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Wirtschaft: Milliarden-Betrug bei der Umsatzsteuer

Ifo-Institut: Verschärfte Gesetze können Betrüger nicht stoppen / Regierung plant Systemwechsel

Berlin/Düsseldorf Der Kampf der Bundesregierung gegen den organisierten Umsatzsteuerbetrug ist bislang weitgehend erfolglos geblieben. Nach neuen Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts, die dem „Handelsblatt“ vorliegen, dürfte trotz verschärfter Gesetze in diesem Jahr die Hinterziehungsquote sogar noch weiter ansteigen. Fast jeder neunte Euro aus der Umsatzsteuer, der laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung eigentlich beim Fiskus ankommen müsste, lande in den Taschen von Steuerhinterziehern.

„Unter dem Strich fehlen Bund, Ländern und Gemeinden dieses Jahr rechnerisch 16,3 Milliarden Euro, nach 15,7 Milliarden Euro im Vorjahr“, sagte Ifo-Finanzexperte Rüdiger Parsche. „Wesentlicher Grund für die signifikante Lücke scheint die unredliche Ausnutzung von Schwachstellen im gegenwärtigen Mehrwertsteuersystem zu sei“, meint Parsche.

Die Umsatzsteuer ist die wichtigste weil aufkommensstärkste Steuer im deutschen Steuersystem. Seit Jahren entwickelt sich das Aufkommen deutlich schwächer, als es die gesamtwirtschaftlichen Daten erwarten lassen würden.

Ein wesentlicher Teil des Umsatzsteuerbetrugs geht auf das Konto von organisierten Banden. Mit Hilfe von Scheinfirmen nutzen sie aus, dass im europäischen Binnenmarkt innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei bleiben. Hochwertige Güter wie etwa Computer-Chips werden durch einen Händlerring geschleust. Häufig folgt dabei einem innergemeinschaftlichem Geschäft ein zum Vorsteuerabzug berechtigendes Inlandsgeschäft. So genannte „Missing Traders“ – meist anonyme GmbHs – kassieren dann vom Fiskus die Vorsteuer, mit der das aus dem Inland gelieferte Gut scheinbar belastet ist. Da der Zeitpunkt der Vorsteuererstattung unabhängig von der Steuerzahlung des Lieferanten ist, vereinnahmt der Missing Trader die Vorsteuer und verschwindet, bevor der Schwindel auffällt. Mit jedem Kettenglied in diesem Umsatzsteuer-Karussell wird das Gut billiger.

Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) wies gestern den Bundesländern die Schuld an der Zunahme des Umsatzsteuerbetrugs zu. Abstimmungsprobleme der sechzehn Steuerverwaltungen erleichterten den Banden den Betrug. Der Föderalismus sei geradezu eine Einladung an Steuerbetrüger; Deutschland sei zur Drehscheibe für Karussellgeschäfte geworden. Derzeit werde mit den Ländern über einen bundeseinheitlichen Pflichtenkatalog der Steuerverwaltungen verhandelt. Außerdem erwägt die Politik einen grundsätzlichen Systemwechsel bei der Umsatzsteuer. Am Mittwoch findet dazu im Bundestagsfinanzausschuss eine Expertenanhörung statt. asr/pt/HB

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