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Wirtschaft: Marken mit Gefühl

Die Leute sparen – trotzdem drängeln sie sich auf der Ostprodukte-Messe „Ostpro“. Dort geht es um mehr als um Konsum

Berlin. Die Leute kaufen nicht, sie sparen lieber aus Angst. Klagen die Handelsfachleute und machen ein mürrisches Gesicht. Doch wer sich umschaut auf der Berliner Verkaufsmesse für Ostprodukte, der „Ostpro 2003“, und in die Augen angereister Mütterchen beim Befühlen Plauener Spitzen leuchten sieht, erkennt: Das stimmt nicht. Ex-DDR-Marken verkaufen sich wie eisgekühltes Bier in der Wüste.

Schon eine halbe Stunde vor Einlass ist das Gedränge am Eingang groß. Die Wartenden im schmucklosen Untergeschoss des Forums Landsberger Allee sind mit Einkaufsnetzen, Ziehwagen und Rucksäcken ausgerüstet. Es ist, als wollten sie das Einkaufserlebnis vergangener Jahre zurückholen. Einmal noch so anstehen wie früher in der DDR.

Als endlich die Türen aufgeschlossen werden, strömen Tausende auf die 2000 Quadratmeter kleine Ausstellungsfläche. Alle haben sie einen Euro bezahlt – bei Aldi oder bei Kaiser’s würden sie das nie tun. Nun kosten sie Spreewald-Gurken, schnuppern Rondo-Kaffee-Duft, beißen in Halberstädter Würstchen. Und packen sich die mitgebrachten Taschen voll, als hätten sie alle eine kranke Mutter zu Hause im Schlafzimmer liegen, die von Coca-Cola, Jacob’s und Tesa nichts wissen darf, so wie im Kinofilm „Goodbye Lenin“.

Zwar stagniert der Osten, aber die Ostmarken boomen. Die Organisatoren der „Ostpro“ rechnen in drei Tagen mit 80000 Besucher, die Tendenz ist seit 1991 steigend. Mehr als 20 Aussteller stünden auf der Warteliste, doch nur für 100 sei Platz. Auch in Erfurt gab es inzwischen eine Ostpro, Dresden soll folgen. „Die Besucherzahlen in Erfurt waren überraschend hoch“, sagte Ramona Oteiza, Geschäftsführerin der Scot Messen und Marketing GmbH. Den Messe-Erfolg erklärt sie sich mit der großen Auswahl. „In den Kaufhallen müssen Sie doch nach Ostmarken erst suchen“, sagt sie.

Dabei sagen die großen Supermarktketten, sie hätten schon lange gemerkt, wie wichtig im Osten regionale Produkte im Regal sind. So kündigte Wal-Mart bereits im vergangenen Sommer an, in jedem Segment mindestens eine ostdeutsche Marke anzubieten, bei Edeka-Märkten in den neuen Ländern ist jedes dritte bis vierte Produkt ostdeutsch, etwa 600 der 2500 Standardartikel bei Netto werden in Ostdeutschland hergestellt.

Einige Marken wie Florena Handcreme, oder Rotkäppchen Sekt haben sich inzwischen mit konkurrenzfähiger Qualität und Investitionen ins Marketing etabliert. Aber der Käuferandrang auf der Ostpro hat einen anderen Grund, ebenso wie der Kassenerfolg von „Goodbye Lenin“. Es geht um ein Stück Lebensgeschichte. Das findet auch die 30-jährige Dresdnerin Katja Helmecke, die mit ihrem Freund aus Australien eigentlich nur mal kurz durch über die Messe schlendern wollte. Einkaufen gehe sie woanders, sagt sie. Doch beim Anblick einiger Ostprodukte in neuer Aufmachung platzt es aus ihr heraus: „Die sollten noch genau so aussehen wie früher, das wäre richtig cool.“ Möglicherweise wäre sie dann auch mit der Einkaufstasche gekommen.

Martin Uebele

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