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Wirtschaft: Tarifrunde 2002: Sperriges Tarifgebiet

An diesem Dienstag gehen die Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie in die heiße Phase. Nach wochenlangen Verhandlungen ist die Friedenspflicht ausgelaufen: Von nun kann kann die IG Metall mit Warnstreiks Druck machen.

An diesem Dienstag gehen die Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie in die heiße Phase. Nach wochenlangen Verhandlungen ist die Friedenspflicht ausgelaufen: Von nun kann kann die IG Metall mit Warnstreiks Druck machen. Außerdem kann sie nun - wenn sie den Eindruck hat, dass die Gespräche nicht mehr voran kommen - die Verhandlungen für gescheitert erklären und nach der Urabstimmung zum Streik aufrufen.

Die IG Metall fordert 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Die Arbeitgeber haben das Angebot gemacht, in diesem und im kommenden Jahr je zwei Prozent mehr zu bezahlen. Dieses Angebot lehnt die Gewerkschaft ab, sie will mehr Geld und eine Laufzeit von nur einem Jahr. In der Nacht zum Karfreitag hat sie bereits mit ersten Warnstreiks in Westdeutschland ihre Forderungen unterstrichen.

Von der Metallgewerkschaft wird in diesem Jahr erwartet, dass sie die Tarifführerschaft übernimmt. Das heißt, dass sich an den Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie auch die anderen Branchen orientieren werden, die in den nächsten Wochen abschließen. Einen Sonderweg gehen in diesem Jahr der öffentliche Dienst, desses Löhne erst nach den Bundestagswahlen verhandelt werden, und der Bau, der angesichts der Krise der Branche nur 4,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt gefordert hat. Aus dem eigenen Lager könnte den Metallern nur die Chemiebranche Konkurrenz machen. Die hatte schon vor zwei Jahren über Nacht die Tarifführerschaft an sich gerissen - und damit die gesamte Lohnbewegung deutlich moderater ausfallen lassen als die Metaller das geplant hatten.

Auch diesmal könnte die Metallindustrie wieder in Zeitverzug geraten. Denn erstens streiten die Metall-Tarifparteien über eine sinnvolle Laufzeit für einen Tarifvertrag: Die Arbeitgeber wollen gleich für zwei Jahre abschließen, die IG Metall dagegen nur für ein Jahr. Dahinter steckt die Befürchtung der Metallarbeitgeber, dass sich die Gewerkschaft im nächsten Jahr radikalisieren wird: Dann steht nämlich die Neuwahl eines Vorsitzenden an. Nachfolger von Klaus Zwickel wollen sein bisheriger Vize Jürgen Peters und der jetzige Bezirkschef in Baden-Württemberg Berthold Huber werden.

Zweitens aber haben sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Vorfeld darauf verständigt, zusammen mit der reinen Lohnrunde einen sehr komplizierten Tarifgegenstand zu verhandeln: den gemeinsamen Entgeltrahmen für Arbeiter und Angestellte (ERA). Mit diesem Projekt hatten sie Anfang der neunziger Jahre schon einmal begonnen. Dann aber hatten die Tarifprobleme, die die deutsche Einheit mit sich brachte, den gemeinsamen Entgeltrahmen zurückgedrängt. Erst jetzt ist das Thema wieder wichtig - vor allem, weil immer mehr Angestellte und immer mehr Arbeiter in Teams direkt zusammenarbeiten und teilweise genau dieselbe Arbeit machen. ERA soll dafür sorgen, dass auch in der Metallbranche künftig nicht mehr zwischen diesen beiden Beschäftigtengruppen unterschieden wird.

Das ist vernünftig, macht aber viel Arbeit und ist wahrscheinlich auch teuer: Denn traditionell wurden Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten vor allem deshalb gemacht, weil die Arbeit der Angestellten für wichtiger und wertvoller gehalten wurde und die Angestellten selbst als zuverlässiger galten: Seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts bekamen Angestellte deshalb zum Beispiel ihr Gehalt auf Monatsbasis und teilweise im Voraus ausbezahlt, Arbeiter dagegen erhielten am Ende der Woche die Lohntüte für getane Arbeit. Angestellte verdienten in der Tendenz mehr Geld, sie trugen die weißen Kittel, um zu zeigen, dass sie sich nicht schmutzig machen müssen bei der Arbeit.

Das hat sich längst geändert. Nur das tendenzielle Gehaltsgefälle zwischen Angestellten und Arbeitern gibt es immer noch, beklagt die Metallgewerkschaft. Die Arbeitgeber sind bereit, über das Thema zu verhandeln. Sie bestehen aber darauf, dass eine Lösung gefunden werden muss, die im Großen und Ganzen kostenneutral ist. Allenfalls könne man eine Ausgleichskasse einrichten, um die Übergangsphase zu finanzieren. Die Arbeitnehmer dagegen meinen, dass die Angelegenheit deshalb Geld kosten muss, weil die Arbeiter in Stufen deutlich besser bezahlt werden sollen. Die IG Metall ist bereit, einen Teil der Lohnforderung dafür abzutreten. Das hieße, dass ein Teil der ausgehandelten Tariferhöhung in dieser und den kommenden Tarifrunden für ERA ausgegeben würde.

Klar ist, dass Gewerkschaft und Arbeitgeber bei dem sperrigen Thema noch weit auseinander sind, auch wenn beide Seiten möchten, dass es gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt: Die Gewerkschaft möchte verhindern, dass die Angestellten etwas verlieren - die Arbeitgeber weigern sich noch, einzelne Arbeitergruppen deutlich anzuheben: Würden Arbeiter an das Gehaltsniveau der Angestellten angepasst, dann müsste beispielsweise der Grundlohn eines Arbeiter-Lehrlings um rund 250 Euro angehoben werden.

Sollte ein Facharbeiter, der elektronisch gesteuerte Maschinen programmiert, so viel verdienen wie ein Angestellter, der dasselbe tut, würde er teilweise mehr als 500 Euro mehr bekommen. Nach Ansicht der meisten Arbeitgeber werden am ehesten die Angestellten die Verlierer des Prozesses sein, die im kaufmännischen Bereich arbeiten.

Neben der Frage der Kosten müssen sich Gewerkschaft und Arbeitgeber noch auf die künftige Eingruppierung der Beschäftigten verständigen. Dazu liegen bereits Vorschläge aus vier Metalltarifbezirken vor. In Niedersachsen haben sich die Tarifpartner darauf verständigt, dass sie vom Lehrling bis zum Hochqualifizierten 13 Tarifgruppen wollen - wie die Gruppen dotiert werden sollen, ist natürlich noch nicht klar. Unsicher ist auch, ob sich alle Tarifbezirke auf denselben Zeitplan zur Einführung von ERA verständigen können.

Zwar hat der IG-Metall-Vizechef Jürgen Peters kategorisch gesagt, dass es "ohne ERA keinen Abschluss gibt". Aber noch scheinen die Positionen so weit auseinander zu sein, dass es vielleicht nur zu einer grundsätzlichen Übereinstimmung reicht, die dann in den einzelnen Regionen weiter verhandelt werden muss. Das hieße, dass sich die Gespräche in der Metallindustrie noch den ganzen April über hinziehen können. Und das hieße wiederum, dass die Chancen für die Chemiegewerkschaft, die in diesem Jahr eine reine Lohnrunde verhandelt, gar nicht schlecht stehen, doch den ersten Abschluss zu machen.

Den Wirtschafts- und Finanzpolitikern in Berlin wäre es lieber, wenn diese Tarifrunde ohne großes Getöse zu Ende geht: Sie sind sicher, dass ein Streik in der Metallindustrie zu einer ernsten Gefahr für den Aufschwung werden kann.

uwe

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