißt es, dass die Adjektive „deutsch“ und „kreativ“ unvereinbar sind. Jahrzehntelang glaubte man in den deutschen Werbeagenturen, dass die Deutschen in der Werbung Fakten wollen und keinen Spaß. Daher ist die typisch deutsche Werbung vor allem eines: textlastig. „Humor kann die Aufmerksamkeit vom Produkt lenken", sagt Frank-Michael Schmidt von der Werbeagentur J. Walter Thompson. „Niemand sieht eine Werbung, um unterhalten zu werden.“ Schmidt ist überzeugt, dass man ein Produkt „mit sehr langweiliger Werbung“ aufbauen kann.

„Ich denke, das ist nur die Rechtfertigung für Leute, die keine gute Werbung machen“, kontert Oliver Voss, Kreativdirektor bei Jung von Matt, einer Hamburger Agentur, deren Werbung bissigen, politisch kontroversen Humor bietet. Voss ist einer der wenigen deutschen Werber, die nicht glauben, dass sich stumpfsinnige Werbung gut verkauft. Eines der jüngsten Projekte der Agentur ist eine Anzeige der Autovermietung Sixt mit Shawne Fielding, einer texanischen Schönheitskönigin und Frau des früheren Schweizer Botschafters in Berlin. In der vierseitigen Anzeige liest man auf der ersten Doppelseite in fetten Lettern: „Shawne Fielding oben ohne. Der Playboy hat es versucht. Sixt hat es geschafft.“ Auf der nächsten Doppelseite sieht man Frau Fielding im offenen Kabrio.

Manche Werbefachleute in Deutschland halten diese Form von Werbung für zu gewagt, gerade angesichts der wirtschaftlichen Situation im Lande. Sie meinen, die schwache Konjunktur habe die Kunden konservativer gemacht. Peter John Mahrenholz, leitender Manager bei Jung von Matt, sagt dagegen, die Unternehmen in Deutschland seien zu „passiv“ bei der Werbung. In guten Zeiten, sagt er, zögerten sie, etwas Neues auszuprobieren, wenn ihre Kampagne einigermaßen laufe. Und in schlechten Zeiten scheuten sie sich, ein Risiko einzugehen. „Einige Firmen gehen nach ihrer dritten mäßig erfolgreichen Werbekampagne wieder zu einem konservativen Unternehmen", sagt er. „Das ist wirklich seltsam."

In der Tat gab es lange nirgendwo sonst auf der Welt so ernsthafte Werbung wie in Deutschland. In einer Anzeige für „Exquisa fitline 0,2 Prozent“ sieht man eine schlanke, lächelnde Blondine am Strand joggen. Der Text ist rein informativ: „Exquisa fitline erfüllt Ihre Wünsche für einen gesunden und leicht verdaulichen Brotaufstrich mit nur 0,2 Prozent Fett und biologisch hochwertigem Protein.“ Ergänzt wird die Information von einem Diagramm mit zwei Kurven, eine rot und eine blau, die den Fett- und Proteingehalt von Exquisa filtline 0,2 Prozent mit den Produkten der Konkurrenz vergleichen.

In den USA und Großbritannien ist die Bierwerbung bekannt für ihren Humor. In Deutschland dagegen zeigt eine Anzeige für Becks-Bier eine Frauenhand, die zwei Bierflaschen hält. Darunter der Text: „Der reine Geschmack von Pils. Grenzenlos frisch. Auch alkoholfrei erhältlich." – „Bei Bier geht es nur um Qualität, Tradition und das deutsche Reinheitsgebot", erklärt Herbert Pütz, Generaldirektor der Frankfurter Werbeagentur Young&Rubicam. In der deutschen Werbung „hat es noch niemand gewagt, Späße mit Bier zu machen." Bei internationalen Werbekampagnen, die in Deutschland ausgestrahlt werden, wird oft ein Text oder eine Grafik hinzugefügt, um die Botschaft zu untermauern. Als Evian vor ein paar Jahren für sein Mineralwasser in Deutschland zu werben begann, entschied seine deutsche Werbeagentur Euro RSCG Thomsen Röhle, eine Kampagne zu übernehmen, die von der französischen Schwestergesellschaft entworfen worden war. Im humorvollen Werbespot der französischen Agentur tanzten Babys zu fröhlicher Musik. Allerdings mussten in Deutschland dem Verbraucher konkrete Gründe für den Kauf des Produkts geliefert werden. Also wurden die Zeilen eingeblendet: „Erleben Sie, wie jung Sie sich mit Evian fühlen werden“ und „Evian ist einzigartig mit ausgewogenen Mineralien".

Jung von Matt versucht, die Risikofreude seiner Kunden zu erhöhen. Maskottchen der Agentur ist ein Trojanisches Pferd – Symbol für gute Werbung einerseits und Metapher für den besonderen Vorstoß der Hamburger Agentur. Oliver Voss gewöhnt seine Kunden auf die sanfte Art an den Werber-Humor: „Diesmal macht man ein bisschen und das nächste Mal ein bisschen mehr", sagt er.

Übersetzt und gekürzt von Svenja Weidenfeld (Werbung), Karen Wientgen (Missoni), Christian Frobenius (EU), Tina Specht (Russland) und Matthias Petermann (Nato).

Erin White

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