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Wirtschaft: Konkurrenz aus den Karpaten

Schlaue Programmierer gibt es nicht nur in Indien – auch Rumänien erlebt dank der Aufträge aus dem Westen einen Hightech-Boom

Rent a coder“ ist eine von zahlreichen Webseiten, auf denen Programmierer in der ganzen Welt freiberuflich Softwaredienstleistungen anbieten, meist für amerikanische oder europäische Unternehmen, die ein kleines Projekt für wenig Lohn im Ausland durchführen wollen. Es überrascht nicht, dass die meisten Programmierer, die auf diesem Wege Arbeit suchen, aus Indien stammen, das in den USA mittlerweile für seine Helpdesks und Call-Center in Bangalore bekannt ist. An zweiter Stelle steht, völlig unerwartet, Rumänien, und das trotz seiner nur 23 Millionen Einwohner und seiner Vergangenheit als isolierter Ostblockstaat.

Der Hightech-Boom in Indien hat seine Wurzeln in einer technologieorientierten Wirtschaftspolitik und den Investitionen von Indern, die aus dem Ausland heimkehren. Rumänien dagegen verdankt seinen neu aufkommenden Sinn für Hightech dem Kommunismus, so seltsam das klingen mag. Die Kommunisten waren Technik- und Industrialisierungsfetischisten; all die riesigen, größenwahnsinnigen Bauprojekte, für die das Ceausescu-Regime berüchtigt war, erforderten Armeen begabter Ingenieure und Mathematik wird in den Schulen immer noch groß geschrieben.

Das Land hat auch eine lange Computergeschichte. In den 60er-Jahren stellte es Kopien von IBM-Großrechnern her, und Computer aller Art sind seit langem populär. Das Breitband erfreut sich zunehmender Beliebtheit, und Internetcafés sprießen hervor, insbesondere in der Nähe von Universitäten.

Das Web erlaubt einigen wenigen gebildeten Rumänen, in bescheidenem Wohlstand zu leben. Programmierer wie der 28-jährige Catalin Ionescu sagen, die Freude an der Arbeit komme – wen wundert es – mit dem Geld. Computer-Experten können zwischen zehn oder 20 US-Dollar (8,50 bis 17 Euro) pro Stunde verdienen, ein Vielfaches dessen, was die Rumänen durchschnittlich verdienen. Die Jobs können zwar sporadisch sein – haben aber noch einen Vorteil: Man kann der Korruption entfliehen, die für viele Rumänen immer noch so erdrückend ist wie einst der Kommunismus. Mit dem Geld können sie sich eine kleine Wohnung leisten, vielleicht einen gebrauchten Dacia-Pkw und nach ein paar Jahren vielleicht sogar einen Kurzurlaub in Griechenland.

Die Programmierer werden in der Regel beauftragt, bei der Umsetzung eines neuen Spiels oder beim Errichten einer Webseite für ein kleines US-Unternehmen zu helfen. Darin liegt zugleich eine gewisse Ironie: Während die Rumänen für ihre Kunden im Westen routiniert hocheffiziente E-Commerce-Seiten errichten, müssen sie sich daheim mit einem antiquierten Banksystem zufrieden geben.

Noch sind es eher die kleineren Aufträge, die Rumänien an Land ziehen kann. Aber auch hier bemühen sich die Freiberufler, an größere Aufträge zu kommen. Rumäniens größte Softwarefirma Softwin mit fast 500 Beschäftigten, die für ihre Antivirus-Programme bekannt ist, startet jetzt auch Auslandsprojekte.

Ihre Fähigkeit, europäische Sprachen zu sprechen, gibt den rumänischen Programmierern einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihren Kollegen in Indien oder Russland. Softwin betrieb im Jahr 2000 nur für zwei Kunden aus Europa ein Helpdesk – mittlerweile sind es 27. In Ländern wie Frankreich wird die Vergabe von Aufträgen an ausländische Unternehmen ebenso kritisch gesehen wie in den USA, und deshalb wollen die französischen Unternehmen nicht ertappt werden. Softwin legt daher bei seinen für Frankreich zuständigen Mitarbeitern Wert auf ein perfektes Französisch. Die Damen und Herren müssen am Telefon außerdem angeben, sie riefen aus dem Großraum Paris an.

Auch wenn jeder rumänische Programmierer jetzt Möglichkeiten hat, die vor zehn Jahren noch unvorstellbar gewesen wären, gibt es im globalen Wettbewerb keinen schnellen Weg zum Erfolg. Es gibt Bewertungssysteme ähnlich wie bei Ebay, und die Programmierer wissen, dass sie die besten Aufträge nur mit guten Bewertungen zufriedener Kunden bekommen.

Die Konkurrenz ist sauer

Also würden sie fast alles tun, um Erfahrung zu sammeln. „Sobald ein Jobangebot auf den Markt kommt, gibt es zehn Inder und zehn Russen, die bereit sind, den Auftrag für einen Dollar anzunehmen, nur damit sie einen Job haben und eine Bewertung bekommen“, sagt der Programmierer Florentin Badea. In Wahrheit haben nur wenige Programmierer in Rumänien so viele gute Bewertungen, dass sie es sich leisten können, wählerisch zu sein. In diesem Stadium, sagt Programmierer Ionescu, „muss man eine Nische finden“, eine Spezialisierung aufweisen, die ein Neueinsteiger in Indien oder Russland nicht hat.

Das haben lange aber auch die amerikanischen Softwareexperten geglaubt; sie waren sich sicher, aufgrund ihres Know-hows einen dauerhaften Vorteil gegenüber dem Rest der Welt zu haben. In Rumänien wissen alle Programmierer, dass man in Amerika über ihre Arbeit nicht gerade erfreut ist. Sie zeigen sich erstaunlich betroffen von der Erkenntnis, dass ihre bescheidenen Einnahmen auf Kosten anderer gehen. Ionut Ianasi, ein 22-jähriger Programmierer aus Bukarest, sagt: „Wenn das mir passieren würde, wäre ich auch sauer.“

Texte übersetzt und gekürzt von Matthias Petermann (Europas Konjunktur, China), Svenja Weidenfeld (Rumänien), Tina Specht (Microsoft) und Christian Frobenius (Handelskrieg).

Lee Gomes

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