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Wirtschaft: Ökonomen plädieren für große Koalition

Führende Institute fordern Regierung aus Union und SPD. Nur das RWI ist für die Jamaika-Variante

Berlin Bei den großen Wirtschaftsforschungsinstituten zeichnet sich immer deutlicher eine Mehrheit für eine große Koalition ab. „Ich halte eine große Koalition aus SPD und CDU/CSU für stabiler als eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition“, sagte Joachim Ragnitz, Ökonom beim Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), dem Tagesspiegel. „Die Möglichkeit einer Einigung ist bei zwei Parteien größer als bei drei Parteien.“

Auch Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, hält eine große Koalition für handlungsfähiger. „Nur SPD und Union könnten eine Föderalismusreform durchsetzen“, sagte er dieser Zeitung. Auch die Konsolidierung der Staatsfinanzen oder eine Unternehmenssteuerreform könnten nur die großen Parteien auf den Weg bringen. Ob eine große Koalition allerdings zustande komme, sei angesichts der sehr unterschiedlichen Mentalitäten von Gerhard Schröder und Angela Merkel fraglich. „Es gibt ein hochgestecktes Persönlichkeitsproblem“, sagte Zimmermann.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) traut ebenfalls einer großen Koalition am ehesten zu, einen „ganzheitlichen Reformansatz“ umzusetzen. „Wir brauchen eine stabile, starke Regierung“, forderte IW-Direktor Michael Hüther am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung eines „Reformkonzeptes für die neue Bundesregierung“. Mit der Umsetzung des Programms soll die Beschäftigung mobilisiert, Investitionen stimuliert, Bildung gefördert und die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden. „Diese vier Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden“, sagte IW-Chef Hüther. „Dann kann Deutschland aus seiner langfristigen Wachstumsschwäche herauskommen.“

Als Sofortmaßnahme zum 1. Januar 2006 schlägt das arbeitgebernahe Institut die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent vor. Das hatte auch die Union in ihr Wahlprogramm geschrieben. Im Gegenzug will das IW den Solidaritätszuschlag abschaffen und fordert, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 5,5 Prozent zu senken. Die Senkung um einen Prozentpunkt kann die Zahl der Beschäftigten laut IW um 150000 erhöhen.

Um die Lohnnebenkosten weiter zu senken, soll außerdem das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht werden. In der Gesundheitspolitik spricht sich das IW dafür aus, den Leistungskatalog bei den Krankenkassen auszudünnen und die Kopfpauschale einzuführen. In der Arbeitsmarktpolitik schlägt das IW vor, die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I unabhängig vom Alter auf zwölf Monate zu begrenzen. Das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe sollen abgeschafft werden, der soziale Ausgleich könne durch eine negative Einkommensteuer erfolgen.

Hüther räumte ein, dass dieses Programm möglicherweise nicht mehrheitsfähig ist, er sehe jedoch in der Bundestagswahl eine Bestätigung der Agenda 2010. „Die ging in die richtige Richtung. Jetzt ist es wichtig, dort weiterzumachen, sonst werden die kleinen Erfolge wieder zunichte gemacht.“

Unter den großen Instituten hält nur das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen eine große Koalition für die schlechtere Alternative. „Die großen Parteien haben im Wahlkampf so unterschiedliche Positionen vertreten, dass sie sich auf viele Kompromisse einlassen müssten, die eher faul als konstruktiv wären“, sagte RWI-Präsident Christoph M. Schmidt dieser Zeitung. „Ich könnte mir vorstellen, dass eine große Partei mit zwei kleinen Koalitionspartnern eine bessere Politik machen würde.“

Auch die Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer (ASU) sprach sich für eine Jamaika-Koalition aus. Eine Blitzumfrage unter 423 Mitgliedsunternehmen habe ergeben, dass 50 Prozent ein Zusammengehen von Union, FDP und Grünen bevorzugen würden, nur elf Prozent sähen in einer großen Koalition die beste Lösung. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt forderte die Politik zu einer raschen Regierungsbildung auf. Ansonsten drohe ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen.

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