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Wirtschaft: Multimedia: "Das Netz ist vollgestopft mit Müll"

Ein Kreativdirektor, ein Konzeptentwickler und ein Designer wollen ihr eigenes Ding machen und melden eine GmbH mit dem Namen "Im Stall" an. Der Stall ist eine Geschäftsidee.

Ein Kreativdirektor, ein Konzeptentwickler und ein Designer wollen ihr eigenes Ding machen und melden eine GmbH mit dem Namen "Im Stall" an. Der Stall ist eine Geschäftsidee. Als ersten Firmensitz beziehen sie einen alten Pferdestall in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg. Katzen springen durch das Büro, im Garten legen sie einen Goldfischteich an. Der Stall ist Lebensraum. Drei pinke Schweinedamen aus Pappe thronen auf dem Schreibtisch von Geschäftsführer Klaus Ulbricht - Überbleibsel von der Austellung "Perlen vor die Säue", die im vergangenen Jahr im Stall stattgefunden hat. Der Stall ist Austellungsraum.

"Wer wir sind, ist schwer einzuordnen", gibt der 33-jährige Ulbricht gerne zu. Entstanden sei die Agentur aus einer Stimmung: "Wir hatten alle viel Multimedia-Erfahrung, aber wollten mehr." Ulbricht hat in Braunschweig Corporate-Design studiert. 1994 kam er nach Berlin, arbeitete als Filmproduzent, machte sich mit der CD-Rom-Produktionsfirma Enorm selbsttsändig. Holger Castritius, ebenfalls 33 Jahre alt, war nach dem BWL-Studium mit dem Kunstschiff Stubnitz um die Welt gefahren und hatte sich dann bei Pixelpark in drei Jahren zum Direktor für Konzeptentwicklung hochgearbeitet. Ebenfalls eingefleischter Pixelpark-Mitarbeiter war zu diesem Zeitpunkt der dritte im Bunde, Claudius Lazzeroni (35). Der Mediendesigner verantwortete die Kreation mit.

Als die Idee zur eigenen Agentur geboren war, nahmen sich die Gründer erst mal Zeit, um ein Konzept zu erarbeiten - ein ganzes Jahr lang. "Es kann nicht mehr darum gehen, nur die Probleme anderer Leute zu lösen. Man muss versuchen, dem Kunden von sich aus spannende Konzepte vorzustellen", erläutert Ulbricht die Philosophie. Seine Kollegen nennen das, Wunschprojekte mit Wunschkunden zusammen zu führen. "Man kann von einem Produktmanager nicht grundsätzlich erwarten, dass er Ahnung von den neuesten Internet-Trends hat", sagt Castritius. Was idealistisch klingt, hat tatsächlich beim Kaffeeröster Jacobs funktioniert. Im Stall lud das Unternehmen ein und präsentierte einen Webauftritt, der weit über die Üblichen Gewinnspiele und Produktinformationen hinaus geht. Damit die Web-Surfer wiederkommen, bietet die Site zu verschiedenen Tageszeiten und Wochentagen jeweils andere Inhalte an. So kann man zwischen zehn und 17 Uhr im "Streichelcafé" mit der Maus eine virtuelle Katze liebkosen. Ab fünf Uhr haben Fans von Seifen-Opern die Chance, einen potenziellen Kandidaten für eine Daily Soap auszuwählen. Abends steht eine Bilderreise in die Kaffeeländer dieser Erde auf dem Programm. Am Wochenende können früh morgens Vogelstimmen erraten werden. Jacobs ließ sich auf das Experiment ein, mit einem Budget von 500 000 Mark kam Schwung in den Stall. Weitere Kunden wie Dr. Oetker, Siemens, RTL und AOL folgten. Mittlerweile scharen die Gründer vierzig Mitarbeiter um sich. "Das ist eine spezielle Mischung von Leuten, die sich in anderen Unternehmen vielleicht nicht wohlfühlen würden", sagt Castritius. "Wir wollen keine Bastelzwerge. Wer hier arbeitet, soll eine eigene Meinung haben", pflichtet Ulbricht im bei. Aufgabe der Kreativen ist es, "mit dem Ohr auf den Schienen" Ideen für neue Internetkonzepte zu entwerfen. Gleichzeitig halten sie Ausschau nach möglichen Abnehmern für die "Konzeptboxen".

Wer Neues schaffen will, braucht Inspiration. Im Stall lädt regelmäßig Künstler für jeweils drei Monate ein, in den Argenturräumen zu arbeiten. Als Gegenleistung schauen die Mitarbeiter ihnen über die Schulter und holen sich neue Ideen. Von dem Rummel um börsennotierte Multimedia-Agenturen hält Ulbricht nichts: "Es wird zu viel über Kurse und zu wenig über Inhalte geredet." Dabei sei das Netz vollgestopft mit Müll.

Nachdem Im Stall im vergangenen September zusammen mit TBWA den achtstelligen Etat des Online-Brokers Systracom gewonnen hatte, zog die Truppe in die großzügigen Räume der Werbeagentur um. Sogar über eine Fusion der beiden Unternehmen wurde verhandelt. "TBWA und vor allem deren amerikanische Holding Omnicom haben ein ganz anderes Tempo, um Entscheidungen zu fällen", weiß Ulbricht heute. Was früher auf Zuruf ging, sollte nun langfristig an einem Schreibtisch in New York entschieden werden. Der Deal platzte. Seitdem, findet Ulbricht, "geht es mit uns wieder ab wie eine Rakete". Im Sommer werden sie auch wieder umziehen: "in eine Stall-compatible Location mit viel Platz für Austellungen".

baw

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