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Die Lage spitzt sich zu. Dozenten verdienen rund 2150 Euro brutto im Monat. Einige stocken mit Hartz IV auf. Zum Vergleich: Angestellte Lehrer in öffentlichen Schulen in Berlin bekommen dagegen mindestens 4072 Euro und kämpfen derzeit für mehr. Foto: Andreas F./Fotolia

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Wirtschaft: Lehrer zweiter Klasse

Freiberufliche Dozenten in der Erwachsenenbildung leiden unter prekären Arbeitsbedingungen – und suchen Alternativen.

Maike Wagner liebt ihren Beruf. Sie spornt an, fiebert mit, lehrt über den Seminarstoff hinaus. Die 55-Jährige unterrichtet Arbeitslose in Weiterbildungsveranstaltungen. Die einen kommen freiwillig, andere werden vom Job Center zur Teilnahme an einer so genannten Maßnahme verpflichtet. „Mit denen übe ich schon mal, wie sie sich im Gespräch mit ihrem Arbeitsvermittler so behaupten können, dass sie möglichst eine für sie sinnvolle Weiterbildung bekommen“, sagt sie. Trotzdem stellt sie ihren Beruf zunehmend in Frage – die Bedingungen verschlechtern sich zunehmend für selbstständige Dozenten.

Maike Wagner, die in Wahrheit anders heißt, ist seit 22 Jahren freiberufliche Trainerin in der Weiterbildung; ihr Spezialfeld sind Kommunikation und Berufsfindung. Als sie 1989 ihr Politik-Studium mit Diplom abschloss, „war die Erwachsenenbildung ein boomender Markt“. Anfang der 90er-Jahre stieg sie als Trainerin ein. Sie hat seitdem in sämtlichen Bereichen der Aus- und Weiterbildung unterrichtet, fast immer in Programmen, die das Arbeitsamt finanziert: Sie hat Bewerbungstrainings für Akademiker geleitet und Berufsorientierungskurse für Schüler, sie hat mit Jugendlichen Kommunikation geübt und im Rahmen einer Outplacement-Beratung mit gekündigten Mitarbeitern nach neuen Perspektiven gesucht. Rund 100 Bildungsträger in Berlin und Brandenburg habe sie kennen gelernt, 2200 Stunden in die eigene Fortbildung investiert. Ihr Fazit nach 22 Jahren ist ernüchtert und ernüchternd zugleich: „Ich mag meinen Beruf immer noch. Aber leben kann ich davon nicht mehr.“ Was sie pro Stunde verdient? „Häufig nicht mehr als 15 Euro.“

Kaum ein Bereich des Bildungswesens ist so umkämpft und für die Beschäftigten so prekär wie die staatlich geförderte Aus- und Weiterbildung. René Pollmann vom Verdi-Landesverband Berlin nennt die Dozenten die „neuen Wanderarbeiter“. Viele seien „Maßnahmelöhner, die von Träger zu Träger ziehen und von einem befristeten Vertrag zum nächsten“. Der Markt ist zersplittert und unübersichtlich, wie viele Menschen in diesem Bereich arbeiten, kann auch der Verdi-Experte nur schätzen. „In Berlin gibt es etwa 100 ernstzunehmende Träger mit durchschnittlich 70 Beschäftigten“, sagt Pollmann.

Das ergibt geschätzt rund 7000 Dozenten in der Hauptstadt – von denen viele finanziell am Limit leben. Außer Maike Wagner haben sich noch viele ihrer Kollegen in der Redaktion gemeldet, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Alle waren frustriert, manche verzweifelt. Alle berichteten von Konkurrenzdruck unter den Dozenten, zunehmendem Verwaltungsdruck durch die Arbeitsagenturen und Job Center sowie mangelnder Wertschätzung seitens der Bildungsträger. Wirklich zufrieden äußerte sich keiner.

Ein Grund für die Misere vieler Dozenten: die Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit, durch die viele Weiterbildungsmaßnahmen vergeben werden. Da der günstigste Anbieter den Zuschlag bekommt, sind die Bildungsträger gezwungen, die Kosten zu drücken – meist zulasten der Dozenten. Hinzu kommen enorme Kürzungen in den Budgets in den vergangenen Jahren: 2012 haben Arbeitsagenturen und Job Center 266 000 Arbeitslosen eine Qualifizierung finanziert, 673 Millionen Euro aus der Arbeitslosenversicherung flossen in die Weiterbildung. 2009 nahmen noch mehr als 630 000 Arbeitslose an einer Weiterbildung teil, 1,1 Milliarde Euro zahlte dafür die Arbeitslosenversicherung.

Seit Juli 2012 gilt für Bildungsträger, die überwiegend Aus- und Weiterbildung im Auftrag der Arbeitsagenturen und Job Center anbieten, ein gesetzlicher Mindestlohn nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Fest angestellte pädagogische Mitarbeiter müssen seitdem in Berlin und den alten Bundesländern mindestens 12,60 Euro pro Stunde verdienen, in den neuen Bundesländern 11,25 Euro. Bei 12,60 Euro pro Stunde und 39 Stunden Wochenarbeitszeit kommen Dozenten auf monatlich 2150 Euro brutto - ein Minimalgehalt. Zum Vergleich: Angestellte Lehrer an öffentlichen Schulen verdienen in Berlin mindestens 4072 Euro brutto im Monat. „Die Situation der Dozenten in der Weiterbildung, ob freiberuflich oder fest angestellt, ist durchgängig prekär“, sagt Roland Kohsiek, Bereichsleiter Bildung bei Verdi in Hamburg.

Was prekär bedeutet – Maike Wagner bekommt es am eigenen Leib zu spüren. 2006 und 2007 hatte sie richtig gute Jahre, mit hohen Einnahmen, „da habe ich ohne große Pause durchgearbeitet und konnte ein paar Tausend Euro zurücklegen“. Die Ersparnisse sind längst aufgebraucht. „Das Geld ist schnell weg, wenn man immer wieder ein paar Monate Flaute überbrücken muss.“ Inzwischen hat sie mit ihren Kursteilnehmern eines gemeinsam: Wird das Geld knapp, muss sie zum Job Center gehen und Arbeitslosengeld II beantragen, zum Aufstocken und Überbrücken.

Wie sollte sie auch von 15 Euro pro Stunde nennenswerte Rücklagen ansparen, die freiwillige Krankenversicherung bezahlen und in die private Altersversorgung investieren? 25 Euro müssten freiberufliche Dozenten pro Stunde Verdi zufolge mindestens bekommen, um ihre Kosten decken zu können, mit 30 Euro ist laut der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine realistische Planung machbar. Doch Honorare über 20 Euro würden nur in Ausnahmefällen bezahlt. „20 Euro sind fast überall die Schallgrenze“, sagt Peter Schulz-Oberschelp vom Netzwerk Weiterbildung bei Verdi.

Ob der Mindestlohn die Preisspirale nach unten stoppen kann, ist derzeit laut Roland Kohsiek noch nicht zu beurteilen. Bei der Gewerkschaft wissen sie von Bildungsträgern, die ihren Dozenten für eine Vollzeitstelle nur 1500 Euro brutto bezahlen, dazu kommt die steigende Zahl der Honorarkräfte, für die es noch keinen Tarifvertrag gibt. „Aber durch den Mindestlohn wird diese Abwärtsentwicklung zumindest ein Stück weit gebremst.“

Der Tarifvertrag endet zum 30. Juni 2013, die Verhandlungen im Tarifausschuss sind vor wenigen Tagen ohne Einigung zu Ende gegangen. Die Gewerkschaften hoffen nun darauf, dass das Bundesministerium für Arbeit wie im vergangenen Jahr die Verordnung eines Mindestlohns nach dem Entsendegesetz verkündet. Damit wäre ein Verstoß gegen den Mindestlohn auch weiterhin eine Straftat – und die Abteilung Finanzkontrolle und Schwarzarbeit des Zolls zuständig für die Kontrolle der Arbeitsbedingungen. Nach Auskunft des Berliner Hauptzollamtes haben die Kontrolleure in diesem Jahr 1200 Beschäftigte und 78 Bildungsträger überprüft, in zwei Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. „Verglichen mit anderen Branchen ist das wenig“, sagt Sprecher Michael Kulus.

Maike Wagner schaut sich unterdessen nach Alternativen um, im Idealfall eine Festanstellung, vielleicht bei einem Bildungsträger. Als freie Dozentin bis zur Rente – das kann sie sich inzwischen immer weniger vorstellen. „Mir geht langsam die Luft aus“, sagt die 55-Jährige.

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