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Wirtschaft: Polen kämpft um die Goldmedaille der Reformer

Polen ist eines der erfolgreichsten Transformationsländern.Zusammen mit Ungarn, Tschechien, Slowenien und Estland liegt es an der Spitze der 26 Länder, die sich vom Kommunismus zur freien Marktwirtschaft bewegen.

Polen ist eines der erfolgreichsten Transformationsländern.Zusammen mit Ungarn, Tschechien, Slowenien und Estland liegt es an der Spitze der 26 Länder, die sich vom Kommunismus zur freien Marktwirtschaft bewegen.Rumänien und Bulgarien versuchen zum wiederholten Mal, die Staatsfinanzen zu reformieren, Litauen und Lettland leiden an ihrer peripheren Lage und nur die Slowakei hat nach dem Regierungswechsel Chancen, bei größter Anstrengung noch auf den Zug nach Brüssel aufzuspringen.Immer schlechter werden die Aussichten für die Menschen in den übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken und im ehemaligen Jugoslawien.

Polen hingegen rivalisiert nach Einschätzung von Experten mit Ungarn und der derzeit etwas angeschlagenen Tschechischen Republik um die "Goldmedaille" unter den Reformern.Dem größten und wirtschaftlich stärksten Beitrittskandidaten der EU kommt auch aus westlicher Sicht besondere Bedeutung zu.Auch die Rußlandkrise konnte die dynamische Entwicklung an der Weichsel bislang nur wenig beeinträchtigen.Die Wachstumsrate wird durch die Einbrüche im Osthandel voraussichtlich um einen Punkt auf fünf Prozent sinken - eine Entwicklung, die Finanzminister Leszek Balcerowicz jedoch sicherlich keine schlaflosen Nächte bereitet, da er sich zu Beginn des Jahres eine "Abkühlung" der polnischen Wirtschaft wünschte.Dank der nach wie vor rigiden Geldpolitik wird Polen in diesem Jahr möglicherweise erstmals eine einstellige Inflationsrate erreichen.Auch die Arbeitslosenquote sinkt kontinuierlich und liegt derzeit bei 9,8 Prozent.Wegen der großen Auslandnachfrage nach den polnischen Wertpapieren mit hohen Zinsen steigt der Wert des Zloty nach dem Abklingen der Rußlandkrise erneut.Nach Schätzungen des polnischen Wirtschaftsministeriums werden die Ausfuhren 1998 um zwölf und die Einfuhren um 20 Prozent steigen.

Abgeschwächt wird dieses positive Bild durch das hohe Außenhandelsdefizit von voraussichtlich 16 Mrd.Dollar zu Jahresende und auch - zumindest aus Sicht der Arbeitgeber - durch den raschen Anstieg der Lohnkosten.Problematisch ist außerdem die nur langsam voranschreitende Privatisierung und Restrukturisierung sensibler Bereiche wie Bergbau, Schwerindustrie und Energiewirtschaft.Auch die Zukunft der Eisenbahn und der staatlichen Fluggesellschaft LOT liegt noch im Ungewissen.Dennoch steigt der Anteil des Privatsektors an den Einnahmen kontinuierlich und lag zu Ende des ersten Quartals dieses Jahres bei 63 Prozent.Ein neuer Impuls für die Warschauer Börse ist die im Oktober begonnene Privatisierung der staatlichen Telekomgesellschaft - allem Anschein nach wird das Interesse in- und ausländischer Anleger die positiven Erwartungen der Experten noch übersteigen.

Wichtig für eine Gesamtbewertung der polnischen Volkswirtschaft sind auch die politischen Fortschritte: Durch die kürzlich abgeschlossene Verwaltungsreform kann Polen den Erfordernissen der EU besser gerecht werden, und die im nächsten Jahr anlaufende Rentenreform rettet den Staatshaushalt vor der andernfalls drohenden Katastrophe.Weniger optimistisch sind die Reformen von Gesundheits- und Erziehungswesen zu sehen.Insgesamt ergibt sich jedoch ein positives Bild, das auch von ausländischen Investoren wahrgenommen und gefestigt wird: Bis Ende des Jahres dürften die seit dem Umbruch getätigten Direktinvestitionen 30 Mrd.Dollar überschreiten.

Hierbei liegen deutsche Unternehmer zahlenmäßig an erster, in Bezug auf die Investitionshöhe an zweiter Stelle.Die meisten von ihnen exportieren keine Arbeitsplätze, sondern produzieren für den polnischen Markt.Von der neuen polnischen Wirtschaft profitieren jedoch nicht nur die Unternehmer.Deutschlands Export nach Polen betrug 1997 mehr als 20 Mrd.DM.Für dieses Jahr wird mit einem Zuwachs von 30 Prozent gerechnet.Das bedeutet mindestens 150 000 Exportarbeitsplätze in Deutschland.Mehr als durch polnische Bauarbeiter und Erntehelfer verloren geht.

EDITH HELLER

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