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Wirtschaft: Reform in der Schublade

Ulla Schmidt will die Macht der Gesundheits-Lobby brechen – dieses Ziel soll nicht dem Wahlkampf geopfert werden

Ulla Schmidt fürchtet den Wirbel, den ihre Gesundheitsreform in der heißen Phase des Wahkampfs verursachen könnte. Deshalb hat die SPD-Politikerin nun doch beschlossen, ihre Reform nicht zu „opfern“ – und will ihre Pläne erst nach dem 2. Februar vorstellen. Dann, wenn die Wahlen in Hessen und Niedersachsen entschieden sind. Lange hat die Ministerin in dieser Woche hin- und herüberlegt, wie sie am geschicktesten taktieren soll. Schnell das Gesundheitspaket auf den Tisch packen und so Reformeifer demonstrieren? In der Schublade liegen ihre Eckpunkte ohnehin schon. Oder doch noch bis Februar abwarten und der Opposition kein Futter für heftige Attacken im Landtagswahlkampf bieten?

Schließlich hat Ulla Schmidt sich für den vorsichtigen Weg entschieden: „Aus Sorge, das Thema könne zerredet werden“, sagt ein Mitarbeiter. Denn die Ministerin weiß: Spätestens im Bundesrat ist sie auf die Mitarbeit der Opposition angewiesen, wenn sie ihre Reformen durchsetzen will. Und bei einer harten Konfrontation im Wahlkampf wäre es schwierig, danach wieder unbelastet an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Aber auch wenn die Ministerin die Spannung um ein paar Tage verlängert – letztlich ist ohnehin schon klar, in welche Richtung die Reformen gehen werden.

Für Patienten soll das verworrene Gesundheitswesen transparenter werden: etwa über Patientenquittungen, in denen die Behandlung des Arztes in verständlicher Form und mit den verursachten Kosten aufgeführt werden. Ein freiwilliger Gesundheitspass, auf dem Angaben über Behandlungen und Medikamente gespeichert werden, soll dabei helfen, teure Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Patienten sollen sich in Zukunft auch von Fachärzten in Kliniken ambulant behandeln lassen dürfen. Damit würden keine Kosten für Klinikaufenthalte anfallen. Außerdem soll sich gesundheitsbewusstes Verhalten künftig lohnen: Wer gesund lebt, soll etwa weniger oder gar nicht bei Medikamenten zuzahlen müssen. Dass Versicherte mit einem Rabatt belohnt werden, wenn sie selten einen Arzt aufsuchen, scheint dagegen unwahrscheinlich. Solche Ideen lehnt die Ministerin strikt ab.

Ulla Schmidt hat deutlich gemacht, dass Ärzte und ihre Funktionäre bald nicht mehr so viel zu sagen haben werden: „Ich will das Monopol brechen“, sagt die Ministerin mit Blick auf die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Die KVen haben allein das Recht, mit den Krankenkassen Verträge auszuhandeln. Das soll in Zukunft auch einzelnen Medizinern oder Ärztegruppen möglich sein. „Es kann nicht so weitergehen, dass die Kassen alles bezahlen müssen – egal ob es gut oder schlecht erbracht wird“, sagt Schmidt. Gleichzeitig sollen deshalb auch Honorare nicht mehr zwangsläufig von den KVen verteilt werden, sondern auch von den Kassen.

Der Druck auf Kassenärzte, sich fortzubilden, soll außerdem größer werden. Die Zulassung soll nur noch zeitlich befristet vergeben und nur bei nachgewiesener Weiterbildung verlängert werden. Der Hausarzt soll nach Vorstellungen von Ulla Schmidt eine wichtigere Rolle einnehmen und für die Patienten der „Lotse“ im Gesundheitswesen werden. Künftig sollen Hausärzte feste Honorare pro Patient erhalten, Fachärzte Pauschalen pro Behandlung. In der ganzen Bundesrepublik soll es darüber hinaus Gesundheitszentren nach dem Vorbild der alten DDR-Polikliniken geben. Dort können sich mehrere Ärzte als Angestellte unter der Führung eines Betreibers zusammenschließen und teure Geräte gemeinsam nutzen. Auch um den kaufmännischen Part müssen sie sich dann nicht mehr kümmern.

Den Krankenkassen will Ulla Schmidt mehr Macht zubilligen. Sie müssen künftig nicht mehr unbedingt mit einem Arzt einen Vertrag abschließen, wenn der die geforderte Qualität nicht erbringt. Außerdem will die Ministerin den Fusionsprozess zwischen den Krankenkassen beschleunigen. Derzeit ist ein Zusammengehen der Kassenarten nicht möglich – das soll sich ändern.

Worauf sich Apotheker einstellen müssen, bleibt noch etwas nebulös. Im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen – in dem schon ein Großteil der Reformpläne von Ulla Schmidt skizziert ist – steht nur der lapidare Satz: „Die Arzneimittelversorgung wird liberalisiert.“ Ein grundsätzliches Bekenntnis zum Versandhandel per Internet gibt es – trotz des erbitterten Widerstands der Apotheker. Unklar ist aber, zu welchen Bedingungen dieser ermöglicht werden soll. Umstritten ist, ob das so genannte Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben werden soll, nach dem alle Apotheken in Deutschland als Einzelunternehmen betrieben werden müssen.

Ob dieses gesamte Reformpaket die Krankenkassen kurzfristig finanziell entlasten wird, gilt aber als zweifelhaft. Acht Milliarden Euro ließen sich einsparen, wurde in den vergangenen Wochen gestreut. Das würde nach einer Faustformel etwa einen Beitragssatzpunkt in der Krankenversicherung ausmachen. Experten sind sich schon lange einig, dass im Gesundheitssystem enorme Wirtschaftlichkeitsreserven schlummern. Der Sachverständigenrat schätzt, dass sich bis zu 15 Milliarden Euro mobilisieren ließen. Der Nachteil: Diese Wirkungen werden sich nicht von einem Tag auf den anderen entfalten, sondern erst mittelfristig. Der Darmstädter Ökonom Bert Rürup hat sich deshalb das ehrgeizige Ziel gesetzt, mit seinen Finanzreformen die Krankenkassenbeiträge innerhalb eines Jahres um zehn Prozent zu senken. Statt derzeit 14,4 Prozent im Schnitt würden die Versicherten dann nur noch knapp 13 Prozent zahlen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder möchte Ende 2003 ungern mit ständig weiter steigenden Lohnnebenkosten konfrontiert werden und drängt deshalb darauf, die Finanzreform möglichst schnell anzugehen. Erste Vorschläge soll die Rürup-Kommission schon im Sommer vorlegen und nicht, wie zunächst geplant, erst im Herbst. Rürups Ideen könnten also schon zu einem Zeitpunkt auf dem Tisch liegen, an dem Ulla Schmidts Strukturreform im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat hängt. Und die Union auf Zugeständnisse der Ministerin wartet. Die könnte Rürup liefern.

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