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Die US-Truppen haben den Irak verlassen.

© dpa

Bauunternehmer Ingo Sahlmann: Morde an Irakern nehmen zu, es gibt auch mehr Entführungen

Die US-Kampftruppen sind aus dem Irak abgezogen. In welchem Zustand lassen sie das Land zurück. Seit die Soldaten weg sind, haben sich die Terroraktionen massiv verstärkt.

In der Grünen Zone gibt es wieder intensiven Beschuss von Raketen und Mörsern. Auch die US-Botschaft wurde mehrfach getroffen, diplomatisches Personal aus Sicherheitsgründen außer Landes gebracht. Die Aufständischen drehen auf und die Frustration in der Bevölkerung ist groß. Sechs Monate nach der Wahl gibt es immer noch keine neue Regierung und vieles ist zum Stillstand gekommen. Es ist brutal heiß, über 50 Grad und im ganzen Land gibt es nur vier bis fünf Stunden Strom. Die Amerikaner sind nicht sehr beliebt, aber die Leute wissen, ohne die Hilfe der USA wird es schwierig.

Was passiert außerhalb der Grünen Zone?

Draußen in der Stadt nehmen gezielte Morde an Irakern zu, die mit westlichen Firmen zusammenarbeiten. Es gibt auch mehr Entführungen, um Lösegeld zu erpressen. Unsere Mitarbeiter verheimlichen oft ihren Familien, dass sie für ein westliches Unternehmen arbeiten, um ihre Angehörigen zu schützen. Man muss im Moment den Kopf einziehen und darf keine unnötigen Risiken eingehen.

Was sind unnötige Risiken in Bagdad?

Man sollte sich als Westler nicht frei auf der Straße bewegen, einkaufen gehen oder sich gar in ein Cafe setzen. Das geht nicht. Man könnte überfallen oder entführt werden. Auch könnten Leute versuchen, ein Exempel zu statuieren und einen auf offener Straße umzubringen. Wenn ich aus geschäftlichen Gründen die Grüne Zone verlassen muss, engagiere ich eine private Sicherheitsfirma. Dann fahren wir in einem Konvoi von zwei, drei gepanzerten Fahrzeugen und haben unsere Personenschützer dabei. Ich versuche, solche Ausflüge auf ein absolutes Minimum zu beschränken.

Wird es der Irak trotzdem schaffen?

Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Es gibt allen Grund zum Optimismus. Der Irak schwimmt auf Öl und Gas. Der wirkliche Wiederaufbau fängt gerade erst an. Es ist total irre, was hier alles gebraucht wird. Im März 2011 soll der Gipfel der Arabischen Liga in Bagdad stattfinden. Das größte Problem ist, dass das Land nicht als einheitliche Nation denkt, sondern primär als Schiiten, Sunniten und Kurden. Eine wachsende Sorge ist auch der Einfluss des Iran. Der wird massiv steigen, je mehr die Präsenz der Amerikaner abnimmt.

Welche Rolle spielen deutsche Firmen beim Wiederaufbau?

Man hört sehr wenig von deutschen Geschäftsleuten. Große Konzerne wie Daimler und Siemens sind vor Ort – und sehr erfolgreich. Andere jedoch zögern. Es ist allerdings sehr schwierig, ohne Berater hier vor Ort Fuß zu fassen. Aber Iraker sind talentiert und willig, man findet gute Mitarbeiter. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Sie liegt bei 40 Prozent.

Werden Sie bleiben?

Es gibt natürlich Fragezeichen, was die persönliche Sicherheit angeht. Aber es gibt auch positive Entwicklungen – ja ein ganz normales Alltagsleben. Im Süden des Irak zum Beispiel ist die Lage weniger brenzlich. Ohne eine Prise Fatalismus aber geht es nicht. Ich sage mir manchmal, statistisch gesehen ist das Risiko vielleicht sogar höher, in Berlin von einem Auto überfahren zu werden, als in Bagdad durch eine Bombe zu sterben. Beruhigt einen das? Natürlich nicht.

Das Interview führte Martin Gehlen

Zur Person:

Ingo Sahlmann (48) lebt seit drei Jahren mit seiner amerikanischen Frau in der hoch gesicherten Grünen Zone von Bagdad und ist Chef eines Bauunternehmens mit 70 Mitarbeitern.

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