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Russischer Automarkt: Der Hoffnungsträger ist ein Sanierungsfall

Opel soll den russischen Automarkt erobern. Das Potenzial ist groß – doch derzeit sind auch die Probleme riesig.

Moskau - Frust und gekränkter Nationalstolz schwangen hörbar mit in der Stimme von Alexander Schochin, dem Chef des russischen Industriellenverbandes RSPP. Radio „Echo Moskwy“ hatte ihn zu der geplanten Übernahme der Opel-Mehrheit durch den kanadisch- österreichischen Autozulieferer Magna und die russische Sberbank – das größte osteuropäische Kreditinstitut – befragt. Schochins Fazit: Der Deal habe für Russland nur dann einen Wert, wenn er den uneingeschränkten Zugriff auf das Know-how der deutschen Traditionsmarke erlaube. Würde man dagegen Opel-Techniker und Designer nach Russland holen, käme wieder das heraus, was bei russischen Herstellern vom Band rollt: Autos, die die Welt nicht braucht.

Gemeint waren der künftige Opel-Partner Gaz und Awtowaz. Beide teilen sich in Russland das Monopol für die Pkw-Herstellung. Der Markt hat großes Potenzial: Während in Westeuropa auf 1000 Einwohner bis zu 600 Autos kommen, sind es in Russland 190. Doch derzeit ist der Hoffnungsträger eher ein Sanierungsfall. Die Verkaufszahlen auf dem russischen Automarkt sind in den ersten acht Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 50 Prozent auf 990 000 Fahrzeuge eingebrochen.

Gaz ist der größte Pkw-Hersteller in ganz Osteuropa. Bekannt im westlichen Ausland ist aber vor allem der Lada von Awtowaz, der auf einer Fiat-Plattform aus den 80ern basiert. Das Stammwerk in der Wolga-Region Samara hatte in seinen besten Zeiten mehr als 60 000 Beschäftigte, der Konzern insgesamt 110 000. Weiter flussaufwärts in Nischni Nowgorod ist die Gaz-Gruppe wichtigster Arbeitgeber. Hier wurde zu Sowjetzeiten der Wolga – Branchenspott: Bonzenschleuder – hergestellt und fand reißenden Absatz. Der auf einer Chrysler-Plattform aus den 90ern produzierte Nachfolger Wolga Siber dagegen floppte. Die umgerechnet 3,5 Milliarden Euro Umsatz, die das Unternehmen 2007 machte, fuhren vor allem robuste Off-Road-Modelle wie Uaz oder Gaz und die Kleintransporter-Sparte mit der Gazel-Reihe ein.

Inzwischen schreibt die Gaz-Gruppe tiefrote Zahlen. Der Autobauer gehört zum verschachtelten Imperium von Oleg Deripaska, mit einst 40 Milliarden Dollar Privatvermögen vor der Krise Russlands reichster Mann und jetzt von Gläubigern hart bedrängt. Anfang Juli stand der Konzern mit mehr als einer Milliarde Euro in der Kreide und muss jetzt massiv Stellen streichen. Gerüchten zufolge sollen von den derzeit 118 000 Beschäftigten Ende 2009 gerade mal 60 000 übrig bleiben.

Ausgerechnet Gaz soll künftig Teile der Opel-Produktion und womöglich sogar den Anteil übernehmen, den die staatsnahe Sberbank General Motors (GM) für knapp eine halbe Milliarde Euro abkaufen will. Ebbe in der Konzernkasse und mangelnde Erfahrung bei der Pkw-Produktion brachten Experten daher schon in der Frühphase der Verhandlungen auf den Gedanken, Gaz sei lediglich Tarnung. In Wahrheit würden Opel- Modelle künftig beim Erzkonkurrenten Awtowaz vom Band rollen. Dort aber sieht es nicht besser aus.

Schutzzölle von bis zu 30 Prozent, wie sie die russische Regierung für ausländische Gebrauchtwagen zu Jahresbeginn in Kraft setzte und Pläne, die Einfuhr von japanischen oder koreanischen Wagen mit Rechtslenkung zu verbieten, brachten außer Massenprotesten nichts. Iwan Normalverbraucher kann den technisch veralteten und moralisch verschlissenen einheimischen Rostlauben keinen Charme abgewinnen – auch dann nicht, wenn sie billiger als Importautos sind.

Nach Absatzeinbrüchen von fast 50 Prozent in der ersten sechs Monaten 2009 stoppte das Awtowaz-Management zum 1. August die Bänder. Bis Ende des Jahres sollen 36 000 Mitarbeiter und damit jeder dritte entlassen werden, bestätigte das Ministerium für Wirtschaft und soziale Entwicklung. Wer bleiben darf, wird auf Kurzarbeit gesetzt.

Der Gouverneur der Region Samara befürchtet handfeste soziale Unruhen. Ebenso die russische Regierung. Sie hält 75 Prozent an Awtowaz und ließ sich die Sanierung des Unternehmens bisher rund 550 Millionen Euro kosten. Weil die Erfolge sich sehr in Grenzen halten, soll Awtowaz mit dem auf Nutzfahrzeuge spezialisierten Unternehmen Kamaz in der Teilrepublik Tatarstan fusionieren. An diesem und dem dritten Partner – dem Motorenhersteller Awtodiesel – hält der russische Staat 37 beziehungsweise 30 Prozent der Anteile. Die Fusion soll im Eiltempo durchgezogen werden. Experten sind skeptisch, nicht nur weil da aus ihrer Sicht zusammenwächst, was nicht zusammengehört. An Awtowaz ist Renault mit 25 Prozent, an Kamaz Daimler seit Ende 2008 mit zehn Prozent beteiligt. Beide könnten sich querlegen, weil sie in Russland eigene Strategien verfolgen.

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