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Kurze Karriereleiter. Wer nur noch den Chef in der Firmen-Hierarchie über sich hat, sucht oft vergeblich nach Entwicklungsmöglichkeiten. Foto: Design Pics

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Wirtschaft: Schnell ganz oben

In kleinen und mittleren Unternehmen sind die Hierarchien oft flach und die Möglichkeiten aufzusteigen gering. Doch das birgt auch Chancen

Vor gut zwei Jahren ist Anne-Kathrin Bartsch als Personalreferentin bei der Berliner Firma Serviceline eingestiegen. Sie kam mit einem Hochschulabschluss und mehrjähriger Berufserfahrung in einer Eventagentur zu dem Personal-Management-Unternehmen, in dem rund 30 Mitarbeiter in vier Niederlassungen kaufmännische Fach,- und Führungskräfte an Firmen in ganz Deutschland vermitteln.

Anne-Kathrin Bartsch konnte schnell Verantwortung übernehmen – und rutschte bald eine Position nach oben. Heute ist die 35-Jährige Key Account Managerin und für einen festen Kundenstamm tätig. In der Firmenhierarchie stehen jetzt nur noch die Niederlassungsleiter und die Geschäftsführung über ihr.

So wie Anne-Kathrin Bartsch geht es vielen Mitarbeitern kleiner und mittelständischer Unternehmen, gleich welcher Branche: Die Hierarchien sind flach – und das obere Ende der Karriereleiter ist schnell erklommen.

Das muss aber nicht immer von Nachteil sein. Ob ein Mensch in flachen Hierarchien beruflich zufrieden ist, ist eine Frage der persönlichen Karriereziele.

„Manche benötigen ein strukturiertes Gefüge, in dem sie ihren Platz haben, und klare Aufgabenstellungen, die sie abarbeiten können“, erklärt Jürgen Below, Geschäftsführer der Personalberatungsfirma Kienbaum in Berlin. „Für diese Menschen ist ein streng hierarchisches Unternehmen genau das richtige.“

Wer hingegen mehr Spielräume braucht, gern vernetzt denkt und immer wieder über den Tellerrand schaut, sei in flachen Hierarchien besser aufgehoben, meint Below. Flache Hierarchien bieten in der Regel kurze Entscheidungswege, selbstständiges Handeln, viel Verantwortung. Mitarbeiter haben einen direkten Draht zum Vorgesetzten.

Das selbstständige Arbeiten, das eigenständige Entscheiden – das ist es auch, was die Personalvermittlerin Bartsch an ihrem Job so schätzt. Sie stört sich nicht daran, dass es in ihrem Unternehmen schon nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit für sie voraussichtlich nicht weiter nach oben geht. „Titel oder Begrifflichkeiten für bestimmte Positionen sind mir nicht wichtig“, betont sie. Außerdem kommen ihr die Arbeitsbedingungen entgegen. Sie ist Mutter, arbeitet Teilzeit. Mit ihrer 32-Stunden-Woche kann sie das Familienleben ganz gut mit dem Beruf vereinbaren. „Würde ich planen, aufzusteigen, würde das natürlich auch mehr Arbeitsaufwand bedeuten“, sagt sie.

Auch für junge Menschen, die schnell interessante Aufgaben übernehmen wollen, sind Firmen mit flachen Hierarchien ideal. „Dort kann man schneller Verantwortung übernehmen als in einem stark strukturierten Unternehmen“, sagt Kienbaum-Experte Below.

Wer trotz geringer Aufstiegschancen Führungsaufgaben übernehmen will, dem rät Below, sich aktiv in der Projektarbeit einzubringen. „Für befristete Projekte wird immer auch ein Leiter gebraucht, der das Budget, die Aufgaben und das Team zusammenhält. Das wechselt meist bei jedem Projekt. Wer sich hier bewährt, macht positiv auf sich aufmerksam.“ Wenn dann doch einmal eine neue Hierarchieebene ins Unternehmen eingezogen wird – zum Beispiel, weil die Firma gewachsen ist oder sich organisatorisch anders aufstellen will –, haben Projekterfahrene gute Chancen, eine Führungsaufgabe zu bekommen.

Für Tim Hagemann, Arbeits- und Organisationspsychologe an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, ist Projektarbeit hingegen kein guter Ersatz für eine tatsächliche Führungsposition: „Als Team- oder Projektleiter hat man in der Regel keine disziplinarischen Befugnisse. Man kann seinen Teammitgliedern also keine Weisungen geben“, sagt er. Dennoch müsse man sie wie ein „echter Chef“ motivieren und für das Projekt begeistern, damit sie gut arbeiten.

Der Arbeitspsychologe ist auch kein großer Freund flacher Hierarchien: Viele Mitarbeiter seien durch die Möglichkeit, beruflich weiter zu kommen, motiviert. Diese Chance fällt aber in Firmen mit kurzen Karriereleitern weg. Damit gebe es für viele Mitarbeiter auch weniger Anreiz, sich zu engagieren.

Personalvermittlerin Bartsch sieht das anders. „Ich möchte mich persönlich und fachlich weiterentwickeln und innerhalb meines Aufgabenbereichs wachsen“, sagt sie. Die Betriebswirtschaftlerin lässt sich coachen und besucht Fachkurse.

Experte Tim Hagemann rät Mitarbeitern, die trotz flacher Hierarchien weiterkommen wollen, mal die Abteilung zu wechseln oder vom operativen Bereich in die Unternehmensorganisation zu gehen. In flachen Hierarchien kann es sich auch lohnen, mal nach rechts oder links zu gehen – anstatt nach oben.

Das ist allerdings nicht jedermanns Sache. Viele Deutsche seien – im Gegensatz zu Amerikanern – oft einfach nicht gewohnt, sich horizontal zu verändern, sagt Tim Hagemann. In den USA sei es völlig normal, dass ein Banker vielleicht eines Tages ein Restaurant aufmacht oder ein ehemaliger Unternehmensberater eine Farm kauft. „Hierzulande wird man schief angeschaut, wenn man nicht aufsteigen will, sondern lieber etwas Fachfremdes macht, um sich weiterzuentwickeln“, bedauert der Professor.

Wer sich in Firmen mit weniger Karrierechancen unwohl fühlt und keine Perspektiven für sich sieht, dem hilft oft nur ein Unternehmenswechsel: „Wenn jemand Hierarchien braucht, diese aber in der Firma nicht vorhanden sind, muss er sich einen Arbeitgeber mit entsprechenden Strukturierungs- und Aufstiegsstufen suchen“, sagt Karriereexpertin Svenja Hofert. „Das bedeutet aber auch, dass die Leistungserwartungen höher sind. Nicht nur in der Consultingbranche lautet oft das Motto ,Up or out', aufsteigen oder aussteigen.“ Nach oben ist eben nicht immer und nicht für jeden der richtige Weg.

„Ob Titel oder nicht: Am wichtigsten ist es, in seiner Arbeit einen Sinn zu sehen“, sagt der Arbeitspsychologe Hagemann. Das könne die Anerkennung und Wertschätzung etwa durch den Vorgesetzten sein, Zufriedenheit mit seiner Arbeit, gutes Feedback vom Kunden – oder eben eine Führungsposition und ein entsprechend hohes Gehalt.

Sabine Olschner

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