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Wirtschaft: Shopping-Center: Wie die Lust am Kaufen geweckt wird

Eigentlich waren Tante-Emma-Läden Avantgarde. Man spazierte in das Geschäft mit einem Einkaufszettel - und später hinaus mit allem, was man so brauchte.

Eigentlich waren Tante-Emma-Läden Avantgarde. Man spazierte in das Geschäft mit einem Einkaufszettel - und später hinaus mit allem, was man so brauchte. Zwischendurch plauderte man mit der Verkäuferin und anderen Besuchern. "Back to the roots" müsste man daher den Trend zu Shopping-Centers nennen. Denn einerseits locken die großen Konsumtempel Käufer auch aus entfernteren Gegenden mit dem Versprechen, von Lebensmitteln über Parfums bis Kleider und Delikatessen alles unter einem Dach zu finden. Andererseits aber bilden sie mit Brunnen, Cafes und Bäumen künstlich einen Marktplatz nach, auf dem die bummelnden Konsumenten soziale Bedürfnisse stillen, häufig gar ihre Freizeit verbringen können.

Nichts wird dem Zufall überlassen. Betreiber, Architekten, Lichtplaner und Wahrnehmungspsychologen planen gezielt die Schaffung der Kunstwelt: Eine ausgetüftelte Choreographie von Licht, weiten Räumen, warmen Farben, stimulierenden Klängen, Warenvielfalt und Events soll das Wohlbefinden optimieren. Denn je länger der Kunde dort verweilt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er auch kauft. "Wir leben in einer Überflussgesellschaft", sagt der Wissenschaftler Peter Weinberg, Direktor des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität Saarbrücken. "Bis auf Lebensmittel müssen wir nichts kaufen. Wenn wir kaufen, dann nur aus Lust." Und diese Lust muss ein Shopping-Center wecken. "In Amerika nennt man Shopping-Center den "third place", sagt Peter Fuhrmann, ein Düsseldorfer Berater für den Einzelhandel. Nach den eigenen vier Wänden und Arbeitsplatz folgt gleich das Einkaufszentrum als drittwichtigster Ort für den modernen Menschen.

Wie im Wohnzimmer

Wie stellen die Shopping Center das an? Indem sie so stark wie möglich die Sinne der Menschen ansprechen. Konsumenten würden tendenziell stärker manipuliert als sie ahnten, sagt Bernd Falk vom privaten Institut für Gewerbezentren in Starnberg. Die Beeinflussung fängt bei der entspannend wirkenden Hintergrundsmusik an und endet bei sinnlicher, warmer Innenatmosphäre. Dabei gehe es darum, gleichermaßen Erregung, Lust und Dominanz beim Einkaufenden hervorzurufen, sagt die Diplom-Kommunikationswirtin Simone Besemer. Wie funktioniert das nun mit Erregung, Lust und Dominanz? In Erregung oder Aktivierung der Sinne versetzten den Konsumenten etwa ausgefallene Schaufensterdekorationen, Licht und Musik. Erst so wird mancher Passant erst verführt, in den Konsumtempel zu treten. Die Lust am Kaufen wecken dann etwa ästhetische, großzügige Innenräume, besondere Ware, aber auch eine reizvolles Vielfalt an ausgefallenem Kulinarischen.

Das alles reicht nicht. Der Mensch ist überfordert, wenn er sich in engen Gängen an vielen anderen Besuchern vorbeidrängen muss oder in der Vielfalt verwirrender Gänge die Orientierung verliert. Kurz, er muss seine Umwelt beherrschen können. Was ist reizvoller als eine bunte Palette verschiedenster Güter und Dienstleistungen? Daher verweisen Experten sofort auf die Qualität und Quantität des Angebotes, wenn man sie nach den wichtigsten Faktoren befragt. Das betrifft einerseits einem Rundumschlag durch die Waren- und Dienstleistungswelt. So werben die Berliner "Potsdamer Platz Arkaden" damit, dass man dort "von Aldi über den italienischen Feinkostladen bis Deichmann und die hochwertigsten Boutiquen alles findet", wie der Geschäftsführer des Centermanagements, Andreas Kube, sagt. Kein Wunder, dass die Betreiber von Einkaufszentren die Flächen nicht an den Meistbietendsten vermieten, sondern die Läden im Vorfeld sorgfältig ausgewählt werden. Neben dem ausgewogenen Branchenmix setzten sie nach Angaben der Saarbrücker Wissenschaftlerin Besemer bewusst auf so genannte Magneten. "Früher waren das Kaufhäuser; heute sind es Filialisten wie Douglas und H & M und ein breites Angebot unterschiedlicher Gastronomie." Diese setzen die Center-Betreiber übrigens gerne in höhere Stockwerke und hintere Ecken, um die Schritte der Besucher bewusst an anderen Geschäften vorbei zu dirigieren.

Einer der wichtigsten Beeinflussungsfaktoren ist natürlich das Shopping-Center selbst. "Wir legen sehr viel Wert auf Architektur", sagt ein Sprecher der Hamburger ECE, dem führenden Entwickler von Shopping-Centern in Europa. Denn Außen- und Innenarchitektur - nicht nur die Form, sondern auch die Farbe, Ruhezonen und Kaffees - schaffen die "Basisstimulierung", erklärt Simone Besemer von der Universität Saarbrücken. So sei erwiesen, dass "warme Farben aktivierend auf die Einkaufslust und die Verweildauer wirken". Und genau darauf haben Architekten bei den Potsdamer Arkaden und dem Stilwerk bei der Verwendung von Materialien wie Holz und Naturstein bewusst geachtet, wie Dieter Schweinlien von dem Architekturbüro Novotny, Mähner und Assozierte erklärt. Daneben legten die Einkaufszentren-Planer Wert auf Glasfronten und -kuppeln, denn nichts kann das Tageslicht toppen.

Generell gilt: Natürlichkeit ist gewollt, Kaufhauscharakter verpönt. Gezielt bilden die modernen Shopping-Center Straßen und Plätze, mit Kaffees, Brunnen und Bäumen nach. Sowohl die Arkaden am Potsdamer Platz als auch das Stilwerk entsprächen in Höhe und Breite "einem Straßenprofil", sagt der Architekt des Stilwerkes. Daher zum Beispiel der Sandstein-Boden, daher die filigranen, transparente Brücken zwischen den Etagen, wo auch mal ein Crêpe- oder Espresso-Stand aufgebaut werden.

Vorbei die Zeit, als man aus trübem Herbstwetter in grell beleuchtete Hallen betrat. Tagsüber greifen Shopping-Center so weit wie möglich auf natürliches Licht zurück oder versuchen es nachzubilden. Und abends schieben sich bei den Potsdamer Arkaden Filter über die Lichter, um sich der Abendstimmung anzupassen. Wer als unbedarfter Konsument denkt, das Shopping Center habe halt ein paar halbwegs geschmackvolle Lampen hingehängt - der irrt. Und vergisst unangenehme Erfahrungen: etwa das Anprobieren von Kleidern in der grell erleuchteten Umzugskabine, dessen Spiegel einen zehn Jahre älter aussehen lässt. "Licht ist ein immer wichtigerer Faktor", betont der ECE-Sprecher. Deswegen würde der Immobilien-Entwickler mit führenden Lichtlaboren zusammenarbeiten. Deren Ziel ist einerseits, in der Kunstwelt die natürliche Außenwelt so gut wie möglich widerzugeben. Andererseits hat aber Licht auch die Funktion, zu orientieren. So würden Fahrstühle oder Ruhezonen besonders stark beleuchtet, sagt der Walter Witting vom österreichischen Bartenbach Lichtlabor, der von Beruf her Wahrnehmungspsychologe ist. "Spätestens beim zweiten Mal weiß der Kunde, dass die Lifte im hellen Bereich sind."

Lust durch Architektur

Was kann besser Erregung und Lust anstacheln als Unterhaltung und Events? Freizeit und Unterhaltung spielen bei Einkaufszentren eine immer wichtigere Rolle. Die Warenverkaufscenter heißen daher heute "Urban Entertainment Center". Neben dem Cappuccino und Deichmann, Sushi und der Nobelboutique sollen auch Fitness-Studio, Kino oder Bowlingbahn den Konsumenten in die künstliche Shopping-Welt locken.

Die Zukunft liegt noch ganz woanders: Zum Beispiel in Großbritannien. In das größte europäische Shopping-Center Bluewater in der Nähe Londons pilgern regelmäßig Wissenschaftler und Unternehmer. Das ist schon eine Keimzelle neuen, urbanen Lebens, wo man ganze Tage verbringen kann - wo die Kinder spielen, die Erwachsenen sich bilden, ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen und einkaufen. Die Zukunft liegt - natürlich - auch in den USA: Eine Supermarktkette in Texas nimmt sich donnerstagabends der steigenden Zahl der Singles dieser Welt an: mit einer Nacht für Unverpaarte mit Kraut und Kartoffeln bei gedämpften Licht. In einem Shopping-Center in Arizona durchläuft ein so genannter Fashion-Consultant mit dem Shoppenden kostenlos die Kleider-, Schuh- und Accessoire-Abteilung - und wählt ihm passend zum Thema - erstes Date oder Vorstellungsgespräch - die Kleidung aus. Vielleicht liegt die Zukunft aber auch bald in Berlin: Das Hamburger Unternehmen ITC. will an der Hauptstraße ein Themen-Einkaufszentrum mit dem klangvoll-geheinmnisvollen Namen Orienta schaffen. Dort wird der Konsument dann eine Inflation der Sinnensbefriedigungen erleben: mit Gewürzen, Basaratmosphäre und natürlich einem Hamam.

Karen Wientgen

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