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Anstoßen auf gute Geschäfte: Das Königspaar kommt am Montag nach Berlin und reist dann nach Hessen und Baden-Württemberg weiter.

© AFP

Staatsbesuch in Deutschland: König Willem-Alexander kommt nach Berlin

Willem-Alexander und Màxima werben in Deutschland für die niederländische Industrie. Mit dabei sind 100 Unternehmen – und große Hoffnungen.

Die Vorhut des Königs war schon eine Woche vorher da: ein gigantischer Müllwagen, an dem Angela Merkel allerdings achtlos vorbei schritt, ohne sich für die Fotografen in Szene zu setzen. Der weiße Trumm stand am Rande einer Konferenz über Elektromobilität in Berlin und war noch wenige Tage zuvor in einer der hintersten Hallen des „Automotive Campus“ im niederländischen Helmond auf Hochglanz poliert worden. Am Montag nun kommt König Willem-Alexander selbst nach Berlin und stattet der Bundeskanzlerin und Bundespräsident Joachim Gauck seinen Antrittsbesuch ab.

Eigentlich hatte das gar nicht auf dem Programm gestanden: Die Deutschlandreise war schon vor einem Jahr geplant worden, als Willem noch nicht König war, und sollte nur nach Baden-Württemberg und Hessen führen, um für die niederländische Wirtschaft zu werben. Jetzt also wird ein Tag Berlin vorgeschaltet, um das königliche Protokoll zu wahren. Dann reist Willem-Alexander mit Máxima nach Süden, um zu seiner Delegation mit Vertretern von rund 100 niederländischen Unternehmen zu stoßen.

Industrie ist das Thema – dabei stehen die Niederlande eigentlich eher für Handel, Dienstleistungen, Erdgasförderung und Landwirtschaft. Aus den Raffinerien im Erdölhafen von Rotterdam stammt das Benzin für deutsche Autos, aus den Gewächshäusern des kleinen Nachbarn kommen die meisten Tomaten. Der elektrisch angetriebene Müllwagen ist ein Beispiel gegen das Klischee und soll die Leistungsfähigkeit der niederländischen Industrie zeigen. „Wir haben den kompletten Lkw elektrifiziert“, erzählt einer der Ingenieure stolz. Allerdings steckt noch ein Verbrennungsmotor in dem Laster, ein Sechs-Zylinder-Diesel von Audi, der die Batterie lädt, wenn sie leer sein sollte. Der Hersteller MAN, eine Volkswagen-Tochter, wollte prüfen, ob das Konzept Sinn macht, und gab den Hybrid-Prototyp in Auftrag. Neben den niedrigeren Emissionen spricht vor allem der geringere Lärm dafür. Denn der Müllwagen, der einer Journalistendelegation in Helmond auf Einladung der Regierung vorgeführt wird, kann schon in den frühen Morgenstunden im Einsatz sein, ohne ganze Straßenzüge aufzuwecken.

Eine Test-Autobahn mit Kameras und Kabeln

Der Lastwagen zeigt Glanz und Elend der niederländischen Autoindustrie. Ganze Fahrzeuge werden allenfalls in Kleinserien hergestellt, die Marke Daf ist vor Jahrzehnten vom Markt verschwunden, Volvo hat sich zurückgezogen, und alle Hoffnung ruht nun auf einem Mini-Werk, das am traditionsreichen Nedcar-Standort in Born im kommenden Jahr den Betrieb aufnehmen soll. Auch der „Automotive Campus“ in Helmond gehörte zuletzt Volvo, heute haben sich spezialisierte Ingenieurfirmen auf dem Gelände angesiedelt und nutzen die vielfältigen Testmöglichkeiten. Es gibt eine Klimakammer, in der sich nicht nur die Temperaturen einstellen, sondern auch Höhen bis 4000 Meter simulieren lassen. So kann man in diesem flachen Land binnen einer halben Stunde die Zugspitze um einen Kilometer übertreffen.

Die niederländische Autoindustrie, sofern man überhaupt davon sprechen kann, bewegt sich dagegen eher auf einem Tiefpunkt. Sie kommt heute auf einen Jahresumsatz von 17 Milliarden Euro – das ganze Land erreicht also in dieser Branche weniger als ein Zehntel der Wirtschaftskraft von Volkswagen. Fred Welschen, Direktor des niederländischen Autoverbands, sieht aber auch Vorteile darin, dass in seinem Land nicht ein Hersteller dominiert. „Wir bieten das beste Umfeld für alle. Wenn man den richtigen Fokus hat, kann man Lücken im Markt finden."

So gibt es Dinge in dem Nachbarland, für die sich auch deutsche Hersteller stark interessieren. In der Nähe von Helmond befindet sich ein Sechs-Kilometer-Stück reguläre Autobahn, das komplett verdrahtet und mit Kameras versehen ist. Dort werden regelmäßig in einem realen Umfeld Tests durchgeführt, je nach Anforderung bei normal fließendem Verkehr oder bei komplett gesperrter Autobahn. Die Ingenieure in Helmond lernen so, wie Staus entstehen, sie verbessern die Verkehrsleittechnik oder probieren autonome Fahrzeuge im richtigen Leben aus. Welschen glaubt daran, dass da die Zukunft liegt: „Verkehr wird in den wachsenden Städten zu einem immer größeren Problem. Wenn die Integration aller Systeme gelingt, entsteht eine ganz neue Industrie. Da wollen wir vorn mit dabei sein.“

Was aus dem Flugzeugbauer Fokker geworden ist

Auch in Papendrecht, wo sich der einstige Flugzeughersteller Fokker der Delegation präsentiert, lässt sich der Strukturwandel besichtigen. Die niederländische Luftfahrtindustrie stellt keine ganzen Flugzeuge mehr her, aber eben Tragflächen, Leitwerke und andere Einzelteile. Zu den Kunden gehören alle großen Namen, auch Airbus. Für den A-380-Jumbo setzt Fokker den Werkstoff Glare ein, der aus mehreren Aluminiumschichten geklebt wird: extrem leicht, widerstandsfähig und besser zu verarbeiten als traditionelle Aluminiumplatten, bei denen viel Verschnitt anfällt. Auch Fokker hat eine Nische gefunden, um zu überleben.

So sehr die Spezialisierung in der Auto- und Flugzeugbranche Sinn macht, die Hoffnungen verlagern sich in andere Bereichen. Wie sehr sich die Industrie in den Niederlanden wandelt, zeigt der „High Tech Campus“ in Eindhoven. Einst gehörte das Gelände, in dem 8000 Menschen aus 60 Nationen in 100 Firmen arbeiten, dem Industriekonzern Philips. In einem zehnjährigen Aufbauprozess ist ein extrem dynamischer Standort daraus geworden. Fast die Hälfte aller niederländischen Patentanträge kommt von dort. In einem Labor zeigt der Chiphersteller NXP der Delegation eine Waschmaschine, die Kleidungsstücke anhand eingenähter, winziger Chips erkennt und die entsprechenden Pflegehinweise anzeigt. Eingelaufene Wäsche könnte so der Vergangenheit angehören. Die Ingenieure haben auch Lampen zur Produktionsreife gebracht, die sich übers Internet direkt ansteuern lassen, so dass man per Smartphone jederzeit jedes einzelne Licht zu Hause an- und ausschalten kann.

Hochspezialisiert ist auch der Hersteller ASML in Veldhoven, dessen Namen nur Experten kennen, der aber in seinem Segment zum Weltmarktführer aufgestiegen ist: Das vor nicht mal 30 Jahren gegründete Unternehmen fertigt Maschinen, mit denen seine Kunden in einem lithografischen Verfahren Halbleiter produzieren. Um die fünf Milliarden Euro Jahresumsatz erwirtschaftet ASML, am Konzernsitz reiht sich ein Gebäude ans andere. Das neueste verfügt über einen Kern, der komplett von den Außenwänden abgekoppelt ist und damit von Erschütterungen durch die nahe Autobahn. Im Inneren arbeiten hinter Glasscheiben Arbeiter in Ganzkörperanzügen an Maschinen. Staubkörner haben keine Chance, und wer eine Zigarette geraucht hat, muss erstmal draußen bleiben.

Milliarden von Menschen auf der Welt haben im Lauf des Tages mit Produkten Kontakt, die ihren Ursprung auch in den Reinräumen von Veldhoven haben. Der Namen ASML wird ihnen im Zweifel nie begegnen, so wie man auch immer seltener in einem Fokker-Flugzeug Platz nehmen kann. König Willem-Alexander will bei seinem Besuch in Baden-Württemberg und Hessen zeigen, dass die Niederlande, der größte Handelspartner Deutschlands nach Frankreich, nicht nur für Tomaten steht. Und die mitreisenden Unternehmensvertreter machen sich noch größere Hoffnungen, seitdem er den Thron bestiegen hat. „Man kommt mit König sicher in mehr Türen rein, als wenn man alleine unterwegs ist“, sagt der Gründer eines Hightech-Dienstleisters.

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