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Wirtschaft: Landeanflug in Genf

Die Verhandlungen zum Abbau weltweiter Handelsschranken kommen wieder auf Touren

Davos - Nach mehrfach abgebrochenen Anläufen ist ein globales Abkommen zum Abbau von Handelsschranken ein Stück näher gerückt. Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos verständigten sich EU-Vertreter, die US-Handelsbeauftragte Susan Schwab und Minister aus etwa zwei Dutzend anderen Nationen am Samstag darauf, intensive Verhandlungen am Sitz der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf zu starten. Deren Generaldirektor Pascal Lamy sagte, nun gehe es „auf den Landeanflug“ zu. „Niemand möchte scheitern.“

Offenbar wird die im Juli auslaufende Handelsvollmacht von US-Präsident George W. Bush nicht mehr als entscheidende Hürde gesehen. Schwab sagte, wenn es vorher einen Durchbruch gebe, werde es dem Kongress leicht fallen, die Vollmacht zu verlängern. Ähnlich äußerte sich Lamy – nach einer Einigung seien etwa acht Monate für die technische Ausarbeitung nötig. So könne eine Verlängerung von Bushs Vollmacht um ein Jahr „gut passen“. Bush kann derzeit eigenständig Handelsabkommen vereinbaren, ohne dass der Kongress zuvor zustimmt.

Die deutsche Seite, die wie die anderen EU-Staaten nicht direkt mit am Tisch saß, sondern dies EU-Handelskommissar Peter Mandelson überließ, zeigte sich zuversichtlich. „Die Tendenz ist positiv“, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach dem Tagesspiegel. Allerdings sei Bushs Vollmacht eine Voraussetzung. „Ohne Verlängerung geht das nicht.“ Bisher hatte es geheißen, wenn die Vollmacht auslaufe, sei ein neuer Anlauf frühestens 2009 mit der nächsten US-Regierung möglich.

Mandelson appellierte in dem dreistündigen Gespräch eindringlich an die Minister, „in den nächsten Wochen“ Kompromisse zu akzeptieren. „Niemand von uns wird denken, dass das, was auf dem Tisch liegt, ideal ist.“ Doch gehe es um das umfassendste Handelsabkommen aller Zeiten, in dem über Hunderte von Milliarden Dollar entschieden werde. „Die Alternative ist nicht ein besseres Ergebnis, sondern kein Ergebnis.“ Scheitere dieser Versuch, verliere die Welt „ihre Versicherungspolice gegen die Ausbreitung des Protektionismus“.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, forderte die Teilnehmer der Welthandelsrunde auf, sich zu einigen. „Für die Weltwirtschaft ist das extrem wichtig“, sagte er dem Tagesspiegel. „Alle Zentralbanken sehen, dass eine progressive Liberalisierung des Welthandels für nachhaltiges, nicht-inflationäres Wachstum sorgt.“ Russland, das eine WTO-Mitgliedschaft anstrebt, aber nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt ist, zeigte sich zuversichtlich. „Die Gespräche sind sehr konstruktiv“, sagte Wirtschaftsminister German Gref dem Tagesspiegel.

Die Atmosphäre der Ministerrunde in einem Vier-Sterne-Hotel wurde als sehr positiv beschrieben. „Man kann sogar in Davos auftauen“, sagte Lamy. Den Vorsitz hatte die Schweizer Wirtschaftsministerin Doris Leuthard, die von einem „klaren Signal“ sprach. Die Doha-Runde – benannt nach der katarischen Hauptstadt, wo die Verhandlungen 2001 begannen – stehe nicht vor dem Aus. „Sie lebt. Sie ist dynamisch. Sie wird weitergehen.“

Lamy machte deutlich, dass der Weltmarkt für Agrarerzeugnisse der ärmsten Länder geöffnet werden soll: „Der Sinn dieser Runde ist, das System zu Gunsten der Entwicklungsländer neu auszubalancieren.“ Ähnlich hatten sich in Davos auch Brasiliens Präsident Inacio Luiz Lula da Silva, der britische Premier Tony Blair und der irische Popstar Bono geäußert. Der indische Industrieminister Kamal Nath wandte sich jedoch gegen eine Einigung um jeden Preis. „Der Inhalt dieser Runde ist genauso wichtig wie der Abschluss der Runde.“ Jetzt müssten die Zahlen auf den Tisch.

Vor der Ministerrunde hatten mehrere Staats- und Regierungschefs in Davos ihren Willen zur baldigen Einigung bekräftigt, darunter neben Angela Merkel und Tony Blair auch Thabo Mbeki aus Südafrika und Lula da Silva aus Brasilien. Merkel hatte in der Eröffnungsrede gesagt, es liege „im allseitigen Interesse, die Doha-Runde zum Erfolg zu führen“.

Sehr greifbar sind die möglichen Kompromisslinien noch nicht. Lamy sagte, alle Seiten müssten sich bewegen und nannte konkret die USA, die EU, Indien und Brasilien. Ein Streitpunkt ist, wie weit die EU- Importzölle für Agrarprodukte sinken sollen – im Gespräch sind um die 50 Prozent. Einen Erfolg konnte der Exportweltmeister Deutschland verbuchen: Nach Angaben verschiedener Seiten setzte sich die Position durch, dass es jetzt nicht nur um Landwirtschaft gehen dürfe, sondern stärker über Industriegüter und Dienstleistungen verhandelt werden müsse.

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