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Wirtschaft: Schrille Töne im Streit um eine schweigende Stradivari

Von allen Geigen des Antonio Stradivari gilt die Messias seit drei Jahrhunderten als sein Meisterstück.Ebenso lange wird allerdings im Stillen an der Echtheit dieser Violine gezweifelt.

Von allen Geigen des Antonio Stradivari gilt die Messias seit drei Jahrhunderten als sein Meisterstück.Ebenso lange wird allerdings im Stillen an der Echtheit dieser Violine gezweifelt.Zweifel, die in Fachkreisen immer lauter werden: Antonio Stadivari schuf die Messias vermutlich im Jahre 1716.Von seinem Sohn wurde sie 1775 verkauft.

Von den 1200 Instrumenten des Meisters existieren heute noch etwa 650.Die Messias hat unter ihnen eine einzigartige Stellung.Unter Glas versiegelt liegt die Violine im Ashmole Museum im britischen Oxford und wurde seit mindestens hundert Jahren von niemandem gespielt.

Gerade die Qualitäten, die der Violine das hohe Ansehen verschaffen, lassen Zweifel aufkommen.Eine Hand voll renommierter Experten sehen in der Messias einen Bruch zu den übrigen Arbeiten Stradivaris.Eine umstrittene Analyse datiert die Fällung der Fichte, aus der die Violine geschaffen wurde, auf einen Zeitpunkt nach Stradivaris Tod.

Es steht einiges auf dem Spiel: Ist sie eine "Stradivarius", ist die Violine ein Schatz von unschätzbarem Wert.Handelt es sich um eine Fälschung, sieht der Fall anders aus."Dies ist ein erbitterter Kampf," sagt James McKean, Präsident des amerikanischen Verbands der Geigen- und Bogenmacher."Wenn sich herausstellt, daß diese einzigartige Violine des bedeutendsten Geigenbauers der je gelebt hat tatsächlich von jemand anderem gebaut wurde, dann...".

Im Mittelpunkt der sich verschärfenden Kontroverse steht Steward Pollens, außerordentlicher Kurator für Musikinstrumente am Metropolitan Museum of Art in New York.Auf der anderen Seite steht die britische Familie Hill.Sie handelt seit nunmehr 300 Jahren mit wertvollen Geigen.Als Pollens die vermeintliche Messias vor zwei Jahren das erste Mal untersuchte, kamen ihm Zweifel.Er begann, die Abstammung der Violine genauer zu durchleuchten.Die Hills sehen das als reinen Geltungsdrang.Hätte Steward Pollens doch soviel Anstand zeigen können, seine Vorbehalte mit ihnen zu diskutieren, anstatt sich gleich an die Öffentlichkeit zu wenden.In der vornehmen Welt der Geigen herrscht seit diesem Vorfall Groll auf allen Seiten.

David Hill sagt über Pollens, er sei zu seinen Forschungen nicht autorisiert gewesen.Die Hills werfen Pollens vor, daß er Beweise, die seiner Theorie widersprechen, ignoriere.Andere Experten haben derweil neue Thesen zur Herkunft der Messias vorgestellt: So könnte Stradivaris Sohn die Violine gebaut haben.Sie könnte auch im 19.Jahrhundert von dem französischen Geigenbauer Jean-Baptiste Vuillaume anfertigt worden sein.Wie auch immer, der Herausgeber des renommierten Journals der Violin Society of America, Albert Mell, fand Pollens Entdeckung interessant genug, um sie in der neusten Ausgabe seines Journals zu veröffentlichen.

Klar ist, daß bisher kein anderer Instrumentenbauer an den Geigenbauer Stradivari heranreichte.Geboren wurde Stradivari 1644 in dem italienischen Dorf Cremona.Er wurde 93 Jahre alt.Er vervollkommnete sein Handwerk und schuf eigentlich unbezahlbare Instrumente, die heute jedoch hoch gehandelt werden.Erst im vergangenen Jahr wurde die Kreutzer Violine, benannt nach dem im 18.Jahrhundert berühmten Violinisten, für 1,6 Millionen Dollar verkauft.Andere werden von großen Virtuosen wie Itzhak Perlman oder Anne Sophie Mutter gespielt.

Am berühmtesten aber ist die Messias.Ihren Namen bekam sie, als im 19.Jahrhundert der damalige Besitzer Luigi Tarisio mit der Violine prahlte.Der begnadete Violinist Delphin Alard wollte das Instrument daraufhin sehen, was ihm aber verweigert wurde.Alard spottete: "Die Violine ist wie der Messias.Er wird ständig erwartet, aber er erscheint nie."

Bis 1890 war die Violine so bekannt, daß sie für die damals immense Summe von 2000 Pfund an die Hill-Familie verkauft wurde.Im Jahre 1939 wurde die Messias als das Kernstück der Hill-Sammlung dem Ashmole Museum in Oxford gestiftet.

Daß es sich bei der Messias um ein Instrument von unerreichter Qualität und Schönheit handelt, wird von niemandem angezweifelt.Ihr Klang ist allerdings umstritten.Sie wurde vermutlich 1890 von dem Violinisten Joseph Joachim das letzte Mal gespielt, wobei ihm der Genuß gerade mal für eine Stunde zuteil war.Joachim bewunderte ihre "Lieblichkeit, vereint mit Erhabenheit." Durch eine Anordnung der Hills hat niemand sonst danach das Vergnügen gehabt, die Violine zu spielen.

Das trug dazu bei, daß sich auch unter den Bewunderern Zweifel ausbreiteten.Stewart Pollens begann zu zweifeln, als er an einem Nachmittag im Juli 1997 die Messias für ein Buchprojekt photographieren wollte.Nach genauer Untersuchung der Violine bemerkte er einige Anomalien.Zum einen drehen sich im Gegensatz zu anderen Stradivaris die f-förmigen Schallöcher zu den Kanten - eine noch nie dagewesene Variante.Weiterhin fiel ihm ein inskribiertes G im Wirbelkasten auf.Stradivari hat viele seiner Geigen mit einem G oder PG versehen, um Größenunterschiede zu markieren.Die Messias hatte allerdings ursuprünglich keine Kennzeichnung.Nicht einmal die Hills verwiesen 1902 auf eine solche Markierung, als sie eine detaillierte Studie über das Schaffen Stradivaris veröffentlichten.

Das ist nicht die einzige Kuriosität.Pollens behauptet, daß die Messias eher einer PG-Größe entspricht, nicht G.Es stellt sich also nicht nur die Frage, wann die Kennzeichnung aufgebracht wurde, sondern auch, wieso die Violine eine falsche Markierung trägt.Um sich Klarheit zu verschaffen, wandte sich Pollens an den Dendrochronologen Peter Klein von der Universität Hamburg.Er sollte das Alter des Holzes anhand einer Photographie bestimmen.Klein gelangte zu einem überraschenden Ergebnis: Das Holz der Messias entstammt von einem Baum, der frühestens 1736 gefällt wurde.Rechnet man die Zeit, die das Holz zum Trocknen braucht, dazu, kann die Violine erst nach Stradivaris Tod im Jahre 1737 gefertigt worden sein.

Die Hills rüsten zum Gegenschlag: Dendrochronologie sei eine ungenaue und nicht anerkannte Wissenschaft."Ohne Zweifel werden die Ergebnisse der sogenannten Experten in fünfzig Jahren widerlegt sein, die Messias aber wird noch immer ihren bewährten Stand haben - im Ashmol Museum," sagt David Hill.Die Theorie der Schallöcher und der G-Markierung sei irrelevant.Statt dessen bemühte die Hill-Familie ihren eigenen Berater, John Topham.Der ist britischer Geigenrestaurateur - und außerdem ebenfalls Dendrochronologe.Er verglich das Holz der Messias mit dem Holz einer anderen Stradivari aus dem Jahre 1717.Das Ergebnis: Alle Indizien sprechen für die Echtheit der Violine.Klein war bei Tophams Untersuchungen im vergangenen November zugegen - und revidierte nach Abschluß der Analysen sein eigenes Ergebnis.Seine Technik sei "unausgereift" gewesen, seine Messungen nicht direkt an der Messias vorgenommen worden.Das veranlasse ihn nun, den Meßergebnissen von Topham Glauben zu schenken.

Allerdings sind die von Topham immer noch nicht freigegeben.Erst im Mai werde er persönlich einen definitiven Bericht herausgeben.Steward Pollens, der eigentlich seine Zeit als Kurator für Geigen und Flöten verbringt, bleibt nur eine vollständige öffentliche Untersuchung zu verlangen, um die Angelegenheit endgültig aufzuklären.

Übersetzt und gekürzt von Birte Heitmann (Stradivari), Svenja Rothley (Europäische Finanzpolitik) und Karen Wientgen (Europäische Kommission, Asien)

THOMAS GOETZ

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