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Opel

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Struktur der deutschen Wirtschaft: Was sind Deutschlands Schlüsselindustrien?

Für Frank-Walter Steinmeier ist die Autoindustrie das Zugpferd der deutschen Wirtschaft. Deshalb könne Opel auf Rettung hoffen. Aber was sind tatsächlich die Schlüsselbranchen?

Opel kann sich Hoffnungen auf eine staatliche Rettung machen. Zumindest Frank-Walter Steinmeier, SPD-Kanzlerkandidat, hat angekündigt, alle Möglichkeiten zu prüfen. Für ihn ist die Autoindustrie eine Schlüsselbranche. Er fordert, kein großer Hersteller dürfe pleitegehen, weil sonst Kettenreaktionen quer durch die deutsche Wirtschaft gingen und man am Ende ein industriell entkerntes Land hinterlasse. EU-Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) sieht es anders. Opel sei „nicht systemrelevant“, sagt er.

Was bedeutet systemrelevant?

Der Begriff systemrelevant wurde bis vor kurzem eigentlich nur bei Banken benutzt. Der Staat dürfe systemrelevante Banken nicht pleitegehen lassen, da sind sich die meisten Ökonomen einig. Dahinter steckt die Angst vor einer Kettenreaktion wie im Fall der US-Investmentbank Lehman Brothers. Alle Banken, die mit Lehman Geschäfte gemacht hatten, waren von der Pleite betroffen. Zudem wurde das Vertrauen der Banken untereinander zerstört, die so wichtige Versorgung der Wirtschaft mit Krediten stand auf der Kippe und kann bis heute nur durch massives Eingreifen der Notenbanken aufrechterhalten werden.

In der Realwirtschaft sähe das etwas anders aus. „Natürlich hätte eine Pleite von Opel Auswirkungen“, sagt Christian Dreger, Konjunkturchef am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Mit der Pleite einer Bank sei dies nicht vergleichbar. „Bei einer Bank geht es darum, dass der Geld- und Kreditkreislauf in Fahrt bleibt. Da wäre die ganze Volkswirtschaft von einer Pleite betroffen“, sagt Dreger. Er rät dazu, Opel nur zu retten, wenn das Unternehmen auch profitabel arbeiten kann. „Wir sollten ordnungspolitische Grundsätze nicht so einfach aufgeben“, sagt Dreger. Jede Firma sei erst mal für sich selbst verantwortlich.

Wie wichtig ist die Industrie insgesamt?

Die Bedeutung der Industrie in Deutschland hat in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Arbeiteten 1991 noch rund 9,3 Millionen Beschäftigte in der Industrie, waren es 2008 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur noch rund 5,3 Millionen. Die Zahl der Betriebe sank in diesem Zeitraum von 54 000 auf 23 414. Im Gegenzug hat der Dienstleistungssektor immer mehr an Bedeutung gewonnen. Hier arbeiten mittlerweile fast drei Viertel der Beschäftigten in Deutschland. Dennoch geht es ohne die Industrie nicht. Sie ist noch immer das Kernstück der deutschen Wirtschaft und erwirtschaftet rund ein Viertel des deutschen Bruttoinlandsproduktes – so viel wie in kaum einem anderen Land. Viele Dienstleistungen hängen unmittelbar von der Industrie ab. Und gerade im letzten Aufschwung von Ende 2005 bis Anfang 2008 war die Industrie der wichtigste Baustein. Hier entstanden Arbeitsplätze und Wachstum.

Welche Branchen sind Kern- oder Schlüsselindustrien?

Klar definiert sind die Begriffe Kern- oder Schlüsselindustrie zwar nicht. Gemeinhin bezeichnet jeder Staat aber diejenigen Industrien als seine Kernindustrien, die einen größeren Teil der Wertschöpfung und Beschäftigung ausmachen und darüber hinaus auch eng mit anderen Branchen verflochten sind. In Deutschland steht deshalb die Autoindustrie zusammen mit dem Maschinenbau an erster Stelle. Während der Maschinenbau sehr stark mittelständisch geprägt ist und es nur wenige Großkonzerne gibt, die einem breiten Publikum bekannt sind (zum Beispiel Heidelberger Druck), sieht die Struktur in der Automobilindustrie auf den ersten Blick ganz anders aus. Hier stechen die weltbekannten Autohersteller wie Volkswagen, BMW, Daimler oder auch Opel heraus. Mindestens ebenso wichtig sind jedoch die Autozulieferer, die die Hersteller mit den nötigen Teilen versorgen. Hierzu gehören etwa Bosch, Continental, Schaeffler und viele kleinere Betriebe. Nach Angaben des Branchenverbandes VDA arbeiten in Deutschland allein 757 000 Menschen direkt in der Automobilindustrie, also bei Herstellern und Zulieferern. Insgesamt, so argumentiert der VDA, seien rund fünf Millionen Beschäftigte in Deutschland von der Autoindustrie abhängig. Diese Rechnung ist jedoch breit gefasst, der VDA rechnet zum Beispiel auch rund 1,2 Millionen Taxi- und Fernfahrer dazu. Das Statistische Bundesamt geht von rund 900 000 Beschäftigten aus. Wie wichtig die Branche ist, zeigt eine Rechnung der Bundesbank: Demnach werden drei Prozent der gesamten deutschen Wertschöpfung in der Autoproduktion und den ihr verwandten Branchen geschaffen werden. Jeder Euro, den die Autohersteller an Umsatz verlören, bewirke gesamtwirtschaftlich einen 2,2-mal so großen Umsatzrückgang.

Ähnlich wichtig wie die Autoindustrie ist der deutsche Maschinen- und Anlagenbau. Hier waren im Jahr 2008 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 932 157 Menschen beschäftigt. Die Branche hat gerade in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Aufschwung erlebt, der vor allem auf die starke Nachfrage aus dem Ausland zurückzuführen war. Die deutschen Hersteller bauen in der Regel hoch spezialisierte Maschinen und sind häufig Weltmarktführer in ihren Bereichen. Rund drei Viertel der Produktion gehen in den Export. Entsprechend stark ist der Maschinenbau von der aktuellen Weltrezession getroffen. Für 2009 erwartet der Branchenverband VDMA einen deutlichen Produktionsrückgang. Dass der Staat zur Rettung einzelner Firmen einspringen muss, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Zu dick sind die Polster, die sich die Unternehmen zugelegt haben.

Welche Branche ist neben der Auto- und Maschinenbauindustrie besonders relevant?

Als dritte deutsche Kernbranche nennen Ökonomen in der Regel die Chemieindustrie. Zwar arbeiten in der Metall- und Elektroindustrie deutlich mehr Menschen, aber für den deutschen Export ist die Chemiesparte besonders relevant. Zu den größten Unternehmen zählen BASF und Bayer. Deutschland ist in dieser Branche Exportweltmeister: 12,4 Prozent der weltweiten Chemieausfuhren kommen von hier. Entsprechend spürt die Chemieindustrie die weltweit einbrechende Nachfrage. Im Januar gingen die Umsätze zurück. Auch für das Gesamtjahr 2009 gibt sich die Mehrzahl der deutschen Chemieunternehmen einer Umfrage zufolge pessimistisch. Besonders heftig trifft es die Unternehmen, die Grundchemikalien für Industrieunternehmen liefern, sowie einige Spezialbereiche wie zum Beispiel das Geschäft mit Flüssigkristallen, die etwa in Flachbildfernsehern verwendet werden. Deutlich besser sind die Aussichten bei Chemikalien, die für Wasch- und Körperpflege verwendet werden, und bei pharmazeutischen Produkten, die generell wenig konjunkturabhängig sind.

Stefan Kaiser

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