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Wirtschaft: Konstanza Kavrakova-Lorenz

(Geb. 1941)||Die Figur und ihr Erzähler. Die Idee und ihr Schöpfer. Wer belebt wen?

Die Figur und ihr Erzähler. Die Idee und ihr Schöpfer. Wer belebt wen? Du triffst dich mit einem Deutschen? Dann beeil dich! Zack zack, du musst pünktlich sein!“ So stichelten die Kommilitonen. Und Konstanza rannte die Moldau entlang. Sie war nur zehn Minuten zu spät. Sie war durchgeschwitzt. Beides hat Hartmut später nie wieder an ihr erlebt. Zwei große Liebeserklärungen.

Kennen gelernt haben sie sich an der Kunsthochschule in Prag, wo sie Puppenspielregie studierten. Vom ersten Moment an bewunderte Hartmut die schöne Bulgarin. Konstanza hatte bereits als Buchillustratorin gearbeitet, beherrschte mehrere Sprachen, kannte die Weltliteratur und spazierte in ihrer Freizeit durch die philosophischen Denksysteme seit Plato. Und sie konnte alle Männer unter den Tisch trinken, wobei der Wein ihren gefürchteten Formulierungen einen noch schärferen Schliff verlieh.

Haltung zu bewahren, hatte sie sich schon als kleines Mädchen von den Eltern abgeschaut. Konstanza entstammte einer Großgrundbesitzerfamilie, die nach dem Krieg enteignet wurde. Der Stiefvater, einst hochrangiger Offizier des bulgarischen Zaren, musste über Nacht all seine Orden ablegen und ein Ingenieursstudium beginnen. Die Mutter, die Französisch fürs Parlieren gelernt hatte, auf keinen Fall aber zum Geld verdienen, fand sich als Fremdsprachenkorrespondentin im Außenhandelsministerium wieder, wo sie für ein kleines Gehalt die Post erledigte. Doch anstatt zu klagen, achteten die Eltern strenger als zuvor auf gute Manieren und eine elegante Erscheinung. Alles kann man uns nehmen, niemals aber unseren Stolz, das war die Botschaft, die Konstanza von ihnen empfing.

Wer sie intellektuell angriff, sollte gut gerüstet sein, denn sie pflegte das präzise Wissen und die schlüssige Argumentation wie ein Krieger seine Waffen. „Sie haben eine pedantische Phantasie“, wagte ein Dozent eine theatertheoretische Hausarbeit Konstanzas zu kommentieren. Bei unqualifizierten Äußerungen wie dieser zog Konstanza gewöhnlich ihren Mund zu einem breiten Lächeln auseinander. Dann zündete sie sich eine Zigarette an und ließ ein ebenso lautes wie abschätziges „Naja“ erklingen. Anschließend stutzte sie den Gegner zurecht. In diesem Fall wies sie dem Dozenten nach, dass er die Thesen, mit denen er sich rühmte, von anderen abschrieb. Es war der Frühling 1968, man befand sich in Prag. Es fiel ihr nicht schwer, einen Studentenprotest anzuzetteln, der den Lehrer ohne Lehre zum Rücktritt zwang. Der Kampf um die eigene Person war bei Konstanza immer auch ein Kampf um Inhalte.

1969 folgte sie Hartmut in die DDR, wo sie als Regisseurin und Szenografin an der Revolutionierung verschiedener Puppenspielbühnen arbeitete.

Konstanza, die Unbequeme, wollte das Puppentheater von der Verharmlosung und Verniedlichung befreien, mit der das Bürgertum es überzogen hatte wie mit Marzipan. Gibt es ein magischeres Geschöpf als die Puppe? Und ist Magie nicht ein anderes Wort für Kraft? Moderne Literatur wollte sie auf die Bühne holen, die großen gesellschaftlichen und philosophischen Fragen stellen. Niemand, davon war sie überzeugt, eignete sich dafür besser als das Duo Puppe und Puppenspieler: Die Figur und ihr Erzähler. Die Idee und ihr Schöpfer. Wer war zuerst da? Wer belebt wen?

Doch das Stadttheater erwies sich als ein träges Schiff, dessen Kurs Konstanza mit ihren Inszenierungen allein nicht ändern konnte, so erfolgreich sie auch waren. Mit 41 Jahren schrieb sie sich an der Humboldt-Universität ein, die sie vier Jahre später als Doktor der Philosophie und der Theaterwissenschaften wieder verließ. Nun stritt sie neben den künstlerischen auch mit wissenschaftlichen Mitteln für die Bedeutsamkeit und die Professionalisierung des Puppentheaters. Sie veröffentlichte Essays, hielt Vorträge und lehrte an der Schauspielschule Ernst Busch, wo ihr Mann die Abteilung Puppenspielkunst aufgebaut hatte. Ihrer zwingenden Argumentation beugte sich schließlich auch der Berliner Bildungssenator, der den Fachbereich nach der Wende schließen wollte.

Konstanzas Kampf gegen Oberflächlichkeit auf den Bühnen und im Denken bedeutete nicht, dass sie keinen Sinn für Oberflächen hatte. Sie liebte schöne Kleider, waren sie doch der Beweis dafür, dass Vollkommenheit möglich ist. Hatte Konstanza kein Geld, lieh sie sich welches und vergaß die Schulden. Hatte sie selber Geld, verschenkte sie es in alle Richtungen. Ihre Strenge war eine Form der Großzügigkeit: Gespräche, Bühnen und Menschen aus der Mittelmäßigkeit zu befreien. Im Privaten war ihr nicht jeder dankbar für den Kampf gegen die Gemütlichkeit. Das Publikum aber weiß es ihr zu danken, auch jetzt noch, nach ihrem Krebstod. An immer mehr deutschen Spielstätten wird der Einzug selbstbewusster, reflektierter Puppenspieler beobachtet mit ihren magischen, anarchischen Geschöpfen.

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