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Seite um Seite. Immer mehr Menschen bilden sich weiter: Fast jeder Zweite wälzt Bücher zu beruflichen und anderen Themen, um zu lernen. Im vergangenen Jahr gab es die höchste Weiterbildungsbeteiligung seit 1979. Foto: fotolia

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Wirtschaft: Mit der Zeit gehen

Wir lernen ein Leben lang. Aber immer anders: Mit 30 wollen wir andere Dinge wissen als mit 60.

Am 8. Juni ist es wieder soweit: Bei der „Langen Nacht der Wissenschaften“ öffnen 75 Wissenschaftseinrichtungen in Berlin und Potsdam ihre Türen. In Ausstellungen, Vorträgen oder Experimenten können sich die Besucher während der „Klügsten Nacht des Jahres“ über aktuelle Forschungsprojekte informieren und Einblick in die Arbeit der Wissenschaftler gewinnen. Ein Leben lang wissensdurstig zu sein, schafft nicht nur gute Voraussetzungen für eine berufliche Karriere. Gebildete Menschen sind gesünder, politisch weniger extrem und insgesamt zufriedener. Das ist das Ergebnis einer Studie des britischen Centre for Research on the Wider Benefits of Learning.

Laut Professorin Christiane Hof von der Goethe-Universität in Frankfurt versteht man unter dem Schlagwort „Lebenslanges Lernen“ zum einen ein bildungspolitisches Programm, das auf wirtschaftliche Prosperität abzielt. Zum anderen meint es individuell betrachtet ein kontinuierliches Lernen im Lebenslauf. „Das ist im Prinzip nichts Neues, allerdings fordern gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vom einzelnen, sich kontinuierlich weiterzubilden“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin.

Das tun die Deutschen auch zunehmend. Laut dem Trendbericht zum „Weiterbildungsverhalten in Deutschland“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gab es im vergangenen Jahr die höchste Weiterbildungsbeteiligung seit 1979. 49 Prozent der 18- bis 64-Jährigen bildeten sich inner- und außerbetrieblich, zu beruflichen und anderen Themen weiter. Laut Christiane Hof geht es aber beim lebenslangen Lernen nicht nur um Seminare an Bildungseinrichtungen. Auch im Arbeitsprozess zu lernen, also das sogenannte „learning by doing“, das Lernen im sozialen Umfeld und durch Medien wie das Internet, Bücher oder Ausstellungen gehöre dazu.

Anlass zur Aneignung von neuem Wissen geben Übergänge zwischen verschiedenen Lebensphasen. „Während sich der Übergang von der Schule in den Beruf noch klar ausmachen lässt, sind diese Phasen im Erwachsenenalter schwerer zu definieren und hängen vom individuellen Lebenslauf ab“, sagt Christiane Hof. Wichtige Einschnitte seien neben dem Berufsstart die Gründung einer Familie oder der Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land.

Die Lebensphase um die 30 wird oft als „Rush Hour des Lebens“ bezeichnet, weil sich die Menschen sowohl im Beruf etablieren müssen und zeitgleich oft Kinder bekommen. Fachliches sowie emotionales und soziales Lernen sind dabei gleichermaßen gefragt. Um die 40 nutzen laut empirischer Studien etwas mehr Männer als Frauen institutionalisierte Weiterbildungen, um im Beruf voran zu kommen.

Christiane Hof sagt: „Für Frauen stellt sich bei einer klassischen Rollenaufteilung mit etwa Mitte 40 die Frage nach dem Wiedereinstieg in den Job und damit wächst bei ihnen der Bedarf an beruflicher Weiterbildung.“

Ist das Lernen in dieser Phase noch stark auf den Beruf ausgerichtet, zeichnet sich in der „Mid Life Crisis“ um die 50 eine Zuwendung zu persönlichen Themen ab. „Standen vorher Ziele wie ein höheres Gehalt oder eine bessere Position im Vordergrund, geht es in dieser Lebensphase mehr um persönliche Werte, darum etwas zu tun, was man schon immer wollte“, sagt Christiane Hof.

Das deckt sich mit der Erfahrung der Berliner Karriereexpertin Martina Bandoly. In ihre Beratung kommen besonders zwei Altersgruppen: Die einen sind um die 30, die anderen um die 50 Jahre alt. „Zu Beginn des Berufslebens in den Zwanzigern haben die Berufstätigen erst einmal jede Menge damit zu tun, sich in der Firma zurechtzufinden. Sie müssen sich Spezialwissen aneignen, Kommunikationswege verstehen und überhaupt erforschen, wie sie Karriere machen können“, sagt Martina Bandoly.

Bei ihren Klienten um die 30 haben erfolgt dann eine Phase der Ernüchterung: Sie haben die ersten Berufsjahre bereits hinter sich und merken, dass ihre Erwartungen nicht eingetroffen sind. Sie stellen ihre Studien- oder Berufswahl in Frage und möchten Korrekturen vornehmen. „Da merkt jemand aus dem Controlling zum Beispiel, dass er gerne mehr mit Menschen arbeiten würde und sich nicht die nächsten 40 Jahre ausschließlich mit Zahlen beschäftigen will“, erzählt Martina Bandoly.

Die Klienten um die 50 möchten für die letzte Phase ihrer Berufstätigkeit noch einmal neu durchstarten. Sie sind in ihrer Position etabliert, verfügen über ein breites Fachwissen und viel Erfahrung, sehen aber keine Perspektive für sich in ihrer jetzigen Position oder wünschen sich mehr Gestaltungsspielraum. Einige machen sich selbstständig, es gibt aber auch den umgekehrten Weg: Kürzlich hatte Martina Bandoly einen Unternehmer in der Beratung, der mit über 50 seine Firma aufgab, um wieder als Angestellter zu arbeiten. „Nach einigen Anfangsschwierigkeiten klappte das gut“, sagt sie, „aber natürlich braucht man für so einen Schritt ein gewisses Maß an Mut und Offenheit.“

Zu Martina Bandolys Beratung gehört immer eine Kompetenzanalyse. Dabei gleicht sie zusammen mit den Klienten die vorhandenen Fähigkeiten mit den benötigten ab. „Für die jüngeren Klienten ergibt sich daraus beispielsweise, dass sie ihre Selbstpräsentation verbessern oder noch einmal studieren möchten“, sagt Martina Bandoly. Sie entscheiden sich dann oft für einen berufsbegleitenden Master of Business Administration (MBA). Die älteren Klienten belegen eher Sprachkurse und polieren auf diese Weise ihr Englisch auf.

Doch es müssen nicht immer Kurse sein: Als Führungskraft in der IT-Branche hat Martina Bandoly die Erfahrung gemacht, dass auch eine kleine Bibliothek mit aktueller Fachliteratur die Mitarbeiter auf den neuesten Stand bringen und die Arbeitsmotivation stärken kann. „Auch Vorträge, Konferenzen oder ein Ehrenamt bringen neues Wissen und Erfahrungen mit sich“, sagt sie.

Wer sein ganzes Leben lang neugierig und wissbegierig sei, dem falle es schließlich auch leichter, Perspektiven für den Ruhestand zu entwickeln. „Der demografische Wandel führt dazu, dass die Wissenschaft diese Gruppe stärker ins Visier nimmt und neue Angebote geschaffen werden“, sagt Christiane Hof und verweist auf den großen Erfolg von Seniorenprogrammen an den Universitäten.

Martina Bandoly betreute kürzlich einen 65-jährigen Physiker, der an vielen Erfindungen beteiligt war. Diese „Babys“ nach seiner Pensionierung „im Stich zu lassen“, kommt ihm nicht in den Sinn: Er will den Kontakt zu seiner Firma halten und zukünftig als Berater arbeiten.

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