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Wirtschaft: Steuerreform: Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern reißt nicht ab

Neben dem Widerstand von Unions-Fraktionschef Friedrich Merz im Vermittlungsausschuss gegen die geplante Steuerreform reißt auch die Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern nicht ab. Setze sich die Koalition mit ihren Vorstellungen durch, drohe das Steuersystem noch komplizierter zu werden und den Strukturwandel in der Wirtschaft zu behindern, sagte am Freitag Theodor Siegel, Professor für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung an der Berliner Humboldt-Universität, dem Tagesspiegel.

Neben dem Widerstand von Unions-Fraktionschef Friedrich Merz im Vermittlungsausschuss gegen die geplante Steuerreform reißt auch die Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern nicht ab. Setze sich die Koalition mit ihren Vorstellungen durch, drohe das Steuersystem noch komplizierter zu werden und den Strukturwandel in der Wirtschaft zu behindern, sagte am Freitag Theodor Siegel, Professor für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung an der Berliner Humboldt-Universität, dem Tagesspiegel. Möglicherweise sei die Reform sogar verfassungswidrig. Bereits vor einer Woche hatten Siegel und 77 seiner Fachkollegen verlangt, die Reform zu stoppen.

Eichel plant, das Anrechnungsverfahren durch das so genannte Halbeinkünfteverfahren zu ersetzen. Beim Anrechnungsverfahren wird die Körperschaftsteuer, die von einem Unternehmen gezahlt wird, mit der Einkommensteuerschuld seines Aktionärs verrechnet. Grund: Der Unternehmensgewinn soll vom Fiskus nicht zweimal besteuert werden. Beim Halbeinkünfteverfahren dagegen wird der Gewinn zum einen beim Unternehmen mit 25 Prozent besteuert, zum anderen zur Hälfte beim Aktionär mit dessen Einkommensteuersatz belegt. Dieses System hält die Koalition gegenüber ausländischen Aktionären für gerechter, weil der deutsche Staat ihnen bislang keine Körperschaftsteuern erstattet. Die Reform aber würde zu einer ungleichmäßigen Besteuerung führen, kritisierte Siegel: Nicht ausgeschüttete Gewinne würden geringer belastet als ausgeschüttete. "Statt die bereits bestehenden Ungleichheiten auszumerzen, vervielfältigt die Regierung sie." Gewinner seien Aktienbesitzer, deren Spitzensteuersatz über 40 Prozent liege, "also die Besserverdienenden". Dies sei überdies ein Schaden für die Aktienkultur. Denn für untere Einkommensbezieher schwinde der Anreiz, Teilhaber eines Unternehmens zu werden.

Möglicherweisen verstoße dieses System auch gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz - darauf hätten Verfassungsrechtler hingewiesen. "Es wäre schädlich für die Wirtschaft, wenn durch ein Urteil aus Karlsruhe nach wenigen Jahren schon wieder in neues System eingeführt werden müsste." Obendrein bestehe die Gefahr, dass Kapital in Zukunft nicht mehr dort investiert würde, wo es die beste Rendite bringt, sondern wo die Steuerbelastung am geringsten ist. "Das schadet der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft", ist Siegel überzeugt. "Wir haben das weltbeste System der Körperschaftsteuer. Dieses zu Gunsten eines schlechten, weitaus komplizierteren Systems aufzugeben, wäre falsch." Einen Kompromiss zwischen den beiden Steuersystemen hält er für unmöglich, dazu seien sie zu unterschiedlich. Eine Verzögerung der Reform müsse es dennoch nicht geben. "Man kann mit geringen Änderungen das Anrechnungsverfahren modernisieren. Würde man zugleich die Gewerbesteuer abschaffen und die Steuersätze senken, um alle Einkunftsarten gleichmäßig zu belasten, wäre viel gewonnen", findet Siegel. Dass die großen Wirtschaftsverbände die Reform begrüßen, findet der Ökonom keinen Widerspruch. "Beim Halbeinkünfteverfahren würde mehr Mittel in den Großunternehmen verbleiben. Der Mittelstand lehnt die Reform eher ab, nur ist sein Einfluss geringer", so Siegel. Den Vorwurf der SPD, die Ökonomen ließen sich von der CDU benutzen, nannte er "eine Frechheit. In der Wissenschaft ist es Konsens, dass die Reform schädlich ist - bislang hat nur niemand auf uns gehört."

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