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Wirtschaft: Strom soll billiger werden

Weil der Wettbewerb bei den Versorgern nicht vorankommt, greift der Staat ein – das Bundeskartellamt bringt sich in Position

Fünf Jahre nach dem Ende der Energiemonopole zeichnet sich ein Deutschland ein radikaler Kurswechsel ab. Vom kommenden Jahr an wird es eine Regulierungsbehörde für den deutschen Strom- und Erdgasmarkt geben. Das Bundeskartellamt hat gute Chancen, die Aufgabe zu übernehmen. Der deutsche Sonderweg, ohne staatliche Regulierung auszukommen, ist damit gescheitert.

Bislang setzte die rot-grüne Bundesregierung auf Absprachen der Industrie. Am Freitag stoppte jedoch der Bundesrat den Versuch der Regierung, von den Verbänden vereinbarte Netzzugangsregeln für den Strommarkt rechtlich zu verankern. Außerdem wachsen Zweifel daran, ob solche Absprachen überhaupt zulässig sind. So kritisierte das Berliner Landgericht erst kürzlich die „willkürliche Zusammensetzung“ solcher Verbändekartelle und deutete damit ein mögliches Verbot der Vereinbarungen an.

Mit der Liberalisierung des Energiemarktes im Jahr 1998 musste geregelt werden, wie die bestehenden Leitungsnetze für fremde Anbieter geöffnet werden, damit der Wettbewerb um Strom- und Gaskunden in Gang kommt. So entstand auf Betreiben der Regierung zunächst für den Strommarkt eine Vereinbarung der Wirtschaftsverbände, in der alle Detailfragen einschließlich der Entgeltkalkulation geregelt werden sollten. Mit der am Freitag abgelehnten Novelle des Energierechts wollte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) der Verbändevereinbarung für den Strommarkt einen gesetzesähnlichen Charakter verleihen.

Brüssel drängt Berlin

Jetzt drängt die Zeit: Nach einer Verordnung der Europäischen Union (EU) muss in jedem Mitgliedsland bis zum kommenden Jahr ein Regulierer für den Strom- und Gasmarkt benannt werden. Nach den bisherigen Plänen der Bundesregierung soll es in Deutschland kein eigenständiges Amt nach dem Vorbild der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post geben.

Alle Beteiligen scheuten deshalb das Wort Regulierungsbehörde „wie der Teufel das Weihwasser“, heißt es in Koalitionskreisen. Die Gefahr, dass neben dem Kartellamt noch eine weitere Regulierungsstelle installiert wird, ist nicht gebannt. Kommt die Selbstregulierung der Industrie nicht voran, dürfte Brüssel den Druck auf Berlin verstärken. Dabei geht es um die zentrale Frage: Werden die Nutzungspreise für Strom- und Gasleitungen von einer staatlichen Stelle vorgegeben oder werden sie nur kontrolliert?

Weitgehend Einvernehmen besteht immerhin darüber, dass „das Bundeskartellamt eine gute Adresse ist“. Das sagte Michaele Hustedt, energiepolitische Sprecherin der Grünen, dem Tagesspiegel. Auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hat angedeutet, diese Kontrollaufgaben am liebsten in die Hände der Bonner Wettbewerbshüter zu legen. Aber es gibt auch andere Stimmen, die das Bonner Amt nicht für kompetent genug halten. Strittig ist noch, wie stark der Regulierer hierzulande in den Markt eingreifen soll. Ginge es nach den ursprünglichen Vorstellungen der EU, müsste Berlin eine neue allmächtige Behörde installieren, die Strom- und Gaspreise sowie die Konditionen zur Benutzung fremder Leitungsnetze festlegt und überwacht. Das fordert auch die unabhängige Monopolkommission in ihrem Gutachten zum deutschen Energiemarkt. Aber es gibt auch Stimmen, die einer umfassenden staatlichen Energieaufsicht den Vorzug geben. Für Rolf Hempelmann, den energiepolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ist das Thema derzeit noch völlig offen. Er selbst plädiert „für soviel Regulierung wie unbedingt nötig ist“.

Der Wirtschaftsminister hat dagegen bereits versichert: „Eine von Brüssel übergestülpte Regulierungsbehörde für Strom und Gas wird es in Deutschland nicht geben.“ Die Grünen-Politikerin Hustedt formuliert es etwas vorsichtiger. Sie ist davon überzeugt, dass jetzt „die Wahrscheinlichkeit für einen Systemwechsel sehr groß ist“. Die Frage sei nur, wie intensiv künftig reguliert werde.

Kartellamtschef Ulf Böge bewirbt sich offensiv um die Kontrollaufgabe – nicht nur um eine neue Megabehörde zu verhindern. Der beste Weg sei es, den „Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt ohne ständigen Staatseingriff zu regeln“. Das sagte er dem Tagesspiegel. Angst macht ihm vor allem die Vorstellung, neben der bestehen Telekom-Regulierungsstelle ein zweite große Kontrollbehörde zu bekommen: „Wenn wir eine alles regulierende Behörde erst einmal haben, so fürchte ich, werden wir die nie wieder los.“

Herber Schlag für die Verbände

Für die beteiligten Verbände der Energiewirtschaft und der Industrie wäre die Regulierungsbehörde ein herber Schlag. Denn damit wird ihre Selbstregulierung in Frage gestellt. Kritik gibt schon jetzt genug. Dass erst vier Prozent aller Stromkunden ihren Anbieter gewechselt haben, ist vielen Kritikern Beleg genug dafür, dass von Wettbewerb noch keine Rede sein kann. Hinzu kommt: Die Preise für Haushaltsstrom sind heute wieder genau so hoch wie zu Beginn der Liberalisierung. Doch da bremst selbst der Chef des Kartellamts. Die Erfahrung lehre zwar, dass „Monopolisten sich gegen Wettbewerb stemmen“. Wenn aber der Staat die Steuern erhöhe, dürfe man das nicht der mangelnden Liberalisierung anlasten.

Auf dem Gasmarkt ist allerdings von Wettbewerb bislang nichts zu spüren, schon gar nicht bei Privatkunden. Die Verhandlungen um eine praktikable Verbändevereinbarung zur Gasdurchleitung stecken fest. Für den Bundesverband Neuer Energieanbieter (bne) ist der deutsche Sonderweg deshalb gescheitert. Auf dem Gasmarkt, kritisiert bne-Geschäftsführer Henning Borchers, werde der Wettbewerb eher verhindert. Der im Herbst des vergangenen Jahres gegründete Verband prüft jetzt sogar eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesregierung, um die Öffnung des deutschen Gasmarktes zu erzwingen.

Die Statistik spricht für eine schärfere staatliche Regulierung: Seit Öffnung des Energiemarktes gingen beim Bundeskartellamt und den Landeskartellbehörden rund 200 Beschwerden wegen missbräuchlich überhöhter Durchleitungsgebühren ein. Allein 20 davon landeten bei Böge auf dem Tisch. Zehn Verfahren wurden eröffnet, die anderen erledigten sich von selbst, weil allein das Einschalten der Wettbewerbshüter dazu führte, dass die Versorgungsunternehmen ihre Leitungspreise um bis zu 30 Prozent senkten.

Dieter Fockenbrock

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