zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Kurt Bittner

(Geb. 1942)||Das ganze Leben: ein Glücksspiel. Du gewinnst, und du verlierst.

Das ganze Leben: ein Glücksspiel. Du gewinnst, und du verlierst. Jeder hat ihn gekannt. Alle Taxifahrerkollegen vom Flughafen Tegel, zumindest vom Sehen. Eine auffallende Erscheinung, groß und schlank, freundlich und charmant. Gestärktes Hemd, gebügelte Hose, schicker Gürtel, blitzende Schuhe. Es muss viel Zeit und Mühe gekostet haben, jeden Morgen die weißen Haare, die mal hellblond waren, so hinzubekommen. Diesen leicht fluffigen Schwung nach hinten, und den akkuraten Elvis-Rock’n’Roll-Hinterkopf – ohne Lockenstab und Haarlack war da nichts zu machen. Dazu der Schnurrbart, immer fein geschnitten und gezwirbelt, die Pilotenbrille mit getönten Gläsern und um den Hals die Goldkette mit den Buchstaben C-O-N-N-Y.

Kaum jemand wusste, dass er eigentlich Kurt hieß. Alle nannten ihn Conny. Passte auch besser zu seinem Äußeren: Conny, der flotte Typ vom Flughafen, den die „studentischen Aushilfsfahrer“ den „Eintänzer vom Café Keese“ nannten.

Die Goldkette hatte ihm Biggy geschenkt. Sie trug selber auch so eine. Mit den Buchstaben: B-I-G-G-Y. Und im Rückfenster ihres Taxis hing ein schmales Fähnchen, auf dem „Conny“ stand. Und in Connys Taxi hing ein Fähnchen: „Biggy“. Auf den Kofferraum hatte Conny einen Scherenschnitt geklebt, selbst gemalt, selbst geschnitten: eine Hexe mit üppiger Oberweite, die auf einem Besen reitet, „die Brockenhexe“. Damit man sein Taxi erkennen konnte, die Kollegen gleich wussten, wer da vor ihnen fuhr: Taxe 531 – Conny! Biggy hatte er auch eine Hexe auf den Wagen geklebt.

Wenn sie Streit hatten, riss Biggy die Brockenhexe ab. Und wenn sie sich wieder vertrugen, klebte Conny ihr eine neue Hexe aufs Auto. Und dann fuhren sie wieder um die Wette: Wer macht die bessere Kasse?

1987 war Conny schon ein alter Hase auf der Taxe. Biggy, die Neue am Flughafen, machte erstmal alles falsch, verstieß gegen alle Taxiregeln. Aber schnell sprach es sich unter den Kollegen rum, „wat die für Umsätze macht!“ Und dann war sie ja auch eine auffallende Erscheinung: die langen schwarzen Locken, die schwarzen Augen, die Fingernägel wie Dolche, blutrot, die Absätze wie Stilette. Weiße Bluse, schwarzer enger Rock. „Scharfe Braut“, fand Conny. Dann hat er sie ein ganzes Wochenende auf seiner Taxe fahren lassen, während er seine Wohnung renovierte. Tausend Mark hat sie gemacht an dem einen Wochenende. Das hat ihm auch gefallen.

Sie wurden das auffälligste Taxi-Paar vom Flughafen. Schwarz und Weiß. Ruhe und überschäumendes Temperament. Zurückhaltung und Angriffslust. Harmonie und Streit. Was Conny „Diplomatie“ nannte, war für Biggy „Arschkriecherei“. Sie haben sich geliebt und gestritten, eifersüchtig belauert und versöhnt. Und sie haben sich gemeinsam Kleidung bestellt, aus dem Versandhauskatalog. Partnerlook. Schwarz und Weiß. Und sie sind weiter um die Wette gefahren: Wer macht die beste Kasse? Vierzehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Zwischendurch trafen sie sich am Flughafen, tranken Kaffee, beredeten ein paar Dinge. Dann fuhren sie wieder, fuhren, fuhren, fuhren.

Damals liefen die Taxigeschäfte noch gut. Manchmal haben sie eine Pause eingelegt, für ein Wochenende, sind zusammen verreist. An die Mosel, nach Prag, ans Steinhuder Meer, nach Rothenburg ob der Tauber. Und nach Cuxhaven zum Treffen der ehemaligen Seeleute. Das waren Connys alte Kollegen.

Mit 15 hatte er angeheuert als Matrose und fuhr dann etliche Jahre zur See. Auf der „Rio Barima“ und der „Rio Caroni“, Persischer Golf, Arabische Emirate. Davon hat er gerne erzählt, die Geschichten vom großen Abenteuer. Er konnte wunderbar erzählen. Und so witzig, dass sich die Kollegen gebogen haben vor Lachen. Einmal, in Hamburg, hat er Biggy die Landungsbrücken gezeigt: „Schau, hier hab ich gestanden und auf mein Schiff gewartet!“ Fernweh.

Er musste unterwegs sein, erst auf dem Schiff, dann mit der Taxe. Dazwischen hat er mal geheiratet. Das ging nicht gut. Er war kein guter Ehemann, kein guter Vater. Um die beiden Kinder hat er sich nie gekümmert. Er ging nach Berlin, machte sich selbstständig mit eigener Taxe, 1979. Und verdiente ein kleines Vermögen. Aber dann vergaß er das Finanzamt. Keine böse Absicht, eher Blauäugigkeit. Als sie ihn dranbekamen, hatte er 40 000 Mark Steuerschulden. Und die Lizenz als Taxiunternehmer war weg, und Conny musste wieder als Angestellter fahren. Machte neue Schulden, um alte Schuldenlöcher zu stopfen. Mietschulden: Wohnung weg. Seinen Schmuck trug er in die Pfandleihe – nur die Conny-Kette nicht. „Für die gibt der Pfandleiher nichts“, erzählte er Biggy. Die würde keiner haben wollen, wegen des Namens. Müsste einer schon ebenfalls Conny heißen. Und Biggy war stocksauer auf Conny, wie so oft. Dann ist er auch noch ständig in die Spielbank gerannt, mit seinem Freund und Kollegen, den sie auf dem Flughafen „Drei-Finger-Joe“ nannten oder „Sandkastenrocker“. Und sie haben alles verzockt, was sie auf der Taxe verdient hatten. Natürlich glaubte Conny immer an den ganz großen Gewinn, und hat doch immer verloren.

„Conny, weeßte wat?“, sagte Biggy, „ick zweifle echt an dei’m Vastand!“

Mit Geld konnte er nicht umgehen. Für Conny war alles wie ein Spiel. Das ganze Leben ein Glücksspiel. Du gewinnst und du verlierst.

Irgendwann waren die beiden Fähnchen weg aus ihren Taxis, das Conny- und das Biggy-Fähnchen. Und die studentischen Aushilfsfahrer wunderten sich: „Die waren doch so ein tolles Paar! Rein optisch schon! Schwarz und Weiß im Partnerlook!“

Doch plötzlich war alles anders: Conny und Biggy hatten wochenlang nicht mehr miteinander geredet. Bis Conny es nicht mehr aushielt, und auf dem Flughafen zu Biggys Taxi ging: „Du hast ein neues Auto? Und ein neues Kostüm?“ – „Ja, und eine neue Liebe!“ – Conny wusste nicht, was er sagen sollte. Er schrieb Biggy eine Karte zum Geburtstag, fragte in etwas ungelenken, aber rührenden Worten: Ob sie ihn heiraten würde? Und Biggy hat sich überlegt, was denn schon so eine neue Liebe sei gegen diese alte, die sie so gut kannte. Ein paar Monate hat sie Conny dann allerdings noch zappeln lassen. Und am 5. September, in der Kirche am Oberhofer Platz, hätten sie fast ihre Ja-Worte nicht verstanden, so einen Krach machten die Bauarbeiter während der Trauungszeremonie.

Vorzeichen für eine Ehe, in der es auch bald rumpelte und polterte. Zwei Jahre lang stritten sie sich, versöhnten sich und stritten sich wieder. Und Biggy drosch Conny eine Stehlampe über den Schädel. Da hat er sie angezeigt wegen Körperverletzung. Nach der Scheidung verstanden sie sich wieder besser, verreisten wieder häufiger miteinander, bestellten neuen Partnerlook im Versandhaus.

Und Conny freute sich wieder über die netten kleinen Dinge des Lebens: einen selbst gebackenen Kuchen, kleine Basteleien, die Weihnachtsdekoration von Biggy, seine Wellensittiche, Biggys Hunde. Einen davon hatte er im Tierheim selber ausgesucht. Und Conny kochte für Biggy: „Der hat Sachen gemacht, die heute keiner mehr macht!“ Nächtelang kochte er Marmelade ein. In seiner Küche stand ein ganzes Regal mit leeren Gläsern. Auch leere Margarinebecher sammelte er zum Einfrieren. Und Drahtbügel aus der Reinigung für seine Müllbeutel. „Du hast doch ’ne Macke!“, sagte Biggy.

Und immer noch fuhren sie um die Wette Taxi. Aber die Geschäfte liefen nicht mehr gut, wurden immer schlechter mit den Jahren.

„Plötzlich ging der Vorhang zu!“, erzählte Conny: Mitten auf der Fahrt durch die Palisadenstraße in Friedrichshain wurde er ohnmächtig, und rammte ein geparktes Auto. Damit war es vorbei mit dem Taxifahren. Ein Tumor wurde festgestellt, Metastasen, Lungenkrebs.

Lohnfortzahlung, Krankengeld, Erwerbsunfähigkeitsrente, Sozialhilfe. Und trotzdem wollte sich Conny nicht unterkriegen lassen. Auch im Krankenhaus, zwischen Operationen und Bestrahlungen, wäre er nie in so einem Bademantel rumgelaufen. Conny trug weiter seine gebügelten Hosen und Hemden. Schwarz und weiß, immer schick. Und wenn Biggy etwas Schweres zu transportieren hatte, sagte er am Handy: „Hol mich im Krankenhaus ab, ich helf dir!“

Als er nicht mehr laufen konnte und nicht mehr sprechen, ist Biggy für ihn gelaufen, hat für ihn gesprochen.

Nach seinem Tod hat sie geschimpft auf Conny: Was für ein unmöglicher Typ der gewesen ist. Dann schluckt sie: „Ach Scheiße, jetzt fehlt er mir doch irgendwie. Und wenn’s nur zum Erzählen ist.“

H.P. Daniels

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false