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Wirtschaft: Meine Chance bin ich

Im vergangenen Jahr haben sich 400000 Arbeitslose selbstständig gemacht – oft aus der Not heraus

Berlin/Frankfurt (Main) (ro/sar). Insgesamt 400000 Arbeitslose haben 2003 ihre eigene Firma gegründet. „Jeder vierte Existenzgründer war im vergangenen Jahr beim Arbeitsamt gemeldet, bevor er zum eigenen Chef wurde“, sagte Hans Reich, Vorstandschef der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), am Montag bei der Vorlage des Gründungsmonitor 2004 in Frankfurt (Main). Die Zahl der Neugründer insgesamt ist mit rund 1,6 Millionen im Vergleich zu 2002 stabil geblieben, so die Statistik der KfW. Reich hält die Entwicklung trotzdem für bemerkenswert und sieht sie als ein ermutigendes Zeichen. Der stabile Wert dokumentiere großen Mut zum Unternehmertum – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Nach Angaben der KfW ist immerhin die Hälfte der aus Arbeitslosigkeit heraus gegründeten Unternehmen auch nach fünf Jahren noch aktiv.

Johannes Jakob, beim Deutschen Gewerkschaftsbund für Arbeitsmarktpolitik zuständig, sieht die Situation skeptischer: „Zu einem erheblichen Teil dürfte die Existenz der neuen Unternehmer nicht gesichert sein.“ Zwar sei die Förderung von Selbstständigkeit – zum Beispiel in Form der IchAGs – ein guter Ansatz. Aber ob dieser Ansatz tragfähig sei, müsse sich erst noch herausstellen. Johannes Jakob fürchtet, dass viele Arbeitslose nicht wohl überlegt, sondern aus Verzweiflung ihr eigener Chef werden: „Oft ist die Entscheidung zur Selbstständigkeit nur aus der Not geboren.“ Die Arbeitslosen hätten keine andere Wahl, meint der Gewerkschafter: „Sich selbstständig zu machen, kann auch ein geschickter Weg sein, um weiter Arbeitslosengeld zu bekommen.“ Auch Iris Stadie von der Bürgel Wirtschaftsinformationen GmbH in Hamburg warnt vor zu viel Optimismus: „Die meisten Pleiten passieren erfahrungsgemäß in den ersten drei Jahren.“ Die Geschäfte gingen vor allem schief, wenn der Markteintritt nicht sorgfältig vorbereitet ist. Wichtig sei eine genaue Marktbeobachtung im Vorhinein und gutes internes Management.

Ämter machen Druck

KfW-Chef Reich räumt ein, dass für die Schritte in die Selbstständigkeit auch ein gewisser Druck der Arbeitsämter eine Rolle gespielt habe. Die Förderung der Ich-AGs habe sich bisher noch nicht wesentlich bemerkbar gemacht, weil die Initiative erst kurz läuft. Die steigende Anzahl von Überbrückungsgeldern, die die Arbeitsämter gewährten, ließen aber erkennen, dass sich Arbeitslose zunehmend für die Selbstständigkeit entscheiden, sagte Hans Reich.

Mit den rund 1,6 Millionen Menschen, die sich laut KfW selbstständig gemacht haben, liegt die Gründungsquote – gemessen an der Bevölkerung über 14 Jahre – bei 2,3 Prozent. 680000 Menschen stützen sich vollständig auf das neue eigene Unternehmen, rund 975000 versuchen sich zunächst als Selbstständige im Nebenerwerb. Reich bewertet das als durchaus willkommene Entwicklung: Der sanfte und meist risikoärmere Weg in die vollständige Selbstständigkeit über den Nebenerwerb sei gut. Immer noch scheiterten zu viele Jungunternehmer daran, dass sie ihre Vorhaben nicht sorgfältig genug vorbereitet haben. Ein Unternehmen als Nebenjob ist da so etwas wie eine Generalprobe: „Die Erfolgschancen werden deutlich größer, wenn die Tätigkeit bereits im Nebenerwerb geprobt wurde.“ Im Übrigen schaffen Nebenerwerbsgründer laut Reich genauso viele Jobs – im Schnitt neben dem eigenen noch einen Voll- und einen Teilzeitjob – wie Vollerwerbsgründer.

Wichtigstes Feld für Gründer ist mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent die Dienstleistungsbranche, gefolgt von Einzelhandel, KfZ-Reparatur, EDV, Bau und dem Gesundheitswesen. Dabei machen sich immer mehr Menschen mit immer geringerem Startkapital selbstständig. Die Hälfte aller Nebenerwerbsgründer startet mit 1000 Euro oder weniger. Die meisten anderen planen nicht mehr als 25000 Euro für den Neuanfang ein; nur jeder Zehnte benötigt 50000 Euro oder mehr. „Insgesamt können 55 Prozent den Start in die Selbstständigkeit aus der eigenen Tasche bezahlen“, sagt Reich. Diejenigen, die das nicht schaffen, können kaum noch auf die Banken hoffen. Reich kann die Banken verstehen – wegen der vergleichsweise hohen Kosten für kleinere Kredite und wegen des angeblich „schwer kalkulierbaren Risikos“ bei Gründern. Wenn die Institute kneifen, müssen Familie, Freunde oder auch die KfW einspringen. Immerhin hat die Förderbank 2003 dem Unternehmernachwuchs mit rund 5300 Krediten über insgesamt gut 150 Millionen Euro aus den Startlöchern geholfen.

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