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Wirtschaft: Letzte Anweisung an den Arzt

Eine Patientenverfügung sichert die Anerkennung des eigenen Willens am Ende des Lebens. Doch rechtlich steht sie auf wackeligen Beinen

Dank des hohen medizinischen Standards in Deutschland steigt die Lebenserwartung der Gesellschaft kontinuierlich an. Und viele Krankheiten, die noch vor einigen Jahrzehnten einen tödlichen Ausgang nahmen, bekommen die Ärzte heute in den Griff. Doch so weit die moderne Medizin auch ist, so hilflos zeigt sie sich, wenn das wichtigste Organ des Menschen versagt: unser Gehirn. So sind zwar Wiederbelebungsversuche oft insofern erfolgreich, als die Herz- und Nierenfunktion wieder komplett hergestellt wird. Die Reanimation der Hirnfunktionen gelingt dagegen seltener.

Dieses Schicksal betrifft nicht nur ältere Menschen, sondern auch die jüngeren Generationen – zum Beispiel nach einem Unfall. In gesunden Zeiten denkt darüber natürlich niemand gerne nach. Denn die Vorstellung, unser Bewusstsein zu verlieren oder in ein Wachkoma zu fallen und damit die Entscheidungsfreiheit zu verlieren, ob und welche weiteren Behandlungsschritte eingeleitet oder auch unterbleiben sollen, ist hart.

Wer für sein Leben allerdings die volle Verantwortung übernehmen will, der darf auch vor den bitteren Realitäten nicht wegschauen. Sonst entscheiden andere Menschen über das eigene Schicksal. Und das sind dann in erster Linie die Ärzte, die eigentlich für jeden medizinischen Eingriff die Einwilligung des Patienten benötigen, weil sie sich ohne dessen Einverständnis wegen Körperverletzung oder gar Totschlags strafbar machen – von Notfallsituationen einmal abgesehen. Wo sich der Patient allerdings selbst nicht mehr äußern kann, muss der Arzt den mutmaßlichen Willen des Patienten ermitteln. Und der geht, ohne dass andere Anhaltspunkte vorliegen, dahin, den Menschen am Leben zu erhalten – zumindest so lange, wie die irreversible Sterbephase noch nicht begonnen hat.

Wer aber beim plötzlichen Ausfall der Herz-Kreislauf-Funktion oder bei einem Atemversagen nicht reanimiert werden möchte, weil ihm das Risiko einer Hirnschädigung zu hoch erscheint, oder wer als Wachkomapatient keine künstliche Ernährung wünscht, der muss selber vorsorgen. Patiententestament oder Patientenverfügung lautet dann das Schlagwort. Das Bundesjustizministerium hat jetzt eine neue Broschüre dazu herausgegeben, in der die möglichen Inhalte und einzuhaltenden Formalia beschrieben sind.

Das Patiententestament ist quasi eine Anweisung an den behandelnden Arzt, bis zu welchem Punkt er im Falle der eigenen Bewusstlosigkeit behandeln darf und was er zu unterlassen hat. Diese Patientenverfügung sollte gegebenenfalls unter Hinzuziehung des eigenen Hausarztes geschrieben werden – handschriftlich und mit eigener Unterschrift und Datum versehen. Wichtig ist, dass das Patiententestament so genau wie möglich abgefasst wird und in Abständen von ein, zwei Jahren aktualisiert wird. Einige Formulare sehen mehrere Unterschriftszeilen vor, in denen man die Unterschrift nach Ablauf eines Jahres einfach wiederholt.

In der Vergangenheit hatten die Gerichte sich hinsichtlich der Wirksamkeit der Patientenverfügungen eher zurückhaltend geäußert. Das hat sich allerdings geändert, seitdem der Bundesgerichtshof (Az.: XII ZB 2/03) das Patiententestament als rechtlich verbindlich anerkannt hat. Die Karlsruher Richter formulierten: „Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer so genannten Patientenverfügung geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell – also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen – zu ermitteln ist.“

Allerdings haben die Äußerungen des BGH auch für Verwirrung gesorgt. Denn bei einem „Grundleiden mit irreversiblem tödlichen Verlauf“ handelt es sich eigentlich um die unmittelbare Sterbephase, in welcher heutzutage ohnehin kein Arzt mehr lebensverlängernde Maßnahmen einleitet. Deshalb werden Forderungen immer lauter, die ein Einschreiten des Gesetzgebers fordern, um über ein neues Gesetz die Patientenautonomie zu sichern.

Der Bundestag hat dazu eine Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ ins Leben gerufen. Doch die bleibt in ihrem jüngsten Zwischenbericht weit hinter den Vorschlägen des vom Bundesjustizministerium eingesetzten Arbeitskreises zurück. Patientenverfügungen, in denen die Patienten etwa ein Weiterleben an Beatmungsgeräten oder mit Hilfe künstlicher Ernährung ablehnen, sollen danach auf Situationen beschränkt bleiben, in denen das Grundleiden unumkehrbar ist und trotz medizinischer Behandlung zum Tode führen wird. Konsequenz: Patientenverfügungen von Demenzkranken und Wachkomapatienten darf der behandelnde Arzt nicht berücksichtigen.

Betroffene oder auch nur interessierte Bürger müssen sich einstweilen mit der vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Broschüre zufrieden geben. Sehr instruktiv und zugleich mit den erforderlichen Formularen versehen ist auch die vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz herausgegebene Broschüre „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter“.

Wie weit der behandelnde Arzt und gegebenenfalls das Vormundschaftsgericht den Willen des Patienten respektieren, hängt letztendlich vom jeweiligen Einzelfall ab. Von den juristischen Problemen, die derzeit noch mit der Patientenverfügung verbunden sind, sollte sich niemand entmutigen lassen. Denn der niedergeschriebene Wille des Patienten zählt auf jeden Fall mehr als mündliche Aussagen von Verwandten, die der behandelnde Arzt nur schwer auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen kann.

Weitere Infos erteilt auch die Berliner Initiative Selbstbestimmung, Tel: 78 00 12 51.

Marcus Creutz

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