zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Statistik statt Gefühl

General Electric will ins Filmgeschäft einsteigen. Das könnte für Hollywood einen Kulturschock bedeuten.

General Electric will nach Hollywood. Der Konzern verhandelt mit dem französischen Medienkonzern Vivendi Universal SA über den Kauf seiner US-Unterhaltungssparte Vivendi Universal Entertainment (VUE). Dabei war Jeffrey Immelt, der Chef des gewaltigen Mischkonzerns General Electric (GE), im vergangenen Jahr noch anderer Meinung. Sein Unternehmen müsse kein Filmstudio oder einen großen Kabelsender mit Unterhaltungsprogramm kaufen, um den konzerneigenen Fernsehsender NBC zu stützen. „AOL Time Warner hat eine Unternehmensstrategie, und Fox hat eine, und vielleicht sind sie erfolgreich“, sagte Immelt. „Wir haben uns aber noch nie durch das Vorgehen eines anderen Unternehmens bedroht gefühlt, und ich denke nicht, dass wir jetzt irgendjemanden kopieren sollten.“ Doch nun verfolgt GE genau die vorher abgelehnte Strategie.

Am vergangenen Dienstag gab Vivendi bekannt, der Konzern werde nur noch exklusiv mit GE und einem Konsortium unter Führung des kanadischen Milliardärs Edgar Bronfman Junior über den Verkauf seiner US-Unterhaltungssparte verhandeln. Bronfman war zeitweilig Vorstandschef des Spirituosenkonzerns Seagram und damit Chef der früheren Muttergesellschaft der Universal Studios. Zu VUE gehören unter anderem das Hollywood-Studio Universal, verschiedene US-Kabelsender (wie etwa „USA Network“), eine TV-Produktionsfirma, die die Krimiserie „Law&Order“ vermarktet, und Themenparks.

Ob es zu dem Geschäft kommt, steht in den Sternen. GE hat schon früher Interesse am Entertainment-Geschäft gezeigt, aber nach ersten Verhandlungen einen Rückzieher gemacht. Wenn GE aber VUE kauft, würde ein Unterhaltungskonzern entstehen, der so breit aufgestellt ist wie die Unternehmen, die GE früher nicht imitieren wollte. Diese neue Strategie verfolgt GE zu einem Zeitpunkt, wo große diversifizierte Medienkonzerne nicht mehr angesagt sind und Megafusionen wie die von AOL und Time Warner sowie Vivendis eigene Übernahme der Universal-Mutter Seagram sich als problematisch erwiesen.

DVD als Versicherung

Warum hat GE seine Meinung geändert? Zum einen haben sich die digitalen Film-CDs (DVD) zu einer Goldmine für Hollywood entwickelt. Bis zu 65 Prozent der Einnahmen eines Filmes stammen heutzutage aus dem Verkauf von DVDs und Videos des Streifens. Vor einigen Jahren waren es etwa 50 Prozent. Damit sinkt das Risiko bei der Finanzierung eines Films.

Ein anderer Faktor, der das plötzliche Interesse von GE an einer Übernahme erklärt: Das US-Unternehmen dürfte es satt haben, in Verhandlungen mit den Produzenten seiner größten TV-Serien wie „Friends“ an die Wand gedrückt zu werden. Tatsächlich glauben viele Brancheninsider, dass GE Interesse an dem Deal hat, weil die Zukunft der erfolgreichen TV-Krimiserie „Law & Order“ offen ist. Die Serie wird von Universal produziert und ist eine der wichtigsten Sendungen von NBC zur Prime Time.

Gerade jetzt dürfte NBC ein Interesse daran haben, dass das Universal TV-Studio in den Mutterkonzern kommt und ein vorteilhafter Vertrag über die „Law & Order“-Serie geschlossen wird. Nachdem es NBC lange sehr gut ging, steht der Fernsehsender nun vor einem entscheidenden Jahr: Seine Erfolgssendung „Friends“ wird gerade zu einem Zeitpunkt abgesetzt, wo der Sender Fox ihm seine Vorrangposition streitig macht. Bislang hatte NBC die höchsten Einschaltquoten unter den US-Sendern und damit die höchsten Werbeeinnahmen. Da die Zuschauerzahlen des Kanals schwinden, muss NBC neue Wege suchen. Aus diesem Grund hat der GE-Vize und NBC-Chef Robert Wright beständig neue Sender wie CNBC, MSNBC, den Bravo-Kabelkanal sowie den spanischsprachigen Kanal Telemundo zugekauft. Für ihn dürfte es eine verlockende Aussicht sein, einen weiteren Kabelkanal dazuzugewinnen.

Was käme auf VUE zu, wenn GE das Unternehmen kaufen würde? Vermutlich weitere Kürzungen bei den Universal Studios. Zwar hat der Vivendi-Aktionär und zeitweilige Universal-Chef Barry Diller bereits 100 Millionen Dollar bei den Kosten eingespart. Doch NBC würde zusätzlich wahrscheinlich weit mehr als 100 Millionen Dollar einsparen, heißt es in Kreisen. Der Käufer von Universal dürfte auch das Budget für Filmproduktionen angehen. Universal gibt dafür gut 700 Millionen Dollar aus. Verändern dürfte sich für die Vivendi-Manager noch anderes: Sie waren daran gewöhnt, weitgehend unabhängig Entscheidungen zu treffen.

Hollywood in Angst

Viele in Hollywood erwarten daher einen Kulturschock wie damals, als GE Mitte der 80er Jahre NBC kaufte. Der Fernsehsender musste sich an ungewohnte Managementpraktiken gewöhnen. Denn GE zögerte nicht, sein Prinzip Six Sigma bei NBC einzuführen. Danach werden mit Hilfe einer statistischen Analyse die Geschäftsprozesse verbessert, angefangen bei der Bestellung von Gütern über die Herstellung bis zur pünktlichen Auslieferung. Six Sigma wird außerdem verwendet, um die Richtigkeit von Prognosen, Preisstrategien und anderem zu testen. Kurz: Six Sigma ist so weit wie nur möglich von den typischen Entscheidungsprozessen in Hollywood entfernt. Dort entscheidet oft das gute Gefühl eines Studiochefs über einen Film oder eine Marketingmaßnahme.

Das spürte der heutige NBC-Chef Wright am eigenen Leib, als er Präsident des Unternehmens wurde. Zuvor hatte er bei GE in den Bereichen Kunststoffe, Anwendungen und Finanzdienstleistungen gearbeitet. Wright war nicht nur sprachlos über den unbekümmerten Umgang mit Geld quer durch den Sender, sondern auch über das Fehlen jeglicher Zukunftsanalyse. „Wir hielten ihn für einen Alien“, sagt Warren Littlefield, der seit den 80er Jahren bei NBC Entertainment ist und das Unternehmen in den 90er Jahren lange führte. „Bob sagte immer wieder, ’ihr versteht nicht, Rom brennt’. Und wir hätten eine Mentalität des ’Wir sind ein Fernsehsender und das ist eine Lizenz zum Gelddrucken’. Wir waren furchtbar ungeeignet für strategisches Denken. Das war für uns etwas, was man erst nach den Fakten tat.“ Die NBC-Manager mussten nun die Projekte auf Verlust, Zeitverlust und mögliche Engpässe hin prüfen. Außerdem besetzte GE bestimmte Positionen mit eigenen Managern.

Ganz neu wäre eine Zusammenarbeit von Universal und NBC nicht. Vor zwei Jahren haben die zwei Unternehmen gemeinsam die Werbekampagne für den Kinostart von Universals „Jurassic Park 3“ organisiert. NBC strahlte den ersten „Jurassic Park“-Film am Wochenende aus, bevor die zweite Fortsetzung in die Kinos kam – und wies in den Nachrichten vieler seiner Fernsehstationen auf den neuen Streifen hin. Nicht zuletzt deswegen habe „Jurassic Park 3“ in der ersten Woche ein unerwartet hohes Ergebnis eingespielt, heißt es bei Universal. Und in Kreisen ist zu hören, dass die beiden Unternehmen kürzlich über andere gemeinsame Marketingkampagnen nachgedacht hätten.

Bruce Orwall[Emily Nelson], Joe Flint

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false