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Roboterfreie Zone. In der indischen Landwirtschaft und in der Industrie wird vieles noch von Hand gemacht.

© dpa

Partnerland der Hannover-Messe: Wird Indien das neue China?

Chinas wirtschaftliche Aufholjagd ist atemberaubend. Indien hingegen bekommt Hunger, Armut und Bevölkerungswachstum kaum unter Kontrolle. Das soll sich beim Partnerland der Hannover-Messe nun ändern.

Es ist ein Knochenjob. Unzählige Male am Tag balanciert Deepa auf ihrem Kopf ein Dutzend Steine die schmale Holzplanke zum Rohbau hoch, während ihr Baby auf einem schmutzigen Tuch am Straßenrand schläft. Die hagere 26-Jährige ist eine von Indiens Armutsmigranten, die sich für 100 Rupien am Tag auf Baustellen verdingen. Das Baugerüst für das neue Wohnhaus in Delhis Defence Colony besteht aus wackligen Bambusstangen, Männer sind mit Maurerarbeiten beschäftigt. Bagger oder Kräne sieht man nicht, allein ein Zementmischer hilft bei der Arbeit.

Bauen ist in Indien immer noch vor allem Handarbeit. Wie in vielen Branchen fehlt es an modernen Maschinen. Indiens neuer Regierungschef Narendra Modi will das nun ändern und dem fast 1,3 Milliarden Einwohner zählenden Land einen Modernisierungsschub verpassen. Indien soll Industrienation werden. Seit Monaten tourt Modi durch die Welt und wirbt um ausländisches Kapital. Am Sonntag hat er die weltgrößte Industrieschau Hannover-Messe eröffnet, auf der Indien in diesem Jahr Partnerland ist.

Jeden Monat drängen eine Million junger Inder auf den Arbeitsmarkt

Eines hat Modi mit seiner Kampagne „Make in India“, die seit vergangenem Herbst läuft, immerhin bewirkt: Die internationale Wirtschaft blickt mit neuem Interesse auf den Subkontinent. Die vergangenen Jahre hatte Indiens Wirtschaft enttäuscht, die Politik schien gelähmt, das Wachstum brach ein. Modi, der im Mai 2014 gewählt wurde, gilt als Hoffnungsträger. Ihm hängen zwar die Massaker an Muslimen in Gujarat von 2002 nach wie vor wie dunkle Schatten an. Doch zugleich gilt er als wirtschaftsnaher Macher, der die Ärmel hochkrempelt.

Modi hat den Menschen Jobs versprochen. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Jeden Monat drängen rund eine Million junge Inder neu auf den Arbeitsmarkt. Um neue Stellen zu schaffen, muss Indien vor allem seinen schwachbrüstigen Industriesektor ausbauen. Bis heute verfügt das Riesenland nur in Ansätzen über eine Industrie, die den Namen auch verdient. Bis zum Jahr 2025 soll der Anteil der Produktion von 15 auf 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wachsen. Modi will die Bürokratie abbauen, das Steuerchaos lichten, ähnlich wie China Industriekorridore schaffen und Arbeiter besser qualifizieren. „Ich fordere die ganze Welt auf: Setzen Sie auf Indien“, lockt er.

In Indien sind vor allem Maschinen "Made in Germany" gefragt

Die deutsche Wirtschaft antwortet ganz direkt. „Herr Modi, wir sind bereit“, sagt Hubert Lienhard, Chef des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (APA). Bereits heute ist Deutschland innerhalb der EU Indiens wichtigster Handelspartner. Über 1800 deutsche Firmen sind dort aktiv. Beide Länder tauschen Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 16 Milliarden Euro. In Indien sind vor allem Maschinen „Made in Germany“ gefragt – der deutsche Handelsüberschuss beträgt rund 3,4 Milliarden Euro. Umgekehrt liefert Indien vor allem Textilien nach Deutschland.

„Wenn Indien wächst, wachsen wir mit und werden investieren“, kündigt Lienhard an, der den Technologiekonzern Voith leitet. Im Klartext heißt das: Bislang passiert zu wenig. „Indien hat ein Riesenpotenzial – aber darüber sprechen wir schon seit 1991.“ Das Land hinkt China um Jahre hinterher. Vielerorts pflügen Bauern noch mit der Hand oder dem Ochsenkarren. Im Agrarsektor arbeitet noch immer die Mehrheit aller Beschäftigten. Von Industrie 4.0 – vernetzter Produktion mit der IT-Wirtschaft, Leitgedanke der Hannover-Messe – ist Indien Lichtjahre entfernt.

Der Boom im vergangenen Jahrzehnt war dem Dienstleistungssektor zu verdanken. Während China als Fabrik der Welt gilt, avancierte Indien zum globalen Büro. Gerade zwei Prozent der produzierten Waren weltweit stammen aus Indien, aber 22 Prozent aus China. „Es ist höchste Zeit, dass Indien ein Produktionszentrum für global agierende Unternehmen wird“, findet der indische Konzernchef Kumar Mangalam Birla. Er leitet die Aditya Birla Group, die weltweit rund 120 000 Menschen in unterschiedlichen Industriebereichen beschäftigt.

Marode Infrastruktur und Stromausfälle hemmen das Wachstum

Natürlich gibt es auch Erfolgsstorys wie die Pharmaindustrie, die den Weltmarkt mit billigen Generika versorgt. Andere Branchen sind international kaum konkurrenzfähig. Vergeblich versuchte etwa der indische Autohersteller Tata mit dem Billigflitzer Nano zu punkten. Selbst in Indien blieben die Verkäufe schleppend. In viele Bereichen sind Fabriken veraltet, die marode Infrastruktur und Stromausfälle hemmen das Wachstum.

Indien braucht ausländisches Know- how und Geld, um den Sprung zur Industrienation zu schaffen. Modi weiß, dass Deutschland bei vielen Technologien wie grünen Energien oder in der Infrastruktur Vorreiter ist. Schon in der Vergangenheit waren deutsche Firmen etwa am Bau der Delhi Metro federführend beteiligt. Jüngste Zahlen legen nahe, dass Modis Kurs erste Erfolge bringt. Auf 7,8 Prozent im laufenden und 8,2 Prozent im nächsten Finanzjahr (bis 31. März) schätzt die Asiatische Entwicklungsbank ADB das Wirtschaftswachstum des Schwellenlands. Damit liefe Indien China als bisheriger weltweiter Wachstumslokomotive tatsächlich den Rang ab.

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