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Wirtschaft: Scheinangriff auf die Flächentarifverträge

Der Kanzler will Öffnungsklauseln und droht mit Gesetzesänderung. Das findet IG-Metall-Chef Klaus Zwickel überflüssig

Will der Bundeskanzler die Bauwirtschaft im Osten als Vorbild? Dort haben die Tarifparteien eine weit reichende Öffnungsklausel vereinbart: Die Tariflöhne können um bis zu zehn Prozent gesenkt werden, wenn dadurch die Beschäftigung gesichert oder die Wettbewerbsfähigkeit der Firma verbessert wird. Das besondere an dieser Klausel: Geschäftsführer und Betriebsräte müssen nicht die Tarifvertragsparteien, also den zuständigen Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft fragen. Das ist eine Ausnahme. In der Regel können die Betriebe nur vom Tarifvertrag abweichen, wenn Arbeitgeberverband und Gewerkschaft, die den Vertrag abgeschlossen haben, zuvor zustimmen. Und das will Gerhard Schröder auch gar nicht ändern. Vorerst jedenfalls nicht.

Die Macht der Tarifparteien ist festgeschrieben im Betriebsverfassungsgesetz, Paragraf 77 Absatz 3: „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind (...), können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.“ Anders gesagt: Arbeitgeberverband und Gewerkschaft kippen mit flächendeckenden Tarifverträgen die berüchtigte Einheitssoße über alle Firmen, unabhängig von deren wirtschaftlicher Lage. Deshalb ist der Flächentarif ins Gerede gekommen und deshalb will Schröder nun mehr Öffnungsklauseln für die Betriebe – erstmal freiwillig, und wenn sich nichts tut, auch mit gesetzlichem Nachdruck, also mit einer Änderung des Paragrafen 77 (3).

„Völlig unverständlich und überflüssig“, donnerte Klaus Zwickel aus der Frankfurter IG MetallZentrale Richtung Berlin und erinnerte den Kanzler an die „Vielzahl von Bündnissen für Arbeit“ in der Metallindustrie. Das stimmt auch, wie Zwickels Gegenspieler, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall bestätigt. Mit Blick auf die Anwendung der Klausel, die eine Abweichung vom Tarifvertrag ermöglicht, wenn es die wirtschaftliche Lage des Betriebes erfordert, sagt Martin Kannegiesser: „Bislang hat sich die IG Metall bei der Anwendung dieser Klausel kooperativ und diskret verhalten, sofern die betroffenen Betriebe ihre Situation plausibel dargelegt haben.“ Diskret ist wichtig, denn die Betriebe müssen ihre Zahlen offen legen, also vor Vertretern der Gewerkschaft die Hose runter lassen, um die Erlaubnis zur Abweichung vom Tarif zu bekommen.

Dieses, sowie der bürokratische Aufwand, bis eine Zustimmung der Tarifparteien vorliegt, stört viele. Zum Beispiel den Präsidenten des Deutschen Maschinenbaus, Diether Klingelnberg, der sich schwarz ärgert, wenn er sich mit der IG Metall rumschlagen muss. Die Klingelnbergs der deutschen Wirtschaft möchten allein mit ihren Betriebsräten solche Verabredungen treffen. Für die Gewerkschaften kommt das nicht in Frage. Sie verlören Einfluss und die Betriebsräte wären - anders als die Gewerkschaft - „erpressbar“, deshalb würde die Unterbietung des Tarifvertrags mehr oder weniger zu Regel. „Der Arbeitnehmer wird hinters Licht geführt“, fürchtet Verdi-Sprecher Harald Reutter.

Hubertus Schmoldt, Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie, hat ganz gute Erfahrungen gemacht. In der Chemie gibt es seinen Angaben zufolge rund 400 „Standortbündnisse“. Im Rahmen der Öffnungsklausel können Betriebe und Betriebsräte der IG BCE Arbeitszeit, Entgelt, und Jahresleistung variieren - wenn Gewerkschaft und Arbeitgeberverband zustimmen. In der Wirtschaft insgesamt werden nach einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung von 35 Prozent der Betriebe und 22 Prozent der Dienststellen tarifliche Öffnungsklauseln genutzt. Tendenz steigend. alf

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