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Friedemann Schmoll (51) ist Volkskundler an der Universität Jena. 2009 veröffentlichte er das Buch „Abgeschmeckt und Aufgedeckt“, in dem er über weltweite Essgewohnheiten schreibt.

© Anne Günther/FSU Jena

Volkskundler über das Grillen: „Männer sammeln sich um ein Feuer“

Herr Schmoll, Sie beschäftigen sich mit der Frage, was alles zum Essen gehört. Welche Bedeutung hat das Grillen?

Herr Schmoll, Sie beschäftigen sich mit der Frage, was alles zum Essen gehört. Welche Bedeutung hat das Grillen?

Das Grillen hat in Zeiten, in denen das sonstige Kochen viel zu kurz kommt, einen besonderen Stellenwert – auch als Ausdruck einer Sehnsucht nach Natur und Zwanglosigkeit. Es ist sozusagen eine Flucht aus dem stressigen Alltag. Das Ritual, dass sich mehrere Personen um eine Feuerstelle versammeln, fördert außerdem das Gemeinschaftsgefühl sehr stark.

War das schon immer so?

Nein. Das Grillen hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte in Deutschland ausgebreitet. Vor allem war es ein Amerikanisierungsphänomen der Nachkriegszeit, das anfangs hauptsächlich in Westdeutschland übernommen wurde. Mittlerweile hat der Osten aber aufgeholt und führt die bundesweite Grillstatistik sogar inzwischen an.

Wieso ist das Grillen so beliebt?

Gemeinsames Essen schafft Zusammengehörigkeit, es verwandelt Fremde in Freunde, Nachbarn in Vertraute. Grillen ist im Vergleich zum üblichen Kochen am Herd eine einfache und zeitsparende Art der Zubereitung. Man braucht nur einen kleinen Bestand an Zutaten und eine Hitzequelle, dann vollzieht sich das Schauspiel wie von alleine: Die Männer sind die Herren über das Feuer und über das Fleisch, die Frauen die Hüterinnen der Nudelsalate.

Woher kommt diese sehr klassische Rollenverteilung?

Fleisch symbolisierte immer Kraft, Stärke und Macht – kurzum: Männlichkeit. Und sozialen Status – die Zerlegung und Verteilung des Fleisches war Privileg des Familienoberhauptes und Gastgebers. Heutzutage sind solche traditionellen Geschlechterbilder im Wanken und uneindeutig geworden, das Grillen bietet aber eine Möglichkeit, sie weiterhin auszuleben. Man kann eine scheinbar eindeutige Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau vorgeben, ungefähr so wie in einem Spiel.

Die Männerdomäne am Rost hat also hauptsächlich einen historischen Ursprung.

Nicht nur. Männer stehen heute auch häufiger am Grill, weil sie schlichtweg mehr Fleisch essen. In Deutschland verzehrt ein Mann pro Jahr knapp 90 Kilogramm Fleisch. Eine Frau isst hingegen lediglich zwischen 50 und 60 Kilogramm. Auch die Zahl der Vegetarier ist bei der weiblichen Bevölkerung höher. Über die Jahre hat sich ein Bild in unseren Köpfen geprägt: Fleisch zu essen ist einfach männlich.

Friedemann Schmoll (51) ist Volkskundler an der Universität Jena. 2009 veröffentlichte er das Buch „Abgeschmeckt und Aufgedeckt“, in dem er über weltweite Essgewohnheiten schreibt. Das Gespräch führte Mathias Scheithauer.

Mathias Scheithauer

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