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Wirtschaft: Mittelosteuropa tritt aus Moskaus Schatten

PRAG .Eine der wenigen guten Auswirkungen der Rußlandkrise könnte sein, daß die Länder Mittelosteuropas endlich auch in den Augen westlicher Investoren aus dem Schatten der einstigen Supermacht im Osten hervortreten.

PRAG .Eine der wenigen guten Auswirkungen der Rußlandkrise könnte sein, daß die Länder Mittelosteuropas endlich auch in den Augen westlicher Investoren aus dem Schatten der einstigen Supermacht im Osten hervortreten.Denn wirtschaftlich schafften sie es bereits in erstaunlichem Maße, sich von ihrer früheren Abhängigkeit von Moskau zu lösen, insbesondere die drei Anwärter auf baldige NATO-Mitgliedschaft - Polen, Ungarn und Tschechien.

Obgleich auch sie von Korruption, Steuerflucht und anderen postkommunistischen Übeln heimgesucht werden, belegen sie eindrucksvoll, daß ihre Integration in die Märkte der EU längst im Gange ist.Lediglich zwischen 3,4 Prozent (Tschechien) und 8,4 Prozent (Polen) der Ausfuhren gehen noch nach Rußland.Aus dem Osten kommen in etwa gleichem Umfang vor allem Rohöl und Erdgas.Weitaus aufmerksamer als die Ereignisse in Moskau verfolgen Prag, Warschau und Budapest daher heute die Entwicklungen in Brüssel, denn die EU ist für Mittelosteuropa in der vergangenen zehn Jahre zum wichtigsten Handelspartner aufgestiegen.

In Ungarn ist die Transformation der Wirtschaft am weitesten fortgeschritten.Nur die hohen Auslandsschulden, zum größten Teil aus der kommunistischen Ära geerbt, trüben die positive Bilanz.Der Privatisierungsprozeß geht jedoch zu Ende.Einige strategische Anteile, etwa bei der Fluggesellschaft Malev oder dem Gas- und Ölgiganten MOL, möchte der Staat behalten.Das Engagement ausländischer Investoren im Bankwesen und anderen Wirtschaftszweigen zeigt, daß man durch Änderung der Besitzverhältnisse eine grundlegende Modernisierung herbeiführen kann.Seit fünf Jahren steigt die Produktivität in der Industrie bei gleichzeitig sinkenden Kosten.Kein anderes Land Mittelosteuropas kann das vorweisen.

Zwar wächst die Wirtschaft in Polen derzeit mit 6,5 Prozent um etwa zwei Prozentpunkte schneller als in Ungarn, und auch die Auslandsinvestitionen nehmen entsprechend zu, allerdings steigt auch das polnische Handelsdefizit.Lediglich die Inflation könnte in diesem Jahr unter zehn Prozent sinken.Trotz der Turbulenzen auf den Aktienmärkten will die polnische Regierung bis zum Jahr 2001 die staatlichen Anteile an etwa 1000 Firmen - auch von großen Konzernen - verkaufen.Demnächst sollen Aktien der Bankgruppe Pekao sowie der Telecom, der ölverarbeitenden Industrie und der Fluggesellschaft LOT auf den Markt kommen.Anteile an Elektroindustrie, Bergbau und Eisenhütten müßten im kommenden Jahr folgen.Aber den zwei letztgenannten Industriezweigen steht eine schmerzhafte Restrukturierung erst bevor.

Das einstige Reformvorbild Tschechien ist heute das Schlußlicht.Mit Verspätung scheint das Land auf all die negativen Begleiterscheinungen der Wirtschaftsreformen hinzusteuern, die in Ungarn und Polen bereits als überwunden gelten.Sparmaßnahmen brachten das Wirtschaftswachstum zum Erliegen.Die Reallöhne sinken, die Arbeitslosigkeit steigt.Sie liegt jetzt bei 6,8 Prozent.Ungewiß ist, wie die neue sozialdemokratische Minderheitsregierung in Prag mit den Versäumnissen der Wirtschaftsreform und der verschleppten Privatisierung der großen Bankhäuser fertig wird.Bisher präsentierte die neue Regierung einen stark defizitären Haushaltsentwurf für 1999.Das einst so beschworene makroökonomische Gleichgewicht dürften ausländische Investoren momentan in Tschechien nicht vorfinden.Gründlich aufräumen will die seit April bestehende Kommission für Wertpapiere auf dem tschechischen Kapitalmarkt: Lizenzen für seine Teilnehmer werden demnächst nach strengen Maßstäben neu erteilt.

LUDMILA RAKUSAN

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