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Wirtschaft: Packendes Design

Warum Ingenieure bei Nestlé neun Monate brauchen, um einen Plastikdeckel zu entwerfen

Als Nestlé kürzlich seine neue „Country Creamery“-Eiskrem auf den Markt brachte, gab es ein Verkaufsargument, das gar nichts mit Schokolade oder Vanille zu tun hatte. Es war der Behälter. Die Nestlé-Designer hatten sich neun Monate lang mit der Verpackung beschäftigt. Heraus kam ein Deckel, der sich leichter abziehen lässt, wenn die Eiskrem gefroren ist, und ein Becher mit geriffelten Ecken, die beim Herauslöffeln eine bessere Griffsicherheit gewährleisten.

Die Bemühungen sind Teil einer neuen umfassenden Offensive des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, dem Verbraucher das Öffnen und Wiederverschließen seiner Verpackungen zu erleichtern. Wie man ein Produkt öffnet – das ist die oberste Priorität eines Verpackers. Behälter müssen fest genug sein, um den Transport ins Geschäft zu überstehen. Gleichzeitig müssen sie aber vom Käufer zu Hause leicht zu öffnen sein. Die Nestlé-Marktforschung hat ergeben, dass schwer zu öffnende Verpackungen bei den Verbrauchern ganz oben auf den Beschwerdelisten stehen.

Im vergangenen Jahr versammelte deshalb Helmut Traitler, Nestlés Verpackungsleiter weltweit, sämtliche Verpackungsingenieure und -konstrukteure des Konzerns, um nach Wegen zu suchen, das Problem zu lösen. Die Ergebnisse gelangen jetzt in die Verkaufsregale. Änderungen bei den Ess- und Trinkgewohnheiten der Menschen zwingen die Hersteller, gründlicher über Verschlüsse, Versiegelungen und Deckel nachzudenken. Der steigende Bedarf an Essen für Zwischendurch veranlasst die Firmen, Verpackungen zu entwickeln, die sich etwa beim Autofahren oder im Gehen leicht öffnen lassen.

Und leichtes Öffnen ist entscheidend für zwei wichtige Zielgruppen – Kinder und ältere Menschen. „Meine Tochter kam nach Hause und sagte mir, sie hätte nicht alle ihre Snacks essen können, weil sie sie nicht öffnen konnte“, sagt Tracey Arneson, eine 41-jährige Mutter zweier Kinder aus Cheshire, Connecticut. So riss sie manche Verpackungen vorher leicht an, um es ihrer fünfjährigen Tochter zu ermöglichen, sie ohne Hilfe des Lehrers zu öffnen.

Der im schweizerischen Vevey ansässige Nestlé-Konzern beschäftigt Verpackungsteams in der ganzen Welt. Jedes Team muss in jedem Quartal eine Liste von Verbesserungen vorlegen. Das sind manchmal so simple Dinge wie ein tieferer Einschnitt am Einriss von Schokoriegeln in Brasilien oder tiefere Kerben an Nescafé-Portionspackungen in China. Nestlé forderte seine Zulieferer auf, einen Klebstofftyp zu finden, der das Klick-Geräusch beim Öffnen der besonders bei britischen Schulkindern so beliebten Röhre Smarties lauter macht. Nach Angaben der Firma wurden bislang etwa 100 Änderungen vorgenommen.

Nestlés größtes Problem sind die Verpackungskosten. Mit dem Anstieg des Ölpreises sind sie in diesem Jahr in die Höhe geschnellt, teilweise um 25 bis 30 Prozent. Öl ist ein wesentlicher Bestandteil vieler Verpackungen – von Wasserflaschen bis zu Folien. Die Verpackung kann von einem bis zu 15 Prozent der Gesamtkosten eines Nestlé- Produktes ausmachen. Wiederverschließbare Plastiktüten, bei älteren Menschen und berufstätigen Müttern besonders beliebt, können im Schnitt 20 Prozent teurer sein.

Für seine Verpackungen ist Nestlé wie die meisten Hersteller von Konsumprodukten auf Zulieferer angewiesen, die mit betriebsinternen Designern und Produktmanagern zusammenarbeiten. Traitler hat seine Verpackungsteams angewiesen, Änderungen möglichst ohne Kostensteigerungen vorzunehmen. Der Nestlé- Konzern, der im abgelaufenen Geschäftsjahr 56 Milliarden Euro umsetzte, wendet jährlich etwa fünf Milliarden Euro für Verpackungen auf.

Als Nestlé das Vorhaben lancierte, seinen teuren Flip-Top-Sportverschluss an den Flaschen des italienischen Wassers Acqua Panna abzuschaffen und stattdessen einen billigeren Schraubverschluss einzuführen, reagierten Frauen in den Zielgruppen mit der Ankündigung, sie würden das Wasser ohne den Sportverschluss wahrscheinlich nicht mehr kaufen. So erhöhte Nestlé den Preis für das Wasser in diesem Jahr von 44 Cent auf 47 Cent, um die Kosten für den Sportverschluss zu decken. Der Verkauf ist nach Angaben von Nestlé nicht eingebrochen.

Der Konzern hat festgestellt, dass Verbraucher schnell über Probleme mit einem Verschluss klagen. Nestlé-Marketingmanager Marty Sharkey testete zwei Jahre lang einen neuen Druckknopfdeckel, bevor im Frühjahr 2004 ein neuer Behälter für die Nescafé- Sorte „Taster’s Choice“ eingeführt wurde. Nach der Einführung gingen zahlreiche Anrufe von Verbrauchern ein, die über den Deckel des Behälters klagten. Etwa die Hälfte der Kunden dieses Produktes ist um die 55 Jahre alt, viele hatten Probleme, den Deckel zu öffnen. So wurde der Druckmechanismus vereinfacht. Um verärgerte Kunden zurückzugewinnen, wurde der neue Verschluss „Fresh-Click“-Deckel genannt. Ein Café-au-Lait-Rezept an der Seite der Verpackung ersetzte Nestlé durch das neue „Fresh-Click“- Logo, das zeigt wie zwei Daumen den Deckeln öffnen.

Anregungen für neue Verpackungen finden die Mitarbeiter auch auf der Straße: Michelle Arnaud, Marketingmanagerin für Nestlés Power Riegel, stand beim New York Marathon an der Strecke, um zu beobachten, wie die Läufer das von Ausdauersportlern gern verwendete Power-Gel benutzen. Sie beobachtete, dass die Läufer den Deckel gewöhnlich mit den Zähnen abzogen und den Inhalt in einem Schub herausdrückten, um nicht aus dem Tritt zu kommen. Nur leider verhinderte der lange Hals der Verpackung häufig, dass das Gel schnell hervorquoll.

So kehrten die Nestlé-Designer ans Zeichenbrett zurück und entwarfen einen neuen, dreieckigen Verschluss, der eng genug ist, um den Fluss zu kontrollieren und zugleich eine mundgerechte Form bietet.

Deborah ball

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