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Wirtschaft: Konsequenter Überstundenabbau schafft nur 20 000 neue Arbeitsplätze

Die Gewerkschaften gehen weiter von 500 000 möglichen neuen Stellen aus, die Arbeitgeber sehen sich dagegen in ihrer Kritik an der geplanten Maßnahme bestätigtrst Durch den Abbau von Überstunden lassen sich kaum neue Arbeitsplätze schaffen. Zu dieser Einschätzung kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem am Mittwoch vorgelegten Wochenbericht.

Die Gewerkschaften gehen weiter von 500 000 möglichen neuen Stellen aus, die Arbeitgeber sehen sich dagegen in ihrer Kritik an der geplanten Maßnahme bestätigtrst

Durch den Abbau von Überstunden lassen sich kaum neue Arbeitsplätze schaffen. Zu dieser Einschätzung kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem am Mittwoch vorgelegten Wochenbericht. Darin heißt es, dass durch einen konsequenten Überstundenabbau höchstens 20 000 statt der erhofften 400 000 bis 900 000 Jobs entstehen würden. Während die Arbeitgeber sich durch die Studie bestätigt fühlen, geht der DGB weiter davon aus, dass eine konsequente Reduzierung der Überstunden 500 000 neue Stellen bringt.

Die Berliner Wirtschaftsforscher dämpfen die Hoffnung, dass der Abbau von Überstunden zu einem Jobwunder führen könnte. Denn: Nur ein kleiner Anteil der geleisteten Überstunden lässt sich nach Einschätzung des DIW tatsächlich in neue Arbeitsstellen ummünzen. Zwar würde sich rein rechnerisch ein Bedarf von bis zu 185 000 neuen Stellen ergeben, sollten die zuletzt 1,8 Mrd. bezahlten Überstunden pro Jahr per Gesetz eingedämmt werden. In der Praxis könne man jedoch nur 40 Prozent der Überstunden streichen. Und nur die Hälfte dieses Volumens ließe sich dann in neue Stellen umwandeln.

Der Grund: Das Gros der bezahlten Mehrarbeit fällt in qualitativ anspruchsvollen Bereichen an. Knapp 75 Prozent der hochqualifizierten Angestellten in Westdeutschland leisteten 1997 Überstunden, bei den gering qualifizierten Arbeitern waren es gerade mal 35 Prozent. In Ostdeutschland ist die Differenz zwischen den beiden Gruppen deutlich geringer, der Trend zeigt aber in dieselbe Richtung. Für höher qualifizierte Tätigkeiten lasse sich jedoch nur schwer Ersatz auf dem Arbeitsmarkt beschaffen, sagen die Forscher. Die von dieser Gruppe geleistete Mehrarbeit könne nur "sehr begrenzt von neu eingestellten, bisher arbeitslosen Arbeitskräften übernommmen werden". Hochqualifizierte Erwerbslose seien aber nur selten in den Listen der Arbeitsämter zu finden. Wenn man durch die Reduzierung von Überstunden Jobs schaffen wolle, dann im gering qualifizierten Bereich. Und das ergibt die Reduzierung auf 20 000 mögliche neue Arbeitsplätze.

Erschwerend kommt nach Ansicht der Wirtschaftsforscher hinzu, dass immer weniger Überstunden finanziell abgegolten würden. Bezahlte Überstunden haben seit 1990 dramatisch abgenommen: In Westdeutschland erhielten 1997 nur noch 42 Prozent aller Arbeiter und knapp neun Prozent aller Angestellten Geld als Ausgleich. Der Trend gehe zu unbezahlter Mehrarbeit: Vielfach würden Überstunden per Freizeitausgleich abgegolten oder mit Hilfe von Arbeitszeitkonten aufgefangen, was auch den Spielraum für potenzielle Beschäftigungseffekte einenge. Die im Bündnis für Arbeit angestrebten Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung dürften diesen Trend nach Einschätzung des DIW sogar noch verstärken, was dazu führe, dass noch weniger Jobs durch eine Eindämmung der Überstunden entstünden.

Schließlich sei es immer häufiger so, dass Überstunden gar nicht erst gesondert erfasst, sondern ab einer gewissen Gehaltsstufe automatisch und ohne spezielle Abrechnung vom Arbeitgeber erwartet würden. Mit der Studie liefert das DIW Zündstoff für einen zentralen Streitpunkt bei den Verhandlungen zum Bündnis für Arbeit. Über die positiven Beschäftigungswirkungen durch den Abbau von Überstunden gehen die Meinungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern nach wie vor weit auseinander.

Die Arbeitgeber-Seite fühlt sich durch die DIW-Studie bestätigt. "Das haben wir immer schon gesagt", betont Stefan Küpper, Tarifexperte bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Der mögliche Beschäftigungseffekt durch Überstundenabbau dürfe nicht überschätzt werden. Überstunden fielen eher bei höher qualifizierten Arbeitnehmern an, Arbeitslosigkeit sei dagegen überwiegend ein Problem der weniger Qualifizierten. Zudem bräuchten die Unternehmen Flexibilität in diesem Bereich, ergänzt Dieter Rath, Sprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Industrie (BDI). Überstunden würden schließlich nicht gefahren, weil die Unternehmen keine Lust hätten, neue Leute einzustellen, so BDA-Mann Küpper.

Bei den Gewerkschaften herrscht Gelassenheit vor: "Die Studie rüttelt nicht an unseren Berechnungen, da hat sich nichts geändert", sagt Ekkehard Schwabe, Tarifexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der DGB gehe weiter von rund 500 000 neuen Arbeitsplätzen aus, die durch eine Reduzierung der bezahlten Überstunden erreicht werden könne. Für ihn stehen einfach zwei unterschiedliche Positionen im Raum. Auch Hartmut Seifert, Leiter des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), hält an den bisherigen Zahlen von Gewerkschaftsseite fest: "Der Sockel an bezahlten Überstunden ist dafür groß genug." Hinzu komme, dass Arbeitslose nicht durchweg unqualifiziert seien. Dennoch müsse bei der Kürzung der Überstunden in den Betrieben Rücksicht auf den lokalen Arbeitsmarkt genommen werden: "Da muss man differenziert vorgehen." © 1999

rst

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