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Wirtschaft: Pflichtpfand für Dosen und Flaschen: Das Ende der Dünnblechschwemme

Jeder kennt das Kribbeln in der Fußspitze: Da vorn auf dem Gehweg liegt es, das verführerische kleine Blechding. Eben noch hat sich der Besitzer von ihm befreit, da wird es auch schon zum anziehenden Objekt der Rückbesinnung an fröhliche Kindertage.

Von Antje Sirleschtov

Jeder kennt das Kribbeln in der Fußspitze: Da vorn auf dem Gehweg liegt es, das verführerische kleine Blechding. Eben noch hat sich der Besitzer von ihm befreit, da wird es auch schon zum anziehenden Objekt der Rückbesinnung an fröhliche Kindertage. Schnell einen Blick nach rechts und links, noch ein paar kurze Schritte, ein kleines Dribbling, und dann - Peng. Mit schepperndem Krach landet die Dose an der Häuserwand oder verschwindet im Gebüsch.

Solch sorglos umweltverschmutzendes Treiben soll in Zukunft unterbunden werden. Schon bis Ende Mai will Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) eine neue Verpackungsordnung durch Bundeskabinett und Bundesrat bestätigen lassen. Das Kampfpapier gegen Dünnblechdosen und Plastikflaschen soll dann zum 1. Januar 2002 in Kraft treten - und alle Einwegverpackungen für Getränke (außer Wein und Schaumwein) mit einem Pflichtpfand belegen. Fortan, so der Plan, muss nicht nur jeder, der eine Dose oder Flasche kauft, mindestens 50 Pfennig Pfand dafür bezahlen. Mehr als 100 000 Einzelhändler, Kioske, Tankstellen und Imbissstände werden verpflichtet, die Blech- und Flaschenlawine von den Kunden zurückzunehmen und das Pfand wieder herauszugeben.

Ziel ist es, zwei Sorgen loszuwerden. Zum einen soll Druck auf Handel und Getränkeindustrie ausgeübt werden, in Zukunft mehr Getränke in Mehrwegverpackungen auf den Markt zu bringen und die umweltschädlichen Einwegverpackungen zu meiden. Zum anderen will die Bundesregierung Städte und Wälder, die unter der Dosen- und Flaschenschwemme leiden, vom so genannten Littering-Problem befreien (Litter: Müll). Ob das Pfand diese gewünschten Lenkungseffekte allerdings auch auslösen wird, ist umstritten.

Grafik: Entwicklung der Mehrweganteile

Seit Monaten ringen Politiker, Wissenschaftler, Umweltexperten und Betroffene um die Trittinsche Novelle der Verpackungsverordnung. Während die einen behaupten, dass man der schleichenden Ausbreitung der Dünnblechkultur endlich rigoros Einhalt gebieten müsse und dafür auch solch dirigistische Mittel wie das Zwangspfand opportun seien, sticheln die Gegner mit Gutachten, die nachweisen sollen, dass das Pfand volkswirtschaftliche Verschwendung und ökologischer Blödsinn zugleich und daher auf jeden Fall zu unterbinden sei.

Zur Verwirrung aller trägt die Tatsache bei, dass Gut (Umweltfreunde) und Böse (Umweltfeinde) nicht zu identifizieren sind. Beispiel Umweltverbände: Der als Umweltverschmutzer unverdächtige Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) meint, dass die Verbraucher über Jahre hinweg dazu erzogen wurden, Mehrwegverpackungen als ökologisch unbedenklich zu akzeptieren und leere Flaschen zurück zum Händler zu tragen. Dosen und Wegwerfflaschen dagegen würden als ökologisch bedenklich angesehen und im gelben Sack entsorgt und recycelt. Wenn die Deutschen demnächst jedoch auch die Blechware wieder zum Händler tragen, befürchtet der BUND eine "ökologisch-semantische Verschmutzung", weil den Verbrauchern suggeriert werde, dass die Bierdosen nun der Mehrwegflasche gleichgestellt sind. Alles Quatsch, grantelt der Naturschutzbund Nabu. Wer Pfand auf Dosen bezahle, der werfe sie nicht arglos in den Müll, der werde sie wegen des Rückgabeaufwandes nicht mal kaufen und der Mehrwegverpackung den Vorzug geben.

Seit 1991 erhebt die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM), welcher Anteil der 15 Milliarden jährlich in Deutschland verkauften Getränkeverpackungen dem Mehrwegsystem angehören. Wenn die Quote bei Mineralwasser, Bier und Wein insgesamt unter 72 Prozent sinkt, so ordnete der damalige Umweltminister Klaus Töpfer an, werden die einzelnen Getränkearten mit Pflicht- oder Zwangspfand belegt. Weil dieser Fall 1997 erstmals eintrat, ringen die Lobbyisten von Industrie, Handel und Umwelt mit der Bundesregierung um einen Ausweg. Denn ursprünglich, erinnert sich Achim Struchholz, Sprecher des Dualen Systems (DSD), Deutschlands Einweg-Lobbyist Nummer eins, "wollte niemand das Zwangspfand". Weil sich Getränkeindustrie und -handel allerdings mit dem Umweltminister nicht auf nachprüfbare Maßnahmen zur Erhöhung der Mehrwegquote einigen konnten, greift Trittin jetzt mit dem Zwangspfand durch. Sein Argument: "Wenn die Politik nichts tut, dann wird die Mehrwegflasche bald ganz im Museum landen."

Womöglich, fürchtet der Politik-Berater Roland Berger, "tut sie das jedoch gerade durch das Zwangspfand". Berger hat errechnet, dass die Einzelhändler erst einmal 2,6 Milliarden Mark investieren müssen, um Dosen-Rücknahmeautomaten aufzustellen und das Handling des Pfandsystems von der Lagerung im Laden bis zum Abtransport zu organisieren. Er rechnet deshalb damit, dass viele Kaufleute in Zukunft nur noch Einwegflaschen und Blechdosen verkaufen werden, damit sich die gewaltigen Ausgaben amortisieren. Am Ende werde die Mehrwegquote pro Jahr um gut zwei Prozent sinken.

Noch schlimmer: Das Recyclingsystem des Grünen Punktes könnte gefährdet werden. DSD-Sprecher Struchholz hat errechnet, dass jeder Dritte der deutschlandweit 300 000 Container zur Rücknahme von Flaschen überflüssig wird, wenn diese wegen des Pfandes nicht mehr weggeworfen werden und die Hersteller keine Lizenzgebühren mehr zahlen. Die Folge: Der DSD verliert pro Jahr 500 Millionen Mark. Struchholz: "Wir werden das Containernetz ausdünnen", was dazu führe, dass Marmeladengläser in den Hausmüll geworfen würden, weil den Leuten der Weg zum nächsten Container dafür zu weit werde.

Auch das Littering-Problem, assistiert Eric Schweitzer, Chef des Berliner Entsorgers Alba und oberster Doseneinsammler bei der Love Parade, werde mit dem Zwangspfand "keineswegs gelöst". Kaum fünf Prozent des allgemeinen Straßen- und Platzmülls in Kommunen und Wäldern seien Einweg-Getränkeverpackungen. Wozu man, um dieses kleinen Teils des Mülls Herr zu werden, ein aufwändiges Pfandssytem benötige, sagt Schweitzer, "das weiß niemand".

In der Tat scheint das Zwangspfand mehr praktische Probleme aufzuwerfen, als sich die Politiker vorgestellt haben. So jammern die Hersteller der Rücknahmeautomaten, dass sie überhaupt nicht in der Lage sind, ad hoc einige zehntausend Automaten herzustellen, in die deutsche Bier-, Cola- und Wassertrinker am Neujahrstag 2002 ihre Verpackungen werfen sollen. "Allein die Bestellung der elektronischen Bauelemente", sagt Jan-Peer Henke vom Branchenverband, "dauert Monate". Und bis jetzt könne er seinen Mitgliedsunternehmen noch nicht einmal sagen, wie diese Automaten aussehen sollen. Damit ganz Clevere nicht Blechdosen in Polen pfandfrei einkaufen und diese gegen Pfandrückgabe in deutsche Automaten schmeißen, muss die deutsche Ware besonders gekennzeichnet werden. Strichcode? Fehlanzeige, den gibt es in Europa auch dort, wo es kein Pfand gibt.

Offen ist auch das Clearing-Problem: Gut 100 000 Handelsstellen müssen vernetzt werden, damit ein finanzieller Ausgleich zwischen Kiosken, die Pfand einnehmen und Tankstellen, die Pfand herausgeben, organisiert wird. Selbst der DSD, der sich für den Job bewerben will, befürchtet ein Chaos. Struchholz: "Trittins Zwangspfand weitet sich zur Superbürokratie aus."

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