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Wirtschaft: New Economy: Vor verschlossener Tür

Die Mitarbeiter der Berliner Web-Agentur Aperto staunten nicht schlecht. Als sie in der vergangenen Woche ihre Büros in der New-Economy-Meile Chausseestraße betreten wollten, standen sie vor verschlossenen Türen.

Die Mitarbeiter der Berliner Web-Agentur Aperto staunten nicht schlecht. Als sie in der vergangenen Woche ihre Büros in der New-Economy-Meile Chausseestraße betreten wollten, standen sie vor verschlossenen Türen. Auf der improvisierten Betriebsversammlung vor der Tür verkündete Aperto-Chef Dirk Buddensiek die Hiobsbotschaft: 60 von 110 Mitarbeitern werden entlassen. Um den Vorgang zu vereinfachen, warf der Jung-Dynamiker die Namen derjenigen, die bleiben durften, mit einem Projektor an die Wand. Der Rest konnte gehen.

Entlassungen und Pleiten sind in der New Economy alltäglich geworden. Besonders hart trifft es die Multimedia-Agenturen. Sie konzipieren für andere Unternehmen Internetauftritte und gestalten Webseiten. Die dahinsiechenden Dotcoms fallen als Auftraggeber aus, und die Old Economy streicht in Zeiten schwacher Konjunktur ihre E-Business-Budgets radikal zusammen. Doch Berliner Agenturen wie Pixelpark und ID-Media sehen in der Krise auch eine Chance: Mit harten Sanierungsmaßnahmen wollen sie ihre Unternehmen wieder fit machen und gestärkt aus der Neuordnung des Marktes gehen. Auf der Strecke bleiben dabei die entlassenen Mitarbeiter. Glück haben die, die rechtzeitig eine Mitarbeiter-Vertretung gegründet haben.

Neben leeren Auftragsbüchern bringen Managementfehler die Web-Agenturen in Bedrängnis. Überwältigt vom Internet-Hype der vergangenen zwei Jahre expandierten sie zum Teil ohne Konzept. "Die Expansion war für viele Agenturen nicht zu verkraften", sagt Alexander Felsenberg, Geschäftsführer des Deutschen Multimedia-Verbandes. Die Nummer eins der Branche, die Hamburger Kabel New Media, verhob sich an zahlreichen Zukäufen und musste in dieser Woche Insolvenz beantragen.

Auch die Berliner Pixelpark AG muss sich jetzt gesund schrumpfen. Von rund 1000 Arbeitsplätzen baut Pixelpark 300 ab, davon 61 in Berlin. Der Standort in Dortmund wird aufgegeben. Dem Rest der Belegschaft verordnet Vorstand und Gründer Paulus Neef eine Diät. "Kosten senken in allen Dimensionen" lautet seine Devise. Reisekosten, Büromieten, Aufträge an externe Dienstleister - alles stehe auf dem Prüfstand. Doch mit Kostensenkungen allein ist es für Neef nicht getan: "Das Unternehmen hat keine Zukunft, wenn wir nur mit der Sense durchgehen. Wir brauchen auch eine organisatorische Neuausrichtung." Erste Maßnahme: Die Umstellung von einer Regionalstruktur auf eine Ausrichtung nach Branchen.

Oberste Priorität hat für Neef aber der Vertrieb. "Der Markt hat sich gedreht. Bisher sind die Kunden zu uns gekommen, jetzt müssen wir auf die Kunden zugehen." Als oberster Klinkenputzer betätigt sich der Chef höchstpersönlich. Bei wichtigen Kundengesprächen ist Neef jetzt selbst dabei. Den Anlegern und seinem Mehrheitsaktionär Bertelsmann hat der Pixelpark-Chef für das vierte Quartal schwarze Zahlen versprochen. Vorher drücken die Sanierungskosten das Ergebnis. Zwei bis vier Millionen Euro pro Quartal sind einkalkuliert.

Die Kosten der Restrukturierung kann ID-Media-Chef Bernd Kolb noch nicht beziffern. Auch er musste sich von rund 100 Mitarbeitern trennen. Alle Aktivitäten will Kolb jetzt in Berlin konzentrieren. Seine Agentur richtet der 38-jährige Schwabe stärker auf die strategische Beratung aus. "Viele Kunden aus der Old Economy wollen ihre Webauftritte optimieren. Der Markt ist da", sagt Kolb. Er schätzt, dass deutsche Unternehmen in diesem Jahr 17 Milliarden Mark in E-Business investieren. Die Pleite von Kabel New Media belaste zwar die Szene. Aber: "Das heißt, es gibt einen Wettbewerber weniger. Da werden Kunden frei."

Einen Vorteil hat die Internetkrise für Kolb immerhin: "Die Personalsituation hat sich deutlich entspannt." Weniger entspannt dürften die betroffenen Mitarbeiter sein. "Klare Vorteile haben bei einem Stellenabbau Arbeitnehmer, in deren Firma ein Betriebsrat existiert", sagt Olaf Hofmann, Sprecher von Connex-av, dem New-Economy-Projekt der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. "Bei Existenz eines Betriebsrats wird ein Sozialplan erstellt, und die Mitarbeitervertreter handeln die Höhe der Abfindung aus." Die könne immerhin zwischen 0,5 und 1,5 Monatsgehältern pro Jahr der Beschäftigung schwanken.

"Die Chance, einen neuen Job zu finden, ist unter dem Strich nicht schlecht", sagt Tiemo Kracht, Partner der Personalberatung Ray & Berndtson Deutschland. Besonders leicht haben es IT-Spezialisten, weniger gut sehe die Situation bei Webdesignern und Grafikern aus. Zu den Gewinnern dieser Entwicklung dürften die Unternehmen der Old Economy gehören. Kracht: "Viele dieser Firmen bauen ihr Internet-Know-how weiter aus. Anstatt externe Berater zu engagieren, holen sie sich die Leute jetzt ins Haus."

Maurice Shahd, Jacqueline Dreyhaupt

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