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"Man schraubt nicht mehr selbst, man muss die Maschine überwachen, die schraubt."

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Philips-Betriebsratschef: "Wir brauchen mehr Freizeit"

Karl-Friedrich Beckmann ist Betriebsratschef bei Philips und Verfechter einer 30-Stunden-Woche. Mit dem Tagesspiegel spricht er über moderne Arbeitswelten und erklärt, warum früher nicht alles besser war.

Herr Beckmann, viele Firmen klagen, dass junge Arbeitnehmer heute Tugenden wie Pünktlichkeit und Fleiß vermissen lassen. Was sagen Sie aus Sicht eines Betriebsrats?

Die Älteren klagen doch immer über die Jüngeren. Tatsächlich haben sich aber die Arbeitsweisen verändert. Wir mussten früher alles gründlich auswendig lernen, weil der Zugang zu Wissen beschränkt war. Heute muss man nicht mehr in eine Bibliothek fahren, man guckt in seinem Smartphone kurz bei Wikipedia nach. Zudem veraltet Wissen schneller. Und die neuen Kommunikationformen, die neue Geschwindigkeit, beherrschen die jungen Leute doch meist besser als die Älteren.

Was ist an die Stelle von Fleiß und Pünktlichkeit getreten?

Gerade weil die Spezialisierung zunimmt, ist Verlässlichkeit wichtig. Die hat heute nichts mehr mit der Stechuhr zu tun, aber immer noch viel mit Disziplin. Fleiß und manuelle Fertigkeiten sind nicht mehr so sehr gefragt, dafür müssen Arbeitnehmer kreativ sein und Zusammenhänge beherrschen. Man schraubt nicht mehr selbst, man muss die Maschine überwachen, die schraubt. Wenn etwas hängt, muss man blitzschnell reagieren, um die Ursache zu finden und zu beseitigen.

Also sind wir nicht fauler geworden, sondern effizienter?

Ja, weil uns bessere Mittel und Technologien zur Verfügung stehen. Doch derzeit führt das Mehr an Effizienz nur zu einem Mehr an Anforderungen und Arbeitslast.

Friedrich-Karl Beckmann
Friedrich-Karl Beckmann

© privat

Inwiefern?

Heute müssen durch die veränderte Organisation und die verstärkte Projektarbeit in den Betrieben viele Aufgaben parallel bewältigt werden, statt sich wie früher auf eine Tätigkeit zu konzentrieren. Das steigert die Hektik, und birgt die Gefahr, schludriger zu arbeiten.

Machen wir mehr Fehler, weil wir nicht mehr die Zeit haben, gründlich zu sein?

Ich erlebe auch heute eine große Sorgfalt im Betrieb, aber die hohe Belastung, zeitlich und mengenmäßig, stellt diese auf eine ernsthafte Probe.

Deshalb haben Sie sich für die 30-Stunden-Woche ausgesprochen?

Ich bin dafür, dass die Effizienzgewinne, die durch neue Technologien entstehen, stärker den Arbeitnehmern zugute kommen. Weil die Arbeitswelt belastender ist, brauchen wir mehr Ausgleich, mehr Raum für Freizeit und Familie.

Können wir dann trotzdem genauso produktiv und leistungsfähig sein?

Genau das sichert die Leistungsfähigkeit, die heute bis ins hohe Alter verlangt wird.

Werden wir dem Image von der guten Qualität in Deutschland noch gerecht?

Wir arbeiten immer noch genauso professionell und gut wie früher. Aber wir müssen aufpassen, dass wir die Sorgfalt nicht der Geschwindigkeit opfern.

Friedrich-Karl Beckmann (63) arbeitet seit 30 Jahren als Ingenieur beim Elektronikkonzern Philips. Seit 2005 ist er Vorsitzender des Konzernbetriebsrats. Mit ihm sprach Jahel Mielke.

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