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Üppiges Fondue. In China wird meist großzügig aufgetischt. Das soll sich ändern.

© Getty images/iStockphoto

Radikale Diät in China: Ein Restaurant misst für die Portionen das Körpergewicht

Peking geht gegen die enorme Lebensmittelverschwendung vor – mit drastischen Mitteln. Im Restaurant dürfen Gäste nur noch begrenzt Essen bestellen.

Iss die Hälfte. Dies ist die neueste Kampagne des Essenslieferdienstes von Alibaba, Ele.Me, in China. Kunden werden bei der Bestellung gebeten, statt der ganzen nur noch eine halbe Portion zu bestellen. Das klingt nach Diätplan – tatsächlich steht dahinter aber eine Anordnung von ganz oben. Staats- und Parteichef Xi Jinping höchstpersönlich hat eine neue Kampagne mit dem Namen „Operation leere Teller“ ausgerufen. Darin ermahnt er das 1,4-Milliarden-Volk, gegen die „schockierenden und besorgniserregenden“ Probleme der Lebensmittelverschwendung vorzugehen.

Wer jemals in einem Pekinger Restaurant gegessen hat, weiß, welche enormen Mengen an Essen auf den Tisch kommen, und wie viel von jeder Bestellung zurückgeht. Zum Ende jeder Nacht fahren fettverschmierte Transporter durch die Stadt und laden tonnenweise Essensreste ein. Geht es bei der Initiative also nur darum, die täglichen Essensexzesse einzudämmen? Hellhörig macht der folgende Satz von Xi: „Wir befinden uns im Krisenmodus in Bezug auf die Ernährungssicherheit. Die Auswirkungen der diesjährigen Covid-19-Pandemie haben die Alarmglocken läuten lassen.“

Nach Xis Aufruf in den Staatsmedien haben die zuständigen Behörden dann auch in ungewöhnlicher Härte und überraschender Schnelligkeit gehandelt. Wie so oft wollen sie bei Dingen, die Xi am Herzen liegen, nicht den Eindruck erwecken, nachlässig zu erscheinen, und dadurch den Zorn der Zentralregierung auf sich ziehen. Der vorauseilende Gehorsam nimmt diesmal jedoch Züge an, die sich nicht mit dem bisherigen Selbstverständnis der aufsteigenden Mittelschicht vertragen dürften. Bisher war es schon fast Tradition, dass ein Gastgeber mehr Gerichte bestellt, als er Gäste zu versorgen hat, um ja nicht als sparsam oder geizig zu gelten. Nun werden in den sozialen Medien hingegen Livestreams zensiert, die exzessives Essen zeigen. Das trifft Shows, für die sich Menschen beim Verschlingen großer Portionen filmen. Beliebt sind sie vor allem im Norden der Volksrepublik.

Acht Personen dürfen nur sieben Speisen bestellen

Auch für Restaurants, Cateringfirmen und Lieferdienste gibt es nun strenge Regeln. Dazu gehört das sogenannte N-1- Modell: In Restaurants dürfen Gäste in Zukunft höchstens so viele Gerichte bestellen wie Personen am Tisch sitzen – abzüglich einem. Acht Personen dürfen also zum Beispiel nur noch sieben Speisen bestellen. Die Provinz Liaoning, in der es in den langen Wintermonaten viel Fondue gibt, hat die Regeln noch verschärft. Bisher saß man stundenlang um den Feuertopf und hat immer wieder nachgelegt. Jetzt darf eine Gruppe von zehn Personen in den Restaurants nur noch acht Gerichte ordern. Ein Restaurantbesitzer in der 7-Millionen-Metropole Changsha ging so weit, dass er einfach zwei Waagen vor sein Lokal stellte und den Kunden je nach Körpergewicht Empfehlungen gab, wie viele Gerichte sie bestellen sollten. Dass es danach zu einem Eklat in den sozialen Medien des Landes kam und er sich entschuldigen musste, zeigt, wie wichtig den Menschen in China ihr Essen ist.

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Einem Bericht der China Academy Science zufolge sollen in den Großstädten des Landes jährlich bis zu 18 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet werden: Das ist genug, um 30 bis 50 Millionen Menschen pro Jahr zu ernähren. Gleichzeitig wird es aber immer schwerer, die Bevölkerung zu ernähren: Nach wochenlangen Überschwemmungen im Land, die die Ernte in vielen Regionen vernichtet und zu steigenden Lebensmittelpreisen geführt haben, könnte es mit der Lebensmittelversorgung im Land eng werden. Mutmaßlich sind auch die Getreidereserven des Landes bislang überschätzt worden.

„Die Ernährungssicherheit ist eine wichtige Grundlage für die Sicherheit des Staates“, heißt es in einer Analyse der Tageszeitung „People’s Daily“. „Bei Lebensmittelverschwendung scheint es um individuelles Verhalten zu gehen, aber es könnte zu erheblichen Gefahren führen.“ In China würden jedes Jahr etwa 35 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet, was fast sechs Prozent der Gesamtproduktion entspräche, so die gegenwärtige Rechnung des Staatsmediums. Das Nahrungsmittelangebot in China werde angesichts steigender Kosten, begrenzter Ressourcen und solider Nachfrage über einen längeren Zeitraum „eng ausgeglichen“ sein, fügte die Analyse hinzu.

Exporte von Lebensmitteln werden reduziert

Schon jetzt importiert China 20 bis 30 Prozent des benötigten Getreides. Auch die Handelsstreitigkeiten mit den USA haben laut dem Finanzdienstleister Bloomberg nicht dazu geführt, dass die Volksrepublik die Importe von Mais oder Sojabohnen aus den USA reduziert hätte. Eher haben die Importe von landwirtschaftlichen Produkten in diesem Jahr sogar zugenommen. China schätzt, dass die Einfuhren von Soja in diesem Jahr sogar auf den Rekordwert von 96 Millionen Tonnen steigen könnten. Verantwortlich dafür dürfte auch die steigende Nachfrage nach Tierfutter sein.

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Gleichzeitig aber nutzt China immer häufiger Handelssanktionen, um seine geopolitischen Ziele durchzusetzen. So hat China zuletzt zum Beispiel Rindfleischimporte aus Österreich ausgesetzt und im Mai Zölle auf die Gerstenlieferungen des Landes festgelegt. Auch Australien hatte Peking zuletzt mit Boykott von australischen Produkten gedroht. Das verknappt ebenfalls das Angebot.

Und auch die Corona-Pandemie hinterlässt Spuren. „Die Angst vor Versorgungsstörungen aufgrund von Covid-19 hat Chinas Regierungschefs veranlasst, die Ernährungssicherheit und Selbstversorgung erneut zu betonen“, sagte Darin Friedrichs, Senior Analyst bei StoneX Group Inc. in Schanghai. „Dazu gehört die Diversifizierung der Herkunft von Getreide aus dem Ausland, aber auch die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung im Inland“, sagte er dem Finanzdienstleister Bloomberg. Länder weltweit hätten laut Experten begonnen, Exporte von Lebensmitteln zu reduzieren, um eine Versorgung im eigenen Land zu sichern. Ausgerechnet China ist aufgrund der gestiegenen Nachfrage seiner Mittelschicht aber besonders auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Eine Sicherheit bei der Versorgung der Bürger ist eine der grundlegenden Säulen für die Stabilität der Regierung.

Ning Wang

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