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Wirtschaft: Standpunkt: Kindergeld für alle - aber unterschiedlich viel

Die Forderung des DGB-Vorsitzenden Schulte, Kindergeld nur noch für Bezieher niedriger Einkommen zu zahlen, erscheint auf den ersten Blick überzeugend. Aber wie so oft: Was zunächst plausibel klingt, erweist sich bei genauerer Prüfung als problematisch.

Die Forderung des DGB-Vorsitzenden Schulte, Kindergeld nur noch für Bezieher niedriger Einkommen zu zahlen, erscheint auf den ersten Blick überzeugend. Aber wie so oft: Was zunächst plausibel klingt, erweist sich bei genauerer Prüfung als problematisch. Für den Familienleistungsausgleich gibt es nämlich unterschiedliche Begründungen; je nachdem welche man in den Vordergrund stellt, kommt man zu unterschiedlichen Forderungen für die Ausgestaltung des Kindergeldes.

Ein erstes Argument lautet: Wer Kinder zu unterhalten hat, ist im Vergleich zu Steuerpflichtigen ohne Kinder in seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb entschieden, dass das Existenzminimum der Kinder bei ihren Eltern nicht besteuert werden darf. Dies kann man durch einen Kinderfreibetrag erreichen, der jedem Einkommensbezieher zu gewähren ist - unabhängig von der Höhe seines Einkommens. Ein Millionär, der ein Kind zu unterhalten hat, ist eben im Vergleich zu einem Millionär ohne Kinder weniger leistungsfähig. Der Kinderfreibetrag in der Einkommensteuer ist also ein geeignetes Instrument zur Sicherung der "horizontalen Gerechtigkeit".

Bei einem progressiven Steuertarif, wie wir ihn in der Einkommensteuer haben, führt ein Kinderfreibetrag allerdings bei den Beziehern hoher Einkommen zu einer höheren (absoluten) steuerlichen Entlastung als bei Beziehern niedriger Einkommen. Das ist jedoch Folge des progressiven Steuertarifs, in dem die Vorstellungen über die "vertikale Gerechtigkeit" zum Ausdruck kommen. Wem die mit steigenden Einkommen zunehmende Steuerersparnis aus verteilungspolitischen Gründen nicht passt, der müsste demnach gegen den progressiven Tarif der Einkommensteuer votieren. Der jüngste Vorschlag der SPD, den Steuervorteil aus dem Kinderfreibetrag auf die Höhe des Kindergeldes zu begrenzen, wird verfassungsrechtlich keine Chance haben. Damit würde nämlich im derzeitigen System der Kinderfreibetrag de facto abgeschafft.

Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts könnte sicher auch Genüge getan werden, wenn anstelle des Kinderfreibetrags ein Kindergeld gezahlt würde, das dann aber zur gleichen Entlastung wie der Kinderfreibetrag führen müsste. Wer ein niedriges Einkommen hat und deshalb gar keine Steuern zahlt, hat keinen Vorteil aus dem Kinderfreibetrag, dürfte also insoweit kein Kindergeld erhalten; ein Millionär könnte dagegen derzeit ein Kindergeld von etwa 440 Mark pro Monat beanspruchen. Mithin wäre unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sogar ein mit steigendem Einkommen steigendes Kindergeld zu zahlen.

Den Familienleistungsausgleich kann man aber auch unter sozialpolitischen Zielsetzungen rechtfertigen. Gerade Familien mit Kindern, die nur ein niedriges Einkommen erzielen, sollen unterstützt werden. Die Konsequenz wäre, ein mit steigendem Einkommen sinkendes Kindergeld zu zahlen. Würde man schließlich die Leistungen damit begründen, dass die umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme (vor allem die Rentenversicherung) nur dann funktionieren, wenn eine hinreichende Zahl von Kindern großgezogen wird, dann wäre es gleichgültig, ob die Kinder aus Familien mit höherem oder niedrigerem Einkommen stammen. Hauptsache ist, dass überhaupt mehr Kinder geboren werden. Geht man davon aus, dass mit Zahlungen von Kindergeld die Geburtenhäufigkeit erhöht werden kann, dann wäre im Grunde ein konstantes von der Einkommenshöhe unabhängiges Kindergeld vertretbar. Eine degressive Gestaltung wäre wiederum geboten, wenn die Zahlung von Kindergeld vor allem bei Beziehern niedriger Einkommen die Geburtenzahl vergrößern kann.

Man sieht also: Mit der Zahlung von Kindergeld sollen verschiedene Zielsetzungen verfolgt werden. Je nachdem welcher man besonderes Gewicht beimisst, kann man konstantes, mit steigendem Einkommen steigendes und aber auch sinkendes Kindergeld vertreten. Bei dieser Sachlage ist die heute praktizierte Regelung durchaus akzeptabel: Neben dem Kinderfreibetrag gibt es ein konstantes Kindergeld. Für jeden Einkommensbezieher wird die für ihn günstigere Regelung angewendet. Wer kein steuerpflichtiges Einkommen erzielt, erhält das volle Kindergeld. Sobald Steuern zu zahlen sind, bekommt man zwar auch das volle Kindergeld, muss aber auf die Steuerentlastung durch den Kinderfreibetrag verzichten. Erst im Bereich höherer Einkommen wird der Kinderfreibetrag günstiger; das ausgezahlte Kindergeld wird mit der Steuerersparnis aus dem Kinderfreibetrag verrechnet. Dieses Verfahren lässt sich auch als Kombination von Kinderfreibetrag und degressivem Kindergeld interpretieren. Die heutige Regelung ist verfassungsrechtlich abgesichert und zudem praktikabel. Schon deshalb sollte man dabei bleiben. Wenn darüber hinaus aus sozialpolitischen Gründen Familien mit niedrigem Einkommen stärker gefördert werden sollen, käme ein Zuschlag zum derzeit gewährten Kindergeld in Frage. Dieser müsste allerdings mit steigendem Einkommen kontinuierlich abgebaut werden und bei einer politisch festzusetzenden Einkommensgrenze vollständig entfallen. Eine solche Lösung wäre unter sozialpolitischem Gesichtspunkt einer generellen Anhebung des Kindergeldes sicher vorzuziehen. Beides gleichzeitig wird man angesichts der Haushaltslage derzeit nicht verwirklichen können.

Prof. Dr. Rolf Peffekoven[ist Direktor des Insitu]

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