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Wirtschaft: Mein Freund „Sacco“

Der unkonventionelle Sitzliebling der 68er feiert in großer Modellvielfalt seinen 40. Geburtstag

Was gut ist, wird gern kopiert. Die antiautoritäre Sitzhaltung, die mit „Sacco“ vor vierzig Jahren auf den Markt kam, inspiriert unverändert zu Nachahmungen. Sackartig anatomische Möbel, in die man sich so unkompliziert wie in einen Sandberg am Strand oder in einen weichen Haufen Heu hineinwerfen kann, gibt es inzwischen zuhauf. „Sacco“ ist gleichsam der Urvater dieser legeren Möbelgattung und feiert in diesem Jahr unter nostalgischem Applaus und mit vielen inszenierten Feierlichkeiten der italienischen Möbelschmiede „Zanotta“ vierzigsten Geburtstag.

Vierzig ist gewöhnlich das Alter, wo sich selbst die hartnäckigsten Dauerjugendlichen eingestehen, dass Bequemlichkeit nicht das Allerschlechteste ist. An ältere Herrschaften und Frührentner hatte das italienische Designertrio, das 1968 „Sacco“ erfand, freilich bei ihrem unkonventionellen Untersatz nicht gedacht, schon deswegen nicht, weil man aus dem Möbel ohne fremde Hilfe auch kaum wieder herauskommt. Die gleichermaßen sensationelle wie schlichte Idee des birnenförmigen Riesenkissens war eher als Bürgerschreck und Provokation konzipiert.

„Sacco“, ein Hybrid aus Sessel, Sitzkissen und Luftmatratze, ist als Design der „Achtundsechziger“ berühmt geworden. Bei dem Möbel ist zwar nichts kerzengerade, dafür steht der teddybärknuffige Entwurf umso mehr für eine Lebenshaltung, die alles andere als stocksteif ist. „Sacco“ war die Flokati umkraulte Gegenoffensive zu kleinteilig korrekten Gemütlichkeitsidealen mit Gummibaum in der Ecke und Fernsehmonster vor der heimeligen Sofagarnitur mit Kissen und Kniff. Mit ihm wurde das kantige Bauhaus aufgebrochen, der formenstrenge Funktionalismus formlos und flexibel neu interpretiert, kam eine lässige Lockerheit ins Zimmer, in die sich das angesagte politische Bekennertum so freizügig hineinfläzen konnte, wie es ihm gerade gefiel, um aus der Perspektive koreanischer Couchtischhöhe dann die Welt zu erörtern.

„Sacco“, der im unbenutzten Zustand immer ein wenig hilflos aussieht, geradezu so, als wäre er wegen irgendwas beleidigt, sollte mehr als bloß ein kindisches Möbel sein, er war politisches Statement, der perfekte Ausdruck eines Lebensgefühls, das auf Statussymbole nicht viel Wert legte. Von den drei Erfindern der häuslichen Revolution, Piero Gatti, Cesare Paolini und Franco Teodoro, hat man später zwar nie wieder etwas gehört, doch mit „Sacco“ gelang ihnen gleichsam der Volltreffer, nämlich ein Möbel zu kreieren, das das Zeug zum Klassiker hatte.

Im Zuge des Jubiläums werden wie romantisierende Super-8-Familienfilme auch alte Anekdoten des Entwurfsprozesses und der Rezeptionsgeschichte wieder hervorgeholt. Sogar eine Ausstellung wurde zu der 68er-Sitz-Ikone konzipiert, die auf der letzten Mailänder Möbelmesse vorgestellte „La Commedia del Sacco“. So spaßig das Sackmöbel aussieht, in das der Körper ohne jede mögliche Gegenwehr buchstäblich versackt: Bei seiner ergonomischen Anpassungsfähigkeit geht es nicht zuletzt auch um den wissenschaftlichen Anspruch gesunden Sitzens. Anfangs sollte seine Hülle noch aus durchsichtigem PVC sein und mit Reis gefüllt werden, dann mit Kastanienbaumblättern, wie es in ländlichen Regionen bei Matratzen üblich ist. Auch an Ping Pong-Bälle hatte man gedacht, die dann aber als zu teuer verworfen wurden. Am Ende entschieden sich die drei italienischen Designer für die innovativen Polystyrol-Kügelchen, mit denen „Sacco“ heute noch gefüllt wird. „Zanotta“, die damals den Entwurf der jungen Talente mutig und vorausschauend in Produktion genommen hatten, waren nicht nur mit „Sacco“ direkt am Puls der Zeit. Die gelebte Pippi-Langstrumpf-Verrücktheit verkörperten auch die von „Zanotta“ herausgegebenen aufblasbaren Möbel der Serie „Blow“ – als knallbuntes Kontrastprogramm zum kiloschwer unverrückbaren Eichendauerbarock der Großeltern. Man war von Kopf bis Fuß auf Jugendkult eingestellt, war ungezwungen, freiheitsliebend und am Werden, und selbst die Möbel schienen bewegt.

Inzwischen hat sich „Sacco“, der längst in den Museen der Welt steht, etabliert. Bei „Zanotta“ scheut man auch keine Fantasien, um ihn zum Jubiläum groß herauszustellen: „Sacco“ gibt es zwar unverändert in existenzialistisch schwarzer Glattledervariante, aber zum modischen Ereignis wird er erst in kunstvollem Glittergewand oder in wasserfestem Hightech-Kostüm, mit dem er dann auch draußen stehen kann. So ist das, wenn man älter wird.

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