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Wirtschaft: Stahlbranche steht vor einem Streik

Die Tarifverhandlungen sind gescheitert – der Arbeitskampf könnte bereits am 23. Mai beginnen

Berlin/Düsseldorf - Die westdeutsche Stahlindustrie steht vor dem ersten Streik seit über 25 Jahren. Die Tarifkommission der IG Metall hat am Mittwoch beim Vorstand der Gewerkschaft die Urabstimmung beantragt, nachdem die Tarifverhandlungen in der Nacht zuvor ergebnislos abgebrochen worden waren. Es gilt als sicher, dass die IG-Metall-Spitze am Dienstag dem Antrag stattgeben wird. IG-Metall-Verhandlungsführer Detlef Wetzel sagte, die Urabstimmung werde voraussichtlich vom 13. bis 19. Mai stattfinden. Er rechne damit, dass eine große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder für einen Arbeitskampf stimmen werde. Dieser könnte am 23. Mai beginnen, einen Tag nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Damit könnte es noch in diesem Monat erstmals seit 1978 zu einem unbefristeten Arbeitskampf kommen.

Die Arbeitgeber warnten die IG Metall, ein Streik in der Stahlindustrie werde enormen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. In Branchen wie dem Maschinenbau, der Automobil- und der Bauindustrie müsse wegen fehlender Vorprodukte mit erheblichen Engpässen gerechnet werden, sagte der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands Stahl, Helmut Koch, dem Handelsblatt. Die Arbeitgeber wollten einen Streik vermeiden. „Wir müssen überlegen, ob wir uns noch bewegen können“, deutete Koch Kompromissbereitschaft an. Zugleich äußerte er aber die Bereitschaft, notfalls einen Arbeitskampf einzugehen. „Wenn man nicht mehr streikbereit ist, wird man auch keine vernünftige Lösung erzielen“, sagte Koch. Auch bei der IG Metall hieß es, man sei noch zu einer Verhandlungslösung bereit. Dazu müssten die Arbeitgeber aber deutlich mehr Geld bieten.

Die Arbeitgeber hatten ihr Angebot zuletzt auf 2,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt bei einer Laufzeit von 19 Monaten sowie eine Einmalzahlung von 800 Euro erhöht. Die IG Metall fordert für die 85000 Beschäftigten der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen 6,5 Prozent mehr Geld für zwölf Monate.

IG-Metall-Verhandlungsführer Wetzel kritisierte das Arbeitgeberangebot als „völlig unannehmbar“. Er verwies auf den Boom in der Stahlindustrie und die hohen Gewinne der Unternehmen.

Die beiden größten deutschen Stahlhersteller, Thyssen-Krupp und Salzgitter, haben 2004 die besten Resultate seit Jahrzehnten erzielt und erwarten für 2005 eine weitere Ergebnisverbesserung. Allerdings hat sich die Stahlnachfrage zuletzt abgeschwächt, weil die Lagerbestände bei den Kunden hoch sind und der starke Euro Importe in die EU anlockt. Viele Stahlhersteller werden deshalb in den nächsten Monaten die Produktion drosseln. Von daher dürfte ein Streik die Unternehmen nicht so hart treffen. „Im vergangenen Jahr wären die Folgen für die Stahlhersteller gravierender gewesen“, sagte Branchenanalyst Pascal Spano von der Deutschen Bank.

Der Tarifkonflikt wird überschattet von der zunehmend hitziger geführten Kapitalismusdebatte. Der zweite Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, warf den Stahlarbeitgebern vor, sie hätten selbst den besten Beweis für die Thesen von SPD-Chef Franz Müntefering geliefert. „Die Vorstände haben ihre Bezüge ausnahmslos zweistellig, teilweise um 64 Prozent erhöht. Aber die Arbeitnehmer wollen sie mit einer Lohnerhöhung unter der Inflationsrate abspeisen“, sagte er.

Gesamtmetallchef Martin Kannegiesser wies die Vorwürfe zurück. Er hielt der IG Metall vor, sie würde die Tarifrunde ideologisch befrachten. Es stimme ihn nachdenklich, dass in einer zwar harten, aber ansonsten im Rahmen des Üblichen stehenden Tarifauseinandersetzung nun die Keule der Kapitalismusdiskussion geschwungen werde, sagte Kannegiesser dem Handelsblatt. Die von der IG Metall geschwungene ideologische Keule liege auf der Linie der aktuellen Ausgabe ihrer Mitgliederzeitung. Dort hatte die Gewerkschaft auf der Titelseite US-Unternehmen in Deutschland als „Aussauger“ bezeichnet. HB

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