zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Raus aus der Komfortzone

Marathon, Klettern, Antarktisexpeditionen: Warum Extremsport bei Managern so beliebt ist.

Norman Bücher hat die Seiten gewechselt. Wenn der 35-jährige Betriebswirt heute zu Unternehmen fährt, geht es nicht mehr um Zahlen, sondern um Emotionen. Bücher war mal Unternehmensberater, heute ist er Extremsportler und arbeitet als Coach. Vor Männern in grauen Anzügen hält er Vorträge, spricht 60 Minuten darüber, was ein Extremsportler und eine Führungskraft gemeinsam haben. Bücher sagt: „Im Sport und im Job gibt es gemeinsame Erfolgsfaktoren: Ziele setzen und Motive finden, zum Beispiel.“

Mit 22 lief Bücher seinen ersten Marathon, da war er noch Student. Auch später lief er er weiter. Den Ultra-Trail du Mont Blanc etwa, da war er 29: einmal rund um das Mont-Blanc-Massiv, 166 Kilometer, 9400 Höhenmeter in Turnschuhen. Schon viele Monate vorher hatte sich Bücher die Strecke vorgestellt, noch nie zuvor hatte er eine solche Distanz zurückgelegt, das Weiteste waren 100 Kilometer gewesen. Um die Herausforderung zu bestehen, hatte er hart trainierte – auch mental. Er hatte sich den Asphalt unter seinen Füßen vorgestellt, sich überlegt, welche Geräusche ihn begleiten würden, versucht zu fühlen, was er auf der Strecke fühlen würde. Dann lief er los. Diese Geschichte erzählt Bücher gern, wenn er auf der Bühne steht. Und die Menschen wollen sie hören.

Extremsport liegt im Trend – vor allem bei Managern: Bergsteigen, auf dem Fahrrad durch die Wüste fahren, Marathon laufen. Der Reiseveranstalter Dertour etwa bietet Reisen zum New Yorker Marathon an, seit 1982 schon. Produktmanager Andreas Sikora sagt: „Bei den spontanen Gesprächen vor Ort hören wir immer wieder raus, dass der Marathonsport als Ausgleich zum Stress dient.“ Welche Berufe die Teilnehmer ausüben, fragt Dertour zwar nicht ab. „Mit großer Wahrscheinlichkeit sind auch jede Menge Manager dabei“, sagt Sikora. Extremsportler Norman Bücher sagt: „Für viele Manager ist Extremsport ein Ventil. Sie arbeiten unter hohem Druck, müssen immerzu funktionieren, sind gestresst. Die wollen nicht einfach nur eine Stunde joggen, sondern machen mehr: Marathon oder sogar Ultra-Marathon.“

Viele, die pro Woche 60 Stunden oder mehr arbeiten, suchen einen Ausgleich. In einer Umfrage des Manager Magazins zusammen mit dem Deutschen Führungskräfteverband gaben rund 80 Prozent der befragten Manager an, dass beruflich bedingte Burnouts in ihrem Umfeld zugenommen haben. Die Freizeit wird also immer wichtiger – und es gibt eine Industrie, die das Bedürfnis nach besonderen Erlebnissen bedient.

Immer häufiger laden Unternehmen Extremsportler wie Norman Bücher zu Vorträgen ein. Auch Joey Kelly, einst Sänger der Kelly Family, verdient inzwischen mit Extremsport sein Geld. Kürzlich, auf der Mitgliederversammlung des Arbeitgeberverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (AGAD), hielt Kelly einen Vortrag, der Slogan: „No Limits – Wie schaffe ich meine Ziele“.

Der Berliner Reiseveranstalter Traverdo bietet Antarktisexpeditionen im Seekajak an, Kosten: rund 4000 Euro für elf Tage. Ein Anbieter, der sich „Arktische Abenteuer“ nennt, hat unter anderem vier Tage Gletscherwandern in Grönland im Programm: Schwierigkeitslevel drei von fünf, Kosten rund 1400 Euro. Geschäftsführer Henry Kröher sagt: „Kunden buchen solche Reisen, weil sie ihre Grenzen austesten möchten. Und sie wollen das Ursprüngliche erleben.“ Es geht um das Ausbrechen aus dem Alltag, aus den starren Strukturen von Büro und Zuhause. Island und Grönland seien dafür ideal, meint Kröher. Seit 2009 operiert Arktische Abenteuer von Berlin aus, die Nachfrage sei seitdem enorm gestiegen. Vor allem besser Verdienende buchen die Reisen.

Der Zusatz „extrem“ lässt einen glauben, ein aufregenderes Leben zu führen. Aber was ist eigentlich extrem? Andreas Sikora von Dertour würde Marathon nicht als Extremsportart bezeichnen. Bücher hingegen definiert Extremsport als das Verlassen der persönlichen Komfortzone, das Ausreizen der eigenen Grenzen. Demnach wäre Marathon für viele ein Extremsport. Und Henry Kröher sagt, man müsse etwas Außergewöhnliches tun: „Wer jeden Tag mit dem Mountainbike einen Berg hochfährt, macht keinen Extremsport. Aber wer das einmal macht, fordert seinen Körper heraus, und dann ist das ein Abenteuer.“

Man will sich auspowern, die Nerven kitzeln – vielleicht geht es aber auch darum, Parallelen zwischen Sport und Job zu ziehen. Nach dem Motto: Was kann ich schaffen? Wie weit kann ich gehen? Wenn Extremsportler Norman Bücher in Unternehmen Vorträge hält, fragt er die Teilnehmer erst einmal, wer von ihnen denn wirklich Ziele habe. Wer an denen festhalte, wer sie visualisiere, wer sich täglich mit ihnen auseinandersetze. „Da stelle ich immer wieder fest, dass sich die meisten nicht damit beschäftigen. Nur ein kleiner Teil steckt sich wirklich Ziele und ruft die sich auch immer wieder ins Bewusstsein“, sagt Bücher. Aus Erfahrung weiß der 35-Jährige, dass der Großteil des Erfolgs immer erst mit dem letzten Teil der Anstrengung kommt. Um nicht frühzeitig aufzugeben, muss man sich deshalb Teilziele stecken. Das ist im Sport genauso wie im Beruf.

Bücher trainiert viel. Zurzeit ist er in der Regenerationsphase, vier Mal pro Woche läuft er eine bis drei Stunden. Manager mit einer 60-Stunden-Woche können das nicht. Darin sieht Bücher eine Gefahr: „Viele unterschätzen einen Marathon und überschätzen sich selbst. Dazu kommt, dass vor allem Führungskräfte, die in ihrem Job sehr erfolgreich sind, versuchen, diesen Erfolg eins zu eins auf den Sport zu übertragen. Die kommen um 20 Uhr nach Hause und denken sich: Jetzt gebe ich noch mal richtig Gas!“ Dabei sollte der Laufsport eher entspannend wirken. „Nicht nochmal einen Leistungsanreiz setzen, nicht zusätzlich belasten, sondern entlasten“, sagt Bücher. Wer einfach nur gesund bleiben möchte, für den reiche es, drei Mal in der Woche 30 bis 40 Minuten spazieren zu gehen oder leicht zu joggen.

Damals, auf dem Mont Blanc, war Bücher nach 42 Stunden und 30 Minuten am Ziel. Seitdem ist er den Ultra-Trail du Mont Blanc noch zwei weitere Male gelaufen. Und er läuft immer weiter. Ende dieses Jahres fliegt er nach Kambodscha zu einem Mehrtageslauf: 220 Kilometer in sechs Tagen. Vorher wird er es sich vorstellen, mental trainieren. Dann kann es wieder los gehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false