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Freier Fall. Zumindest gilt das für Selbstständige, die ihr wirtschaftliches Risiko allein tragen. Geht ein Auftraggeber pleite, haben sie kein Recht auf Insolvenzgeld. Im Gegensatz zu ihren fest angestellten Kollegen. Trotzdem macht Freien ihr Job meist mehr Spaß. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Sicher und frei

Festangestellte sind abgesichert, Selbstständige dafür freier und glücklicher? Nicht unbedingt. Beide Modelle haben Vor- und Nachteile.

Als Christoph zum Vorstellungsgespräch ging, wusste er schon, dass er gerne in dem Architektenbüro arbeiten würde. Zum Chef sagte er am Ende: „Ich würde sehr gerne hier anfangen, aber ich komme nur, wenn Sie mir einen Arbeitsvertrag geben, ich will nicht als Selbstständiger arbeiten!“ Der Chef nickte, überlegte, und stellte Christoph schließlich ein.

Christoph, der eigentlich anders heißt, möchte seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Er ist Mitte 30 und arbeitet als Architekt. An diesem Tag sitzen er und seine Kollegin Marie auf einer Parkbank in der Abendsonne Berlins, beide kommen gerade aus dem Büro. Auch Marie heißt eigentlich anders. Im Gegensatz zu Christoph ist die 29-Jährige selbstständig, anders als er hat sie keinen Arbeitsvertrag. Marie hat keinen Anspruch auf Urlaub, Urlaub nimmt sie sich, wenn ein Projekt vorbei ist – und so viele Tage, wie sie will. Christoph kann 20 Tage im Jahr bezahlt in den Urlaub fahren. Und im Gegensatz zu ihrem Kollegen zahlt Marie nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Angestellt sein oder selbstständig arbeiten – was sind die Unterschiede, was die Vor- und Nachteile?

Conrad Pramböck hat versucht, darauf eine Antwort zu finden. Für sein Buch „Jobstars“ hat der Unternehmensberater Angestellte und Selbstständige befragt, zu Themen wie Leistung, Verantwortung, Druck, Einkommen. Die Unterzeile seines Buches lautet: „Mehr Glück, mehr Erfolg, mehr Leben als Angestellter“, aber so einfach ist es dann doch nicht. Denn Pramböck sagt auch: „Angestellte sollten die Vorteile der Selbstständigkeit nutzen!“

In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Angestellten im deutschsprachigen Raum um mehr als 50 Prozent gestiegen – die Zahl der Selbstständigen dagegen nur um rund 15 Prozent, das hat Pramböck recherchiert. Laut Statistischem Bundesamt lag die Selbstständigenquote in Deutschland zuletzt bei rund zwölf Prozent. Auch wenn, wie im Fall von Marie und Christoph, Selbstständige und Angestellte denselben Job machen – die Unterschiede, etwa bei Arbeitszeiten und Einkommen, sind groß: Im vergangenen Jahr gaben die in Vollzeit arbeitenden Selbstständigen durchweg höhere Arbeitszeiten an als abhängig Beschäftigte. Selbstständige arbeiteten rund 51 Stunden die Woche, Arbeitnehmer nur rund 41 Stunden. Und rund 90 Prozent der Angestellten verdienten mehr als Selbstständige. Pramböck sagt: „Viele, die sich selbstständig machen, träumen davon, reich und glücklich zu werden, doch das ist kaum der Fall.“

Marie möchte nicht reich werden, sondern glücklich sein. Schon während des Studiums arbeitete sie nebenher bei Projekten mit, Urlaub hatte sie nie. Dann bekam sie den ersten Arbeitsvertrag, einen Vertrag zur freien Mitarbeit, befristet auf acht Monate. Jetzt ist sie selbstständig, 2000 Euro brutto plus 19 Prozent Mehrwertsteuer verdient sie im Monat. „Natürlich habe ich Existenzängste“, sagt sie. Oft schläft Marie deswegen schlecht. „Ich überlege dann immer, ob es anders wäre, wenn ich einen festen Job hätte.“ Aber sie sagt auch: „Ich weiß gar nicht, ob ich in diesem Büro gerne festangestellt wäre.“ Den Chef kennt sie schon lange, „ich würde wahrscheinlich genauso viele Überstunden machen wie jetzt auch und versuchen, immer da zu sein.“

Wenn Marie Kopfschmerzen hat oder eine leichte Grippe, geht sie trotzdem ins Büro. Würde sie fehlen, bekäme sie kein Geld. Vor Projektabgabe arbeitet sie schon mal an Feiertagen oder das Wochenende durch – extra bezahlt wird sie dafür nicht. Aber Marie macht ihr Job Spaß und sie trägt Verantwortung. Architekt zu sein bedeutet meist, im Team zu arbeiten. Und ihr Team will Marie nicht hängen lassen.

Christoph kennt das Gefühl. Überstunden macht auch er viele, bezahlt werden die ebenfalls nicht. „Ich versuche, sie selbst irgendwie auszugleichen“, sagt er. Freitags, wenn kein Projekt ansteht, geht er dann mal ein bisschen früher. Christoph genießt es, angestellt zu sein, die soziale Absicherung ist ihm wichtig. Rund 2500 Euro brutto verdient er im Monat.

Unternehmensberater Conrad Pramböck sagt: „Für viele Angestellte steht Sicherheit an erster Stelle.“ Ein sicherer Job, ein sicheres Einkommen, eine gesicherte Existenz. Maries Einkommen ist unsicher, jederzeit könnte ihr Chef sagen: „Wir brauchen dich nicht mehr.“ Ihr selbst ist das noch nicht passiert, aber sie hat es bei Kollegen erlebt. Auch werde in der Architektenbranche oft versucht, die Gehälter zu drücken. „Dann wird einem mit der Praktikantenarmada gedroht“, sagt Marie. In dem Büro, wo sie vorher gearbeitet hat, wollten sie einer Kollegin nur noch 16 statt 18 Euro die Stunde zahlen.

Jeden Monat muss Marie Rechnungen schreiben, von dem Geld, das sie bekommt, gehören ihr zwischen 50 und 60 Prozent, denn erst am Ende jeden Jahres muss sie die Einkommenssteuer zahlen. Christoph hat darauf keine Lust. „Noch ein Grund, warum ich lieber angestellt bin“, sagt er. In den ersten Wochen seien Selbstständige wie Marie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Papierkram und Verhandlungen beschäftigt, sagt Conrad Pramböck. Geld verdienen sie in dieser Zeit nicht. Ein weiterer Aspekt: die Büroausstattung. Selbstständige müssen sich Dinge wie Computer, Drucker oder Telefon selbst kaufen. Angestellte kommen in ein voll ausgestattetes Büro.

Christoph hat beobachtet, dass Selbstständige und Angestellte anders arbeiten. „Wenn der Anspruch nicht so hoch ist und die Bezahlung schlecht, dann arbeitet man einfach langsamer“, meint er. Man ist ja angestellt. Marie meint, dass Selbstständige schneller arbeiten und weniger Pausen machen. Zeit ist Geld.

Ein Unterschied ist sicherlich, ob man als Mann oder Frau selbstständig arbeitet. Marie ist jetzt 29, an Kinder denkt sie noch nicht. „Jetzt, mit dieser Arbeitssituation, würde ich aber auch keine Kinder bekommen wollen“, sagt sie. Marie erzählt, dass viele Architektinnen, die vorher selbstständig waren, an eine Universität wechseln und dort als Hiwis arbeiten – dann erst bekommen sie ein Kind. Oder die Ehemänner verdienen so gut, dass das Geld auch für Frau und Kind reicht. „Frauen, die selbstständig arbeiten, stillen so schnell es geht ab“, das hat Conrad Pramböck in vielen Gesprächen erzählt bekommen. Die Mütter müssen schnell wieder in den Job. „Immer funktionieren zu müssen ist eine extreme Belastung.“ Doch Selbstständige, egal ob Frau oder Mann, müssen funktionieren, immer, sonst verdienen sie kein Geld. Christoph ist sich sicher, dass Angestellte schon deswegen entspannter sind. „Und sie können sich mehr auf das Wesentliche konzentrieren“, sagt er. Den Job, den Feierabend, das Wochenende.

Aber was sind denn nun die Vorteile des Selbstständigseins? „Angestellte geben gerne Verantwortung ab“, sagt Pramböck. Bei Selbstständigen sei das anders. Sie müssen Verantwortung übernehmen und sind gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Etwa, ob sie Werbung machen, wie viel Geld sie verlangen – und wenn es gut läuft –, für wen sie arbeiten möchten. Und das Wichtigste: Diejenigen, die selbstständig arbeiten, tun (meistens) das, was ihnen Spaß macht. „Das ist sehr wichtig!“, sagt Pramböck. „Angestellte schleppen sich montags oft ins Büro und warten dann aufs Wochenende, die eigenen Bedürfnisse stellen sie hinten an. Das kann doch nicht gut gehen!“ Marie hat einen Job, der ihr Spaß macht. Christoph auch. Trotzdem verdienen beide nicht dasselbe Gehalt.

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